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Kritik – András Schiff in Salzburg Ein Hinreißender Klavierabend

Er hasst Steinways. Er liebt es, seine Klavierabende selbst zu moderieren. Der Pianist András Schiff ist ein Individualist, meist sehr charmant und manchmal auch ein wenig stur. Mit 70 Jahren zeigt er sich bei den Salzburger Festspielen auf dem Höhepunkt seines Könnens.

András Schiff 2024 bei seinem Solokonzert in Salzburg. | Bildquelle: © SF/Marco Borrelli

Bildquelle: © SF/Marco Borrelli

Wenn er hereinkommt, erinnert er in seinem hochgeschlossenen schwarzen Anzug an einen gutmütigen pensionierten Geistlichen. Das ändert sich schlagartig, wenn er spielt. Dann vibriert der Blüthner-Flügel, in den er sich verliebt hat, vor jugendlicher Energie. Blitzschnell, hellwach, oft fast übermütig fliegen und treffen die Finger. 70 Jahre? Das glaubt kein Mensch - bis er aufsteht und sich zeremoniös und wieder ein wenig umständlich verbeugt.

Im Plauderton führt er dann, leichthändig zwischen Deutsch und Englisch wechselnd, durch das Programm. Nicht ohne Sinn für Situationskomik. Verspäteten Besuchern, die zwischen den Werken eingelassen werden und nicht gleich ihren Platz finden, bietet er schelmisch seinen Klavierhocker an. Und etwas später frotzelt er, nachdem er länger etwas auf Deutsch erzählt hat: "And now to the English speaking people. You should learn German." Der Saal lacht, dabei ist der Scherz durchaus ernst gemeint: Die Sprache, in der die Komponisten gesprochen haben, steckt auch in der Musik. Das ist Schiffs feste Überzeugung. 

ANDRÁS SCHIFF: DIE SPRACHE IN DER MUSIK

Pianist András Schiff  | Bildquelle: Nadia F Romanini Der Pianist András Schiff | Bildquelle: Nadia F Romanini Wer also Bach, Mozart, Haydn, Beethoven, Mendelssohn und Schumann – die Komponisten dieses Klavierabends – stimmig spielen will, der sollte die Sprechmelodien typischer deutscher Wörter und Sätze im Kopf haben. Sagt Schiff. Und bringt dafür gleich auch Beispiele, die er am Flügel demonstriert. Etwa, wenn Robert Schumann in seiner großen C-Dur-Fantasie eine Zeile aus einem Lied Ludwig van Beethovens zitiert. Natürlich schwingen dann die Wörter mit. Clara Schumann jedenfalls, die Adressatin dieser verschlüsselten Liebeserklärung, wusste genau, dass in diesen Tönen eine Botschaft steckt.

DER DICHTER SPRICHT 

Das macht die Größe des Pianisten András Schiff aus: Er bringt die Musik auf unvergleichliche Weise zum Sprechen. Dabei hilft ihm der Flügel, den er spielt: ein alter Blüthner. Nicht weil es historisch korrekt wäre - schließlich müsste man Bach auf einem Cembalo spielen und Mozart auf einem Hammerklavier. Sondern weil dieses mehr als 100 Jahre alte Instrument mit seinem feinen, sehr konturierten Klang Schiffs Bedürfnis nach einem sprechenden Klang entgegenkommt.

Sprechend spielen, das heißt: die Freiheit nutzen, die im spontanen Ausdruck steckt. Jede Phrase öffnet und schließt sich, die Zwischentöne, das Zögern, die halbe Stimme, der Überschwang, wenn die Gedanken sprudeln: Schiff saugt den Sinn aus den Noten. Für diese Musik, die der deutsch-österreichischen Klassiker und Romantiker, tut er das mit einzigartiger Sicherheit. Ohne eine Spur von Übertreibung, ganz frei und doch so, als könnte es gar nicht anders sein.

Salzburger Festspiele auf BR-KLASSIK

Alles über die diesjährigen Salzburger Festspiele, die Radioübertragungen bei BR-KLASSIK sowie Videostreams finden Sie im Salzburg-Dossier.

András Schiff in Salzburg: FREIHEIT UND GENAUIGKEIT 

Diese Verbindung von Freiheit und Strenge ist auch das Thema seines Klavierabends: Auf dem Programm stehen lauter Fantasien. Bachs "Chromatische Fantasie und Fuge" etwa oder Beethovens "Sonata quasi una fantasia" in Es-Dur. In einer Fantasie muss es so klingen, als würde die Musik beim Spielen aus den Fingern hervorquellen, als würde der Komponist am Flügel sitzen und improvisieren. Schiff gelingt das mit einer Überzeugungskraft, bei der ihn für dieses Repertoire kaum ein lebender Pianist übertrifft. Ein hinreißender Abend, stehende Ovationen.

Sendung: "Allegro" am 16. August 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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