Der französische Denker Jean-Paul Sartre forderte von allen Menschen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen – und dabei stets auch an alle anderen zu denken. Dieser Grundsatz des Existentialismus soll die sieben Opern prägen, die in der nächsten Saison gezeigt werden. Um den krisengeschüttelten Sponsor BMW fürchtet die Staatsoper einstweilen nicht.
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In jeder Hinsicht ganz schön riskant, die nächste Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper. Der aus Belgien stammende Intendant Serge Dorny hält sich an ein berühmtes Motto des nicht gerade bequemen französischen Denkers Jean-Paul Sartre. Der schrieb mal: "Der Mensch ist lediglich so, wie er sich konzipiert. Der Mensch ist nichts anderes, als wozu er sich macht." Mit anderen Worten: Sartre fordert von jedem Einzelnen Eigenverantwortung, sein Leben in die eigenen Hände zu nehmen und nicht irgendwelchen Populisten hinterherzulaufen.
Dieser erste und fundamentale Grundsatz des Existentialismus hat demnach die Auswahl der Stücke für die nächste Saison geprägt, die übrigens wegen Renovierungsarbeiten etwas kürzer sein wird und erst Ende Oktober beginnt. Der Mensch ist grundsätzlich frei, auch zum Unglücklichsein. "Wir sind nicht vorherbestimmt", sagt Serge Dorny. "Und ich finde heute, in diesen Zeiten, wo unsere Verantwortung und unsere Freiheit ständig in Fragen gestellt werden und sich täglich verändern, ist das ein hochaktuelles Thema. Das heißt, wir können selbst entscheiden und die Meinung von jedem Einzelnen ist wichtig und wir können selbst gestalten, handeln und unsere Aktionen entscheiden, wer wir sind und wie die Welt und unsere Gesellschaft von morgen aussehen."
Intendant Serge Dorny | Bildquelle: Bayerische Staatsoper
Damit nicht genug Risiko: Serge Dorny engagierte für Repertoire-Aufführungen zwar abermals große Stars, doch bei wichtigen Neuproduktionen wie Wagners "Walküre" setzt er weitgehend auf Debütanten, auf Nachwuchskräfte, die bereits ihr sängerisches Format bewiesen haben: "Das ist wichtig, gerade wenn wir Neuproduktionen machen, wo die Zeit dafür da ist, an einer Aufgabe zu wachsen, diese lange Probenzeit, sechs oder sieben Wochen. Da kann man miteinander arbeiten, Entwicklungen durchmachen, mit diesen Sängern gestalten. Das ist, glaube ich, gerade bei Neuproduktionen mit Künstlern interessant, die ein Rollendebüt machen. Wir lieben unsere Stars, die sind in der nächsten Spielzeit alle dabei, aber ich glaube, wir sollten die gesamte Auswahl, die auf Bühnen heutzutage geboten ist, präsentieren. Niemals waren Qualität und Angebot so groß wie jetzt."
Serge Dorny verweist auch darauf, dass die Bayerische Staatsoper nicht stets dieselben Sänger präsentieren will, die auch an allen anderen großen Häusern zu erleben sind. Die eigene Handschrift zählt, auch bei der Besetzung. Dorny sagt gegenüber dem BR: "Die Bayerische Staatsoper war immer ein innovatives Haus. Unsere Vorgänger haben den Mut gehabt, junge Musiker wie den gerade mal gut 30-jährigen Richard Strauss einzuladen. Ich glaube, das ist die DNA der Bayerischen Staatsoper. Wenn wir an die Zukunft der Oper glauben und uns an ihr erfreuen, dann sollten wir eine Nostalgie der Zukunft haben."
Wir sollten Nostalgie der Zukunft haben.
"Nostalgie der Zukunft", das klingt so ironisch wie treffend: Gerade in der Oper gibt es ja viel Konservatismus, und das Münchner Publikum gilt nicht gerade als besonders neugierig und aufgeschlossen, sondern eher genussorientiert, weshalb italienische Werke sehr populär sind, neben den Hausgöttern Mozart, Wagner und Richard Strauss. Das sprichwörtliche "Heimweh nach der Zukunft", also nach Uraufführungen, ist weniger stark ausgeprägt. Gleichwohl wird sich der in Brisbane geborene australische Komponist Brett Dean in der neuen Oper "Of One Blood" mit dem Duell der beiden Königinnen Elisabeth und Mary Stuart beschäftigen (10. Mai 2026). Außerdem erwarten die Zuschauer Charles Gounods Romantik-Thriller "Faust" (8. Februar 2026) und Verdis "Rigoletto" (7. März 2026). Wagners "Walküre" wird die Opernfestspiele am 25. Juni 2026 eröffnen.
Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski | Bildquelle: Tosca Media Film und Fernsehproduktion GmbH
Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski freut sich auf dieses "Liebesdrama", mindestens ebenso wichtig ist ihm allerdings "Die Nacht vor Weihnachten" (29. November 2025), eine wenig gespielte und politisch seinerzeit durchaus umstrittene Oper von Nikolai Rimski-Korsakow aus dem Jahr 1895. Grund für die Neugier: Sie spielt in der Ukraine, und der Dichter Nikolai Gogol, der die zugrunde liegende Erzählung schrieb, wurde dort auch geboren und kulturell geprägt. Es wird also auch um das Spannungsverhältnis zwischen "Groß"- und "Klein"-Russland gehen, wobei allerlei Hexen und Fabeltiere ihren Auftritt haben. Regie führt der für sein hochprofessionelles Entertainment bekannte frühere Intendant der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky.
Der wichtige Geldgeber BMW, der gerade mit einem scharfen Gewinnrückgang Schlagzeilen machte, soll der Staatsoper übrigens erhalten bleiben, zum Beispiel für das Konzert "Oper für alle" im BMW Park am Münchner Westpark, wo normalerweise die Basketballmannschaft des FC Bayern antritt. Serge Dorny fürchtet trotz wirtschaftlicher Probleme nicht um den Zuschuss des Autokonzerns. "Die Bayerische Staatsoper ist für BMW wichtig, wir haben einen neuen Vertrag für die nächsten drei Jahre unterschrieben", sagt Dorny. "Es gibt Nachhaltigkeit in unseren Beziehungen, auch in schwierigen Zeiten verbindet uns viel mit BMW. Die Welt ändert sich nun mal, der neue Vertrag sichert die Zukunft."
Die Welt wird augenscheinlich turbulenter und vielleicht auch gefährlicher. Womöglich tatsächlich der richtige Moment, um sich auf Jean-Paul Sartre zu besinnen: "Wenn wir sagen, dass der Mensch für sich selber verantwortlich ist, so wollen wir nicht sagen, dass der Mensch gerade eben nur für sich selbst verantwortlich ist, sondern dass er verantwortlich ist für alle Menschen."
Sendung: "Allegro" am 17. März 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (7)
Montag, 17.März, 21:49 Uhr
Georg Steeger
@Sibylle Jungbauer
Jonas Kaufmann steht nach wie vor als Canio in der Besetzung der Premierenserie der Pagliacci und während der Festspiele.
Montag, 17.März, 14:26 Uhr
Neuhauser
@Barboncino
..wollen Sie selbst inszenieren? oder soll man Sie vorher fragen wie Sie (persönlich) die Aufführung gerne inszeniert haben wollen?
Sie können selbst entscheiden, ob Sie hingehen oder daheim bleiben.
Das schöne und das spannende an der Oper ist, dass man sich immer wieder mit einer neuen Inszenierung auseinander setzen darf. Die kann einem gefallen, man kann sie stimmig finden, oder es gefällt einem nicht, weil man es z.B. nicht versteht oder weil es einfach schlecht ist. Und dann können Sie immer noch (selbst bestimmt) gehen. Es muss keiner fressen und keiner sterben...
Montag, 17.März, 13:52 Uhr
Wolfgang
Future Nostalgia
Dua Lipa lässt grüßen.
Mittlerweile ist alles so beliebig geworden, dass man streiten kann, ob diese Pop-Sängerin ein höheres intellektuelles Niveau hat als der Indendant der Bayerischen Staatsoper.
Und die abgehalfterte Pseudo-Weltanschauung des intellektuellen Clowns Satre (wer liest den denn noch?Die von Jungblut versuchte Verlebendigung des "Existenzialismus" ist ja auch sehr phrasenhaft und ermuntert nicht gerade) wird bemüht, um dem beliebigen Programm, das durch das übliche Regisseurs-Kartell in vorsehbarerer Weise noch etwas heruntergezogen werden wird, einen pseudo-intellektuellen Anstrich zu geben.
Auch in der kommenden Saison werde ich Opern nur durch Aufnahmen rezipieren.
Montag, 17.März, 10:15 Uhr
Barboncino
2025/2026
Wir können selbst entscheiden. Hier irrt Sartre. Wir können gar nichts entscheiden, wenn wir eine Oper erleben wollen ! Uns wird einfach eine Inszenierung vorgesetzt, mag sie noch so stimmig oder scheußlich sein. Es gilt das Motto: Friss Vogel oder stirb.
Sonntag, 16.März, 22:38 Uhr
Hans Peljak
Operetten-Boulevard 16.03.
Die Giuditta-Arie sang hier nicht Adolf Dallapozza sondern eindeutig Werner Hollweg, ein anderer österreichischer Tenor!
Sonntag, 16.März, 17:36 Uhr
M.Sibylle Jungbauer
Pagliacci
Da ich extra Hotel u Reise gebucht habe, sehe ich mit Schrecken, dass Jonas Kaufmann die Segel gestrichen hat. Offiziell wurde das aber nirgends vermerkt
Sonntag, 16.März, 16:38 Uhr
Alexander Störzel
"Wir können selbst entscheiden"
Die Spielzeitpräsentation hat mir sehr gut gefallen.
Lebendig gestaltet und vorgetragen.
Die Premieren sind abwechslungsreich und werden vom jweiligne Werk her vom breiten Publikum seher geliebt ("Rigoletto", "Faust", "Walküre2).
Der Urauffhrung liegt eine sehr interessante und berühmte Vorlage zugrunde.
Viel Glück und Erfolg der Baerischen Staatsoper!