Seit langem gilt sie als Wagner-Expertin: Zwar hat die Dirigentin Simone Young bereits in Wien, Berlin und Hamburg komplette "Ring"-Zyklen geleitet, aber erst jetzt debütiert sie damit auch bei den Bayreuther Festspielen.
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BR-KLASSIK: Frau Young, kann man sagen, dass Bayreuth eigentlich immer schon ein Sehnsuchtsort für Sie war?
Simone Young: Ach, ich weiß nicht, ob man das einen Sehnsuchtsort nennen will. Aber es ist selbstverständlich ein Platz von großer Wichtigkeit, und ich habe das Gefühl, dass sich da jetzt ein Kreis für mich schließt. Ich war vor mehr als 30 Jahren als Barenboim-Assistentin hier und habe dann im Vorfeld meines Hamburger "Rings" im Haus Wahnfried und in den Archiven hier vor Ort sehr viel Recherchen betrieben. Jetzt bin ich hier – und irgendwie passt alles.
BR-KLASSIK: Das war 1991 und 92, wo Sie Daniel Barenboim bei seinen letzten Bayreuther "Ring"-Zyklen assistiert haben. Was haben Sie damals von ihm gelernt – und speziell in Bayreuth?
Simone Young: Erst mal lernt man natürlich diese sehr spezielle Akustik kennen. Ganz egal, wie viel man darüber liest und mit den Kollegen bespricht – bis man das selber erfahren hat, hat man wirklich keine Ahnung, wie das funktioniert. Es ist nicht zu vergleichen mit irgendeinem anderen Orchestergraben auf der Welt. Da habe ich damals viel miterlebt und viel Feedback geben müssen aus dem Saal. Denn was man im Saal hört, ist ganz anders als das, was man als Dirigentin im Graben selber hört. Und die Akustik kann innerhalb eines Abends enorm variieren, wenn die Wände in einem Bühnenbild höher oder aus einem anderen Material sind, näher am Graben oder weiter weg. Alles macht einen sofort spürbaren Unterschied für uns und für die Musikerinnen und Musiker. Und man muss das steuern – was in einem Akt ausbalanciert klingt, ist mit einem neuen Bühnenbild im nächsten Akt plötzlich ganz anders.
Simone Young dirigiert zum ersten Mal Wagners "Ring" bei den Bayreuther Festspielen. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Und dafür sind die Bühnenorchesterproben wirklich lebensnotwendig, damit man diese ganz spezielle, wunderschöne Akustik in den Griff bekommt. Aber man muss auch daran arbeiten, die Artikulation kommt von manchen Instrumenten nicht so klar durch, wie man meint. Da hört man dann die Dirigenten mit den Assistenten kämpfen, wenn der Assistent sagt: Das muss kürzer und schärfer sein! Und wir sagen, das kann nicht kürzer oder schärfer sein, das ist so schon sehr hart. Und der Assistent erwidert: Egal, es trägt nicht. Und dann plötzlich – im nächsten Bild, mit einem ganz anderen Bühnenbild – ist alles viel zu hart, zu überartikuliert! Man muss den Klang in Bayreuth wirklich sehr genau modellieren.
BR-KLASSIK: Eine Besonderheit in diesem "Mystischen Abgrund" von Bayreuth ist ja, dass der Orchesterklang auf der Bühne und im Publikum ein bisschen verzögert, also leicht verspätet ankommt. Das heißt, man muss eigentlich immer vor dem Schlag beziehungsweise vorausdirigieren. Wie gewöhnt man sich denn an sowas? Ich stelle mir das schwierig vor.
Simone Young: Ja, aber das gibt es auch anderswo. Es gibt Orchester, die weit nach dem Schlag spielen. Und solche, die genau auf dem Schlag spielen – das liegt an unterschiedlichen Orchestergräben und unterschiedlichen Orchestertraditionen. Nein, das Entscheidende am Anfang des Probenprozesses hier ist, dass dieses wunderbare Orchester aus Kolleginnen und Kollegen zusammengestellt ist, die aus verschiedenen Orchestern überall in Europa kommen, die meisten aus Deutschland. Aber es gibt auch ein paar Wiener, ein paar Zürcher Musiker, welche aus der Pariser Oper und so weiter. Jeder ist daran gewöhnt, dieses Repertoire in seinem eigenen Orchestergraben zu spielen. Und dann kommt man hierher und muss es anders machen. Ich kann mir denken, dass das für die Musikerinnen und Musiker, die wirklich hervorragend sind, in der ersten Probenwoche eine große Umstellung ist – wenn sich jeder an einen anderen Musiker anpasst, der nicht seit Jahren sein Pultnachbar ist, oder an diese Art, im Bayreuther Graben überartikuliert zu spielen.
Wir sitzen da alle in Sandalen und Leinenhosen.
BR-KLASSIK: Es ist ja eng im Bayreuther Orchestergraben – und es ist sehr heiß. Wie halten Sie das aus?
Simone Young: Vielleicht habe ich da einen Vorteil als Australierin (lacht) - ich bin mit der Hitze aufgewachsen. Aber ja, es ist sehr heiß, das ist sehr unangenehm. In ein paar Stücken hat man nicht einmal zwei Takte Pause, um sich mit einem Taschentuch das Gesicht abzuwischen. Man ist natürlich leicht angezogen. Und das ist der Vorteil im "Mystischen Abgrund": Keiner sieht uns, wir sitzen da unten alle in Sandalen und Leinenhosen. Das ist die einzige Chance, die wir haben, daneben noch, sich in jeder Pause umzuziehen. Diese Hitze ist schon eine Herausforderung.
BR-KLASSIK: Richard Wagner hat, wie man ja weiß, tendenziell rasche Tempi für seine Musik bevorzugt. Wie halten Sie es denn damit?
Simone Young: Das ist eine interessante Frage. Wir haben ja die Uraufführungszeiten von den verschiedenen Werken. Aber Sie müssen bedenken, dass nur "Siegfried" und "Götterdämmerung" in diesem Orchestergraben uraufgeführt wurden. Und Tempo ist, sagen wir mal, keine naturwissenschaftlich messbare Sache. Tempogestaltung hängt von vielen Faktoren ab, in erster Linie von der Akustik. Dann kommt es darauf an, wie der Klang ist, wie die Sänger sind, was das für Stimmen sind, wie das Bühnenbild ist. Alles, was die Akustik verändert, verändert auch das Tempo. Wenn man dann liest, dass die Aufführungsdauern im "Rheingold" hier in Bayreuth zwischen zwei Stunden 15 und zwei Stunden 45 schwanken – da kann man sehen, wie unterschiedlich die Kollegen über die Jahre mit den Tempi umgegangen sind.
Den kompletten "Ring" hat Simone Young bereits in Wien und Berlin sowie als Generalmusikdirektorin an der Hamburgischen Staatsoper geleitet. | Bildquelle: © Klaus Lefebvre Aber eigentlich spielen wir nicht gegen die Stoppuhr an. Es gibt schnelle Tempi, die trotzdem ziemlich langweilig sein können. Es gibt auch langsame Tempi, die wahnsinnig spannend sind. Also für mich ist das, was zählt, der Klang und der Spannungsbogen in einem Stück. Und ob das dann schnell oder langsam ist, spielt für mich keine so große Rolle – sondern, wie man die Architektur der Phrasen innerhalb des großen Spannungsbogens aufbaut.
Vor der 'Götterdämmerung' fühlt man sich wie im Basislager am Mount Everest.
BR-KLASSIK: Die "Götterdämmerung" ist auf jeden Fall das längste Stück der Tetralogie. Ist es auch das schwierigste, das anspruchsvollste Stück?
Simone Young: Na ja, ich glaube, wenn man vor einem Akt steht und weiß, dass er fast zwei Stunden dauert, dann ist das schon so, wie wenn man sich unten im Basislager am Mount Everest befindet – da steht der Berg vor einem. "Götterdämmerung" mag lang sein, ist aber voller Drama. Der erste Akt ist sehr abwechslungsreich mit den großen Orchester-Zwischenspielen und dem Kontrast zwischen der Brünnhilden-Siegfried-Szene und der Gibichungenhalle. Aber trotzdem ist hier so ein Witz in Umlauf: Man spielt die erste Dreiviertelstunde des ersten Akts, also das Vorspiel. Und dann blättert man die Seite in der Partitur um, und da steht: Erster Aufzug! (lacht)
"Das Rheingold" am 28. Juli live ab 17:57 Uhr
"Die Walküre" am 29. Juli zeitversetzt ab 18:05 Uhr
"Siegfried" am 31. Juli zeitversetzt ab 18:05 Uhr
"Götterdämmerung" am 2. August zeitversetzt ab 18:05 Uhr
BR-KLASSIK: Haben Sie denn schon Freundschaft mit ihren Kolleginnen Oksana Lyniv und Nathalie Stutzmann auf dem Grünen Hügel geschlossen? Es gibt ein wirklich hinreißendes Foto, das Oksana Lyniv auf Facebook gepostet hat, wo sie alle drei im Festspielrestaurant zu sehen sind, in dem ja geprobt wird.
Simone Young: Ja, das war an meinem ersten Probentag. Oksana und Nathalie waren beide da und haben die Probe mitverfolgt. Wir haben uns eigentlich erst hier kennengelernt. Ich habe beide Damen zwar schon irgendwo getroffen, Oksana mal kurz in München und Nathalie kurz in Paris. Aber wir kannten uns gar nicht. Und ja, es ist sehr nett. Das ist das Schöne bei den Festivals, dass man die Kollegen trifft, denn normalerweise sehen wir Dirigenten uns gar nicht. Auch Semyon Bychkov habe ich zuletzt auf einer Rolltreppe in Paris gesehen, auf der wir beide in verschiedene Richtungen fuhren ... Es war wirklich schön, mit Semyon hier im Garten zu sitzen und ein bisschen zu plaudern übers Orchester und Wagner und so weiter.
BR-KLASSIK: Frau Young, jetzt mit 63 sind Sie an der Spitze angelangt: Sie debütieren bei den Bayreuther Festspielen, Sie dirigieren die Berliner Philharmoniker, die Wiener Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und viele andere Spitzenorchester. Ihre Anfänge als Dirigentin waren ja nun nicht einfach. Verschafft Ihnen das jetzt auch ein Stück Genugtuung?
Simone Young wuchs in Australien auf und dirigierte an der Oper von Sydney, bevor sie als 25-Jährige nach Deutschland kam. | Bildquelle: BR Simone Young: Nein, das würde ich nicht sagen. Als ich begann, war ich eine junge Frau in Sydney, aufgewachsen an einem Strandort in einer nicht musikalischen Familie. Ich war die jüngste, kleinste Repetitorin und dann Dirigentin an der Oper von Sydney – mit 25 kam ich nach Deutschland. Und ich hätte in meinen wildesten Träumen nie geglaubt, dass ich jemals all das machen würde, was ich jetzt inzwischen gemacht habe. Ich glaube, es kommt in einem Musikerleben zu einem gewissen Punkt, wo man eigentlich befreit ist von allen Gedanken, was Karriere und so betrifft. Man kann sich wirklich hundert Prozent der Musik widmen. Jetzt bin ich an diesem Punkt ganz glücklich gelandet – von hier aus ist alles ein Bonus.
Ich finde es schön, dass Bayreuth ausschließlich Richard Wagner gewidmet ist.
BR-KLASSIK: Jedes Jahr hat Bayreuth ja ein Aufregerthema: In diesem Jahr war es Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die das Bayreuther Publikum verjüngen und deswegen wegkommen will von der "Wagner-Monokultur". Sie möchte auch andere Komponisten ins Festspielhaus lassen. Wie ist denn Ihre Meinung dazu?
Simone Young: Ob meine Meinung zählt, weiß ich nicht – ich bin Gastdirigentin hier. Aber ich finde, was Bayreuth in erster Linie ausmacht, ist, dass man sich für diesen Zeitraum geschlossen den Werken eines Komponisten widmet, der zehn Meisterwerke geschaffen hat. Und dass die musikalisch immer wieder neu interpretiert und unter immer neuen Regie-Blickwinkeln betrachtet werden. Es gibt immer neue Generationen von Sängern, die hier auf diesen wunderbaren Grünen Hügel kommen. Man darf nicht unterschätzen, was die Konzentration auf einen Komponisten bedeutet, zumal bei der Qualität des Bayreuther Orchesters, des Chores und auch der Sängerinnen und Sänger – das sind alles Spezialisten. Es gibt viele Musikfestivals, wo man alles Mögliche sehen kann. Also ich finde es schön, dass Bayreuth ausschließlich Richard Wagner gewidmet ist – man spielt ja auch kein Rugby bei der Fußball-EM.
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