Nationaltheater München, 28. Oktober 1942: Unter der Leitung von Clemens Krauss, Dirigent und auch Librettist, wird die Oper "Capriccio" von Richard Strauss uraufgeführt. Es ist das letzte vollendete musikdramatische Werk des 76-jährigen Komponisten. Und es wollte so gar nicht in die Zeit passen.
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Der Zweite Weltkrieg tobte, die schrecklichsten Verbrechen ereigneten sich wöchentlich, täglich, stündlich – eine in der Menschheitsgeschichte bis dato beispiellose Vernichtungsmaschinerie lief auf Hochtouren. Auch im Oberbayerischen ängstigte sich die Zivilbevölkerung mehr und mehr vor den üblicherweise nachts einsetzenden Bombenangriffen. Richard Strauss, ein Greis von 76 Jahren, zog sich in seinen Elfenbeinturm zurück, erörterte auf Notenpapier apolitische Luxusprobleme: im Rahmen eines "Konversationsstücks für Musik"! Die Linie des "Rosenkavaliers" griff der Komponist für "Capriccio" wieder auf. Ein Tonfall des Abschieds durchdringt die Figur der Gräfin noch stärker als zuvor die der Marschallin.
"Capriccio" war sein letztes Bühnenwerk. Strauss hat hier sein musikdramatisches Testament formuliert. Für das Libretto ging der erste Impuls von einer Salieri-Oper aus: "Prima la musica, poi le parole / Erst die Musik, dann der Text". Nur ein paar Wochen vor Mozarts "Figaro" wurde die in Wien aus der Taufe gehoben, und zu dieser Zeit ist auch die Handlung des "Capriccio" angesiedelt (wenngleich in Paris): Es geht um die Frage, ob die Musik innerhalb der Oper wichtiger ist als der Text, oder umgekehrt. Wem gebührt der Vorrang? Pikanterweise werden die beiden elementaren Komponenten des Genres Oper, also Musik und Text, personifiziert durch einen Musiker und einem Dichter: Flamand und Olivier werben um ein und dieselbe Frau! Am Schluss bleibt es in der Schwebe, für welchen der beiden symbolträchtigen Verehrer die Gräfin sich entscheidet. Vielleicht wird es ja auch eine ménage à trois!
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Richard Strauss - Capriccio, op.85
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Sendung: "Allegro" am 28. Oktober 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK