Der französische Geiger Jean-Luc Ponty gehört zu den wenigen wegweisenden Jazzmusikern aus Europa, die nicht nur die Spielweise ihres Instruments für Jahrzehnte prägten, sondern ihm ein für allemal den Außenseiterstatus nahmen. Am 29. September feiert der Fusion-Pionier, der als "Coltrane der Geige" begann, seinen 80. Geburtstag.
Bildquelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Daniel Knighton
Die Jazzgeige ist so alt wie der Jazz selbst und war Anfang des 20.Jahrhunderts fester Bestandteil vieler Bands. Doch ihre Bedeutung schwand, als Ponty 1942 in Avranches in den Windeln lag. In den 50er Jahren fanden die Violin-Stars der Swing-Ära weniger Beachtung, jüngere und modernere Vertreter so gut wie keine Aufmerksamkeit. Die Violine galt als Kuriosum, das nur von ganz wenigen Begnadeten jazzmäßig gespielt werden kann. Erst als Jean-Luc Ponty in den Sechzigern die Geige aus dem Dornröschenschlaf weckte, wurde die Rubrik "Violine" in der jährlichen Bestenliste im amerikanischen Down Beat Magazine eingeführt. Dadurch rückten auch seine Wegbereiter wieder ins Rampenlicht und Senioren wie Joe Venuti, Stéphane Grappelli und Stuff Smith erlebten einen zweiten Frühling.
Der Mann mit der fünfsaitigen Geige hat unglaubliche Pionierarbeit geleistet, indem er die zwanzigjährige Entwicklung des modernen Jazz von Parker bis Coltrane auf der Geige nachvollzog und voranbrachte. Dank seiner ungemein flüssigen Phrasierung und seines langsamen Vibratos klang sie in seinen Händen sehr "saxophonistisch". Diese Leistung ist umso erstaunlicher, als Jean-Luc Ponty praktisch als Einzelgänger sein Instrument neu erfinden musste.
Sein solides klassisches Fundament hat seinen späteren Stil kaum geprägt, doch nachdem der Sohn eines Violinprofessors sein Studium am Pariser Konservatorium mit der höchsten Auszeichung, dem "Premier Prix" abschloss, arbeitete er einige Jahre in einem klassischen Orchester. Jazz spielte er zunächst nebenbei auf Klarinette und Saxophon. Es vergingen einige Jahre, bevor er die Möglichkeiten seines Hauptinstruments im Jazzkontext erkundete.
Jean-Luc Ponty (links) im ZDF, 1976 | Bildquelle: picture alliance | Arthur Grimm Zwar hatte es vor Ponty Versuche gegeben, Bebop auf der Geige zu spielen, doch auf die eine oder andere Art überzeugten sie nicht: Helmut Zacharias hatte für eine kurze Zeit Bop-Klischees aneinandergereiht, Harry Lookofsky zwar gute Bebop-Soli aufgenommen, doch sie waren ausgeschrieben und nicht improvisiert. Wer hätte Ponty zum Vorbild dienen sollen? "So sehr ich Grappelli auch bewunderte, er war kein wirklicher Bebop- oder Modern-Spieler, und deshalb gab es für mich kein Vorbild bei irgendeinem Geiger." Bei dem afro-amerikanischen Geiger Stuff Smith fand Ponty allerdings den Ansatz, "die Geige dem Jazz anzupassen und nicht umgekehrt... Obwohl ich wiederum nicht genau kopieren konnte, was er tat, weil ich hauptsächlich Miles und Coltrane hörte. Aber ich denke, er hat mich inspiriert und ermutigt, diesen Weg zu gehen, die traditionellen Techniken auf der Geige definitiv zu vergessen und das Instrument einfach an das anzupassen, was für das Spielen von Jazz nötig war." So fand er zu einer Spielweise, die trotz erstaunlicher Virtuosität wie ein Anschlag auf die Tradition des Instruments wirkt. "Er spielt Geige wie Coltrane Saxophon" brachte Smith das Ergebnis auf den Punkt.
Doch der Initiator der Geigenwelle begnügte sich nicht mit virtuos ausgeführten Bebop-Läufen und modalen Tonkaskaden, sondern wurde zum Jazzrock-Pionier. Durch seine brillante Handhabung elektronischer Mittel wie Wah-Wah-Pedal, Verzerrern, Phase Shifter und Echokammer wurde Jean-Luc Ponty zum Vorbild einer ganzen Generation von Fusion-Geigern. Da er seine Violine mit Midi ausstattete, konnte er sie handhaben wie einen Synthesizer. Sein Abschied vom viersaitigen Geigenmodell machte schnell Schule bei anderen Jazzgeigern. Mit einer zusätzlichen c-Saite vereinigt er seit 1978 auf seiner Violine den Tonumfang von Bratsche und Geige. Daneben spielt er die Violectra. Von den 60er bis 80er Jahren war dies ein viersaitiges, elektrisches Instrument, das eine Oktave tiefer war als die Geige. Später wurde es sechssaitig mit zusätzlicher f- und c-Saite. Alle Instrumente spielt er mit der ihm eigenen lockeren Mühelosigkeit.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
King Kong
Sucht man abgesehen von seinem Debut "Jazz Long Playing" (1964) nach einem Meilenstein in Jean-Luc Pontys Diskographie, wird man bei "King Kong" (1969) fündig, dessen mit Ironie und Irrwitz gespickte Kompositionen von Frank Zappa stammen. Wenn nicht der Sound von George Dukes E-Piano das Alter des Albums verriete, würde man die ironische Feierlichkeit einer Komposition wie "Idiot Bastard Son", den Irrwitz von "America Drinks And Goes Home" und den bunt schillernden stilistischen Abwechslungsreichtum der "Music For Electric Violin And Low Budget Orchestra" nicht über ein halbes Jahrhundert zurückdatieren. "King Kong" entstand kurz vor Miles Davis' "Bitches Brew", und ist ein exemplarischer Vorbote des Jazz-Rock mit Verbindungslinien zur – damals noch so genannten – E-Musik. "Fusion" also im besten Sinne des Wortes – doch leider war diese unkommerzielle Musik bei allem Unterhaltungswert zu differenziert, um wegweisend für den Mainstream der elektrischen 1970er Jahre zu werden.
Pontys spätere Fusion-Alben der 1970er und 80er Jahre – darunter zwölf erfolgreiche Platten für Atlantic – waren mit tanzbaren Grooves, repetitiven Mustern und ätherischem Synthi-Rauschen leichter verdaulich und zeitigten Hits wie "New Country", die auch Nicht-Jazzhörer begeisterten. Sie entstanden, nachdem er 1972 mit seiner Familie – darunter seine Tochter, die heutige Pianistin und Komponistin Clara Ponty – nach Los Angeles übersiedelt war, um sich Zappa anzuschließen und mit John McLaughlins Mahavishnu Orchestra zusammenzuarbeiten. Seitdem war Jean-Luc Ponty im Pop-Rock eines Elton John ebenso zu Hause wie bei der Avantgarde eines Giorgio Gaslini. Auftritte in der alten Heimat und, damit zusammenhängend, das Zusammenspiel mit westafrikanischen Musikern, die als Emigranten in Frankreich lebten, führte ab 1988 bei ihm zu einer weltmusikalisch inspirierten Fusion. "Ich war wieder Student. Ich lernte neue Rhythmen, konzentrierte mich auf sie, wie damals, als ich den Jazz entdeckte, der aus der klassischen Musik kam."
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Jean Luc Ponty, Kyle Eastwood & Biréli Lagrène Trio 2017 08 06 La Petite Pierre, France
Wie seine Freunde aus der Glanzzeit der Fusion, John McLaughlin und Chick Corea, dessen Band "Return To Forever" er sich 2011 anschloss, wechselte auch Jean-Luc Ponty im Spätwerk öfters zur akustischen oder nur behutsam verstärkten Musik. Im Trio mit Al DiMeola und Stanley Clarke auf "The Rite of Strings" präsentierte er sich 1994 "unplugged". Auf seinem bislang letzten Album, "D-Stringz" (2015) spielt er wieder in einem akustischen Trio mit Stanley Clarke und Biréli Lagrène. Sie interpretieren unter anderem John Coltranes "Blue Train" und auch Django Reinhardts "Nuages". So naheliegend die Tradition des Jazz Manouche für einen französischen Jazzgeiger auch sein mag: Jean-Luc Ponty schien darum lange einen Bogen gemacht zu haben, obwohl er 1966 den Prix Django Reinhardt gewonnen hatte und zwischenzeitlich auch viele Gypsy-Jazz-Geiger beeinflusst hat. Mit dem Album "D-Stringz" und Konzerten mit dem Biréli Lagrène Trio schloss sich für ihn aber auch dieser Kreis. Der Wanderer zwischen den musikalischen Welten bleibt weiterhin für Überraschungen gut.