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Kritik – Wiederaufnahme "Siegfried" Neue Helden für Bayreuth

"Wandel und Wechsel liebt, wer lebt." Dieses oft zitierte Motto des Göttervaters Wotan könnte beinahe sinnbildlich über der aktuellen "Ring"-Produktion der Bayreuther Festspiele stehen. Im dritten Jahr präsentiert sich die Inszenierung unter anderem mit einer rundum erneuerten Tenorriege. Wobei natürlich vor allem der erste Bayreuther Siegfried von Klaus Florian Vogt mit Spannung erwartet wurde.

Szene aus "Siegfried" mit Catherine Foster als Brünnhilde, Bayreuther Festspiele 2024 | Bildquelle: © Enrico Nawrath

Bildquelle: © Enrico Nawrath

Tenor Klaus Florian Vogt hatte in den Vorjahren noch Siegmund verkörpert. Dieses Jahr singt er zum allerersten Mal Siegfried auf dem Grünen Hügel. Anders als der für ihn zu tief liegende Siegmund kommt der junge Held seiner hell und klar geführten Stimme deutlich mehr entgegen. Doch auch hier muss Vogt an mehr als einer Stelle basteln, um sich die Partie zurechtzubiegen. Punkten kann er vor allem in lyrischen Momenten wie dem "Waldweben" oder bei der Erweckung Brünnhildes, wenn Siegfried sich seinen Selbstzweifeln stellen muss und zum ersten Mal Furcht erlebt. Andere neuralgische Szenen wie die berühmten Schmiedelieder wirken eher erkämpft als wirklich erfüllt. Was aber auch daran liegen mag, dass Vogt sich in der Inszenierung von Valentin Schwarz nicht immer ganz wohlzufühlen scheint. Anders als sein spielfreudiger Vorgänger Andreas Schager, der den Siegfried mit unbekümmerter Haudrauf-Attitüde anlegte, ist Vogt eher der in sich gekehrte Grübler, der sich jede Phrase und jede Bewegung genau zurechtlegt.

Klaus Florian Vogt bei BR-KLASSIK

Lesen Sie hier ein ausführliches Interview mit dem Wagner-Tenor Klaus Florian Vogt über seine Interpretation des Siegfried und seine Idee der Bayreuther Festspiele.

Stützen des Bayreuther Ensembles

Szene aus "Siegfried", Bayreuther Festspiele 2024 | Bildquelle: © Enrico Nawrath Ya-Chung Huang als "Mime" in "Siegfried" bei den Bayreuther Festspielen 2024 | Bildquelle: © Enrico Nawrath Umso mehr Leben bringt Ya-Chung Huang als zweiter tenoraler Neuzugang auf die Bühne. Ein Mime, der ohne vokale Grimassen auskommt und seine intriganten Pläne mit einschmeichelndem Timbre perfekt zu tarnen versteht. Sein Schlagabtausch mit dem Wanderer zählt zu den Höhepunkten des Abends. Nicht zuletzt, weil auch Tomasz Konieczny diese dritte Inkarnation des Göttervaters Wotan eindeutig am besten in der Kehle liegt. Es mag nicht der am saubersten gesungene Wotan sein. Aber wie Konieczny sich dem Regiekonzept bedingungslos ausliefert und damit den Zyklus prägt, verdient Bewunderung und wird auch vom Publikum honoriert, das ihn am Ende mit jubelnden Ovationen verabschiedet. Laut wird es da aber ebenfalls für die Brünnhilde von Catherine Foster oder Okka von der Damerau als Erda.

Kampf dem Patriarchat

Ganz im Sinne der "Werkstatt Bayreuth" hat Regisseur Valentin Schwarz auch in diesem Sommer weiter an seiner von vielen angefeindeten Inszenierung justiert und im Detail nachgeschraubt. So dürfen sich Siegfried und der vom Regisseur hinzuerfundene junge Hagen nun etwa gegen Ende des zweiten Aufzugs durch den Rahmen eines zerstörten Vater-Sohn-Gemäldes ihren Weg in die vermeintliche Freiheit bahnen und so wenig subtil das Patriarchat hinter sich lassen. Doch auch ein wenig szenische Kosmetik ändert nichts daran, dass der "Siegfried" weiterhin den schwächsten Teil in Schwarz‘ großer Familiensaga bildet, die das Mythische konsequent ausblendet, aber die dadurch entstehenden Leerstellen nicht durchwegs mit gleichwertigen eigenen Ideen ersetzen kann. Was nach der dicht gearbeiteten "Walküre" für einen leichten Durchhänger sorgt.

Alles rund um die Bayreuther Festspiele

Wir übertragen sieben Opernproduktionen, begleiten Stars und Neulinge auf dem Grünen Hügel, laden namhafte Kritikerinnen und Kritiker zum Gespräch und machen Sie mit den Wagner-Crashkursen "klassik shorts" fit für die Bayreuther Festspiele. Entdecken Sie hier unser BR-KLASSIK Online-Dossier rund um den Grünen Hügel.

Die Heldin im Orchestergraben: Simone Young

Szene aus "Siegfried", Bayreuther Festspiele 2024 | Bildquelle: © Enrico Nawrath Szene aus "Siegfried" bei den Bayreuther Festspielen 2024 mit Ya-Chung Huang und Tomasz Konieczny | Bildquelle: © Enrico Nawrath Während sich für die Regie nach dem ersten Aufzug langsam die ersten Buhrufe im Saal regen, wird der Jubel für Dirigentin Simone Young dagegen gefühlt von Tag zu Tag größer. Und dies mit Recht. Die Dirigentin nimmt sich auf der dritten Etappe der Tetralogie erneut viel Zeit für Wagners Partitur, ohne dabei aber mit ihren getragenen Tempi den Bogen zu überspannen. Getreu dem Scherzo-Charakter des "Siegfried" fördert sie die kammermusikalischen Qualitäten des Festspielorchesters, das sie nicht nur im transparent ausgestalteten zweiten Aufzug immer wieder sanft abzudämpfen versteht. Ein scharf gezogener Kontrast, durch den die wuchtigen Schmiedelieder oder das stürmische Vorspiel zum dritten Aufzug umso unbarmherziger hereinbrechen und ihre Wirkung nicht verfehlen.

Sendung: "Allegro" am 1. August 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (5)

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Freitag, 02.August, 15:14 Uhr

Konrad Schemer

Ring in Bayreuth

@Luca Ronconi: ich habe mich an dem Wort "angefeindet" auch ein wenig gestoßen. Ich habe den Ring letztes Jahr in Bayreuth gesehen. Ja, es war überwiegend ziemlich banal, was nicht heißt, dass es nicht die ein oder andere ganz gute Szene gab, insgesamt war es aber eher enttäuschend. In unguter Erinnerung ist mir insbesondere das hektische Rumgezappel im ersten Akt der Götterdämmerung und der völlig verschenkte Schluss derselben geblieben. Um es kurz zu machen: die Musik ist einfach so viel größer als das, was auf der Bühne gezeigt wurde.

Donnerstag, 01.August, 19:08 Uhr

Luca Ronconi

Nicht "angefeindet" ...

... wird diese Ring-Inszenierung, sondern völlig berechtigt für total misslungen befunden. Ein Schmalspur-Ring, der irgendwo an kleineren deutschen Häusern als originell gelten würde, der aber für ein renommiertes Festival wie Bayreuth eher peinlich ist. Vor der Premiere als "Netflix-Ring" avisiert, entpuppte er sich als etwas, das in seiner trashigen Ästhetik und magerer Intellektualität nicht beim US-Streaming-Gigant vorstellbar wäre, sondern bei RTL Zwei (dass man am Theater kunstvoll mit Trash-Ästhetik umgehen kann, haben z. B. Zadek oder Castorf bewiesen). Zu so vielen Themen der Vorlage hat dieser Ring überhaupt nichts zu bieten, dafür aber irrelevant-oberflächliche Regieideen, die kein Ganzes bilden, sondern Stückwerk bleiben. Insgesamt erweckt die Aufführung den Eindruck eines Theaterstücks, das mit seltsam imposanter, nicht wirklich dazu passender Begleitmusik aufgeführt wird. Null Konnex zwischen Musik, Szene und Inhalt.

Donnerstag, 01.August, 18:54 Uhr

Gertrud Gauer

Laut wird's für Erda und Brünnhilde - in einem einzigen Satz werden beide Sängerinnen abgefertigt! Und ich weiß noch nicht einmal, war " laut " positiv oder negativ gemeint? Wie war die sängerische Leistung?

Donnerstag, 01.August, 14:59 Uhr

Konrad Messerer

KFV/Siegfried…!

…was immer die Festspielleitung zur Entscheidung für die Besetzung der Titelfigur mit Klaus Florian Vogt bewogen haben mag, es bleibt Realsatire. Eine Nicht-Stimme für eine DER dramatischen Wagner Partien, unglaublich! Das die Kritik noch die lyrischen Passagen der Partie als hörenswert beschreibt, ist die Umschreibung des Begriffs „seltsam“. Die großen Siegfried Sänger der Bayreuther Geschichte ziehen die Augenbrauen hoch. Man suche sich einen aus. Die Auffassung, man müsse eine Stimme nur oft genug hören- s. Herrn Kaufmann- irgendwann gefällt einem dann schon alles, ist nur der Blick auf das geschwundene Niveau in dieser Lage. Andreas Schager, Michael Spyres oder Martin Muehle sind schon rühmenswerte Ausnahmen. KFV ist die tönende Fehlbesetzung im Bayreuther Festspielhaus 2024…

Donnerstag, 01.August, 13:53 Uhr

Wolfgang Ludwig-Mayerhofer

Gut getroffen

Die Charakterisierung der musikalischen Leistungen entspricht recht genau meinen Höreindrücken am Radio.

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