Fanny & Felix
Die Mendelssohns: Zwei Leben für die Musik
Im Jahr 1830 reiste Mendelssohn nach Italien. Inspiriert von den Reiseeindrücken schrieb er seine vierte Symphonie. So entstand das musikalische Kaleidoskop eines Landes, das für den jungen Komponisten damals mehr bedeutete als Sonne, Strand und Meer. BR-KLASSIK stellt dieses Starke Stück mit dem Dirigenten Christoph Poppen vor.
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Die Sendung zum Anhören
Euphorisch und wie in einem Rausch muss sich Felix Mendelssohn Bartholdy gefühlt haben, als er zum ersten Mal italienischen Boden betrat. Gleich zu Beginn des Eröffnungssatzes seiner vierten Symphonie zieht er alle Register dieser Begeisterung und reißt den Hörer mitten hinein in einen Strudel temperamentvoller Lebenslust und Heiterkeit. Die repetierenden Holzbläser sind der Pulsschlag in diesem lebendig gewordenen sonnendurchfluteten Gemälde und lassen den ausladenden Violinen großzügig Raum diese bezaubernde südländische Landschaft bunt und leuchtend einzufärben. Kein Zweifel: Felix Mendelssohn Bartholdy lässt uns hier alle Freiheit der Fantasie, um einzutauchen in prallstes Leben.
Christoph Poppen | Bildquelle: © Takao Komaru Ein Traum ging für Mendelssohn in Erfüllung, als er im Mai 1830 nach einem Besuch in Weimar bei Johann Wolfgang von Goethe mit gut gemeinten Reisetipps im Gepäck den beschwerlichen Weg über die Alpen antrat, in das Land, "wo die Zitronen blühn". Lief aber Mendelssohn bei diesem Überschwang an schwärmerischer Begeisterung auf seiner ersten Italienreise nicht Gefahr, das Klischee des naiven, stets heiteren, glückseligen unbeschwerten Künstlers aus gutem Hause mit neuer tiefromantischer Musik endgültig klebrig zuzupappen? Wieder mal ein musikalisches Märchen mit Happy End? Dirigent Christoph Poppen wehrt sich gegen vorgefertigte Sichtweisen: "Für mich hat Mendelssohns Musik eine große Tiefe. Was ihm zum Verhängnis geworden ist: Die romantische Sehnsucht, wie sie auch bei ihm ganz deutlich zu spüren ist, findet in seiner Musik ihre positive Erfüllung; da unterscheidet er sich von anderen romantischen Komponisten. Und das hat ihm den Vorwurf der Oberflächlichkeit eingehandelt – nach dem Motto: ein Konflikt, der gelöst wurde, kann doch kein echter Konflikt gewesen sein. Dabei steckt auch in dieser Symphonie wirklicher Ernst: Denken Sie nur an den Pilgermarsch im zweiten Satz!".
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Eine wirklich ganz andere Stimmung schlägt uns im zweiten Satz dieser vierten Symphonie entgegen. Italienische Lebenslust und fröhliche Heiterkeit sind dunklen Grautönen gewichen. Waren die aufbrausenden Violinen im Eröffnungssatz kaum zu bändigen, müssen sie sich jetzt einer einfachen, fast simplen Liedstruktur beugen. Die Bässe im Hintergrund geben dabei unerbittlich fast wie mit erhobenem Zeigefinger den monotonen Ryhthmus an. Werden hier etwa die "Leichensteine" beschrieben, die "verfallenen, maroden Paläste Venedigs", deren düsteren Stimmung sich Mendelssohn nicht entziehen konnte, und die ihn "verstimmt und traurig" gemacht haben – einer der "Wermutstropfen" dieser Reise? Was verbirgt sich hinter diesem Stimmungswechsel? Sollte hier Meister Goethe seine Finger im Spiel gehabt haben? Carl Friedrich Zelter hörte in diesen Klängen die Anfangsstrophe des von ihm vertonten Gedichts "Es war ein König in Thule" heraus. Ignaz Moscheles dagegen glaubte fest an die Version einer böhmischen Pilgermelodie, und dieser Meinung ist auch Dirigent Christoph Poppen: "Da hört man schon Sehnsucht – wie nach dem Heiligen Gral. Auf einer Pilgerreise pilgert man sich ja auch zu etwas Heiligem hin."
Beim dritten Satz der "Italienischen" Symphonie handelt es sich um ein Menuett. Diese Tanzform war für Mendelssohn zu diesem Zeitpunkt ein schon quasi ad acta gelegtes "Relikt" seiner Anfängerjahre. Der bewusste Verzicht auf das übliche Scherzo: ein gekonnter Schachzug? Ein bezauberndes luftiges Menuett, ganz nach klassischer Manier lässt nach der gewissen Düsterkeit des zweiten Satzes erst einmal erleichtert aufatmen und ist eben auch die "mildere" Variante, um auf ein rasantes Finale vorzubereiten. Nicht zuletzt gerade in diesem Satz ist wieder etwas von der "Wärme, der Milde, der Heiterkeit, des Behagens und des Frohsinns" spürbar – Eindrücke, die der Komponist ganz am Anfang seiner Italienreise notierte.
Im 4. Satz "Saltarello. Presto” setzt Mendelssohn ein ebenso markantes wie fulminantes Schlusszeichen unter die vielen Eindrücke einer für ihn einzigartigen Reise . Noch einmal wird man so richtig schön "durchgewirbelt" von den Schönheiten der Landschaft, den Meeresstürmen der Adria, der Heiterkeit, und vor allem dem südländischen Temperament. Wieder sind es die Bläser, die bestimmt die Dynamik vorgeben. Tanzende Mädchen in der malerischen Küstenstadt Amalfi sollen Mendelssohn zu diesem Schlusssatz angeregt haben, und auch der Komponist selbst "tanzt" hier wieder mal aus der Reihe, indem er gerade den Saltarello – einen traditionellen italienischen Sprungtanz, dessen Geschichte bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht – zum "Protagonisten" dieses beeindruckenden Finales macht. Nicht zu vergessen die Tonart: Es war für damalige Verhältnisse doch recht außergewöhnlich, eine Dur Symphonie in Moll zu beenden!
Die Italienische Sinfonie wurde bei der Uraufführung am 13. Mai 1833 in London ein voller Erfolg. Die deutsche Erstaufführung fand am 1. November 1849 im Leipziger Gewandhaus unter der Leitung von Julius Rietz statt. Mendelssohn, der selbstkritische Zweifler, hätte seine wahre Freude, wenn er wüsste, dass gerade diese Symphonie, dieses "musikalische Tagebuch" einer "unglaublichen Reise" in den Süden bis heute eines der meistgespielten Werke in den Konzertsälen dieser Welt ist.
Felix Mendelssohn Bartholdy:
Symphonie Nr. 4 A-Dur, op. 90 "Italienische"
Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
Leitung: Christoph Poppen
Label: Oehms Classics
Sendung: "Das starke Stück" am 09. April 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK