Raus aus der Komfortzone - beim ARD-Musikwettbewerb 2023 standen mit Viola und Kontrabass zwei Instrumente im Mittelpunkt, die eher selten solo zu hören sind. Die Harfe erstaunte mit jazzigen Tönen und breitem Repertoire, bei den Klaviertrio gings um die Balance. Mit den Preisträgerkonzerten in München endet der Wettbewerb - vier BR-KLASSIK-Reporter:innen fassen die Essenz des Wettbewerbs zusammen.
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Sport und Musik stehen ja selten in direktem Zusammenhang. Dabei geht es in der Musik sportlicher zu, als vielfach angenommen: Es gibt Schätzungen, dass 30 Minuten Musizieren über 500 Kilokalorien verbraucht, das entspricht mehr als 10.000 Schritten. Und dann verbindet Profimusikerinnen und -musiker und Sportreibende noch etwas: Ausdauer – wie beim Marathonlaufen. Der ARD-Musikwettbewerb hatte am Ende auch davon etwas. Hinter der Ziellinie ist dann Zeit, die letzten Wochen Revue passieren zu lassen.
"Der Kontrabass ist das scheußlichste, plumpeste, uneleganteste Instrument, das je erfunden wurde. Ein Waldschrat von Instrument"– Wie gemein, oder? Patrick Süßkind beschreibt ihn so, in seinem Theaterklassiker "Der Kontrabass“. Die Hassliebe zu einem Instrument, das man nicht in der U-Bahn transportieren möchte. Dabei kann dieses tiefe Saiteninstrument auch richtig solistisch glänzen.
Bildquelle: picture-alliance/ dpa | Lehtikuva Jussi Nukari Wirklich vorne zu stehen und die erste Stimme zu übernehmen, das entspricht dem Alltag eines Kontrabassisten eigentlich gar nicht. Wer dieses Instrument wählt, das das klangliche Fundament eines Orchesters ist, hat vielleicht auch eine bestimmte Persönlichkeit, vermutet BR-KLASSIK-Reporterin Rita Argauer. Sie hat den Wettbewerb im Fach Kontrabass seit Ende August begleitet und dabei ganz eigene Beobachtungen gemacht: "Es ist schon lustig, wie die Charaktere dann oft auch dem Instrument entsprechen: Auf mich wirkten die Kontrabassisten alle eher ruhig, sehr bei sich", schwärmt Rita Argauer in dem Feature über den ARD-Musikwettbewerb. Ihr seien Menschen begegnet, die sich selbst nicht so wichtig nehmen.
Kaum eine imposante Orchesterstelle kommt ohne Bass aus. Er erdet die Musik und lässt sie gleichzeitig physisch spürbar werden. Er füllt den Raum. Aber: Er ist auch unscheinbar. Melodielinien stechen in der tiefen Lage nicht heraus. Kleinere Intervalle sind schwierig zu hören. Der Kontrabass ist ein Instrument, das sich im Orchesteralltag nicht nach vorne spielt. Und nun also Solo. Es waren besonderen Momente, die jungen Menschen aus den hinteren Reihen im Orchester ganz nach vorne an die Rampe treten zu sehen.
Bratschen ist heißer als man glauben mag. | Bildquelle: Heribert Schindler in Zusammenarbeit mit Fraunhofer IFAM Dresden Bratscherwitze sind der Klassiker auf jeder Party mit Orchestermusikerinnen und -musikern – und nein: Hier ist jetzt keiner zu lesen. Zu abgedroschen das Klischee vom trägen Instrument und langsamen Spiel. Agil, spritzig, lebensfroh - auch das kann Bratsche. BR-KLASSIK-Reporterin Denise Maurer hat sich während des Wettbewerbs zwei Wochen mit den Spielerinnen und Spielern der Viola unterhalten und festgestellt: Die sind ein lockerer, lustiger Schlag Mensch, die sich selbst nicht so ernst nehmen. Unter den Teilnehmenden heuer waren viele das zweite Mal dabei. Am Anfang waren es 46 an der Viola, die vor allem Bach, Paganini und Reger spielten.
Für das Seminfinale mussten alle ein Auftragswerk einstudieren. Für das Solostück von Alberto Posadas mit dem Titel "Doryphóros" hatten sich die Teilnehmenden im Fach Bratsche zusammengetan und sich über soziale Kanäle sogar unterstützt. Keine Konkurrenz untereinander, sondern gemeinsames Tüfteln, wie das Stück am besten gelingen kann. Übrigens haben viele der Bratschisten früher Geige gespielt und dann gewechselt. Noga Shaham aus Israel zum Beispiel. Diese Entscheidung sei auch eine Frage der Persönlichkeit gewesen, sagt sie. Bei der Violine sei es das Ziel, die erste Geige zu spielen, an der Spitze zu stehen. Wer zur Bratsche wechselt, möchte genau das nicht.
Sie ist traditionell noch immer in den Händen der Frauen: die Harfe. Dieses Jahr waren drei Männer beim Wettbewerb dabei. BR-KLASSIK-Reporter Tobias Hell hat dieses "göttliche Instrument der Engel" begleitet und es aber erstmal profund angehen lassen. Zur Vorbereitung hat er sich bei Harfenbauer Klaus Horngacher in Starnberg den Aufbau des Instruments erklären lassen. Und dabei erfahren, dass die Harfe aus rund 1500 Einzelteilen besteht und dank einer ausgefeilten Technik beinahe denselben Tonumfang wie ein Klavier hat.
Finalistin an der Harfe: Tjasha Gafner | Bildquelle: Daniel Delang Wobei der Transport der Harfen auch eine der zahlreichen logistischen Herausforderungen des Wettbewerbs war. Denn: Hinter all den Tönen, Klängen, Melodien steht auch Tragen, Listenschreiben, Telefonieren und trouble-shooting. Was der Wettbewerb beeindruckend gezeigt hat: wie vielseitig das Harfenrepertoire sein kann. Gerade in der zweite Vorrunde war der Bogen sehr weit gespannt. Von Operntranskriptionen über Zeitgenössisches bis hin zu Werken mit Jazz-Einschlag. Am Ende entschied die Jury sich dann für drei Musikerinnen.
Trio Orelon, die Gewinner 2023 | Bildquelle: Daniel Delang Auch ein Fach in diesem Jahr: das Klaviertrio. Viele Solistinnen und Soliten formierten sich extra für den Wettbewerb zum Trio - einige aber spielten bereits seit Jahren als Ensemble zusammen. Wie die Finalisten: das Trio Amelio und das Trio Orelon. Da merke man dann auch, dass der Klang zu einem zusammenschmilzt, erzählt BR-KLASSIK-Reporter Ulrich Möller-Arnsberg, der das Fach während der zwei Wochen des Wettbewerbs begleitet hat.
Haydn, Mozart und Beethoven waren Pflichtprogramm, das Trio Pantoum aus Frankreich fiel von Anfang an mit modernen Werken auf. Und schaffte es ins Finale. Auffallend ist auch der Style: schwarzer Anzug, rote Socken. Bo-Geun Park hatte eigentlich nur aus Spaß seinen Kollegen rote Socken geschenkt, weil er selbst gern welche trug: "Wir spielten ein Konzert mit roten Socken. Danach gab es einen Artikel über die roten Socken, und so wurde es unser Markenzeichen."
Die Balance zwischen Klavier und Streichinstrumenten, sie ist ein spezielles Thema bei den Klaviertrio-Experten. Die Juryvorsitzende Susan Tomes, selbst Pianistin, erklärt, dass ein Flügel mit offenem Deckel leiser ist, als das Publikum glaubt.
70 Prozent des Klavierklangs geht durch den Boden.
Wenn der Deckel geöffnet ist, könne der Pianist tatsächlich sehr viel klarer erkennen, ob er zu laut ist, so Jurorin Tomes. Dieses Balance zwischen Klavier- und Streicherklang gelang den drei Finalisten ziemlich perfekt.
Sendung: "KlassikPlus - Musikfeature: Am 16. September 2023 ab14.00 auf BR-KLASSIK
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