Vor seinem Bayreuth-Debüt als Siegfried erzählt Klaus Florian-Vogt, warum er findet, dass das gängige Siegfried-Bild verhandelbar ist – und warum das Alleinstellungsmerkmal "nur Wagner" in Bayreuth nicht aufgegeben werden darf.
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BR-KLASSIK: Herr Vogt, germanischer Held, pubertärer Halbstarker, naiver Mitläufer: Wer davon ist Ihr persönlicher Siegfried?
Klaus Florian Vogt: Also auf jeden Fall pubertär, das trifft sicherlich zu. Germanischer Held glaube ich weniger. Ich empfinde den Siegfried als sehr vielschichtig. Der ist keinesfalls nur ein Haudrauf und Schlagetot, sondern sehr neugierig, sehr empfindsam, aber eben unerfahren und naiv und hat wenig gesehen in seinem Leben. Aber er ist nicht dumm, er kombiniert, was er in der Tierwelt im Wald gesehen hat und versteht, das damit, dass Mime und er so ganze alleine sind, etwas nicht stimmen kann und hinterfragt das sehr genau. Er will was entdecken und sich weiterentwickeln.
BR-KLASSIK: Sie sind ja in Bayreuth mit einem anderen jugendlichen Charakter zur Legende geworden, mit Stolzing. Den haben Sie ab 2007 gesungen. Dann kam ab 2011 dieser überirdisch strahlende Lohengrin dazu. Damals haben viele gesagt, "er klingt perfekt in diesen Rollen - aber ein Siegfried wird das nicht." Das sagt ja erst mal was darüber aus, was die Leute für ein Bild von Siegfried haben – haben die Unrecht, und diese Charaktere liegen gar nicht so weit auseinander?
Klaus Florian Vogt als Lohengrin, Bayreuth 2014 | Bildquelle: Enrico Nawrath Klaus Florian Vogt: Ich glaube, dass man auf jeden Fall auch im Siegfried was benutzen kann von diesen anderen Charakteren. Zum Beispiel hat Stolzing was sehr Rebellisches, Aufbrausendes. Auch das Empfindsame aus dem Lohengrin kann man nutzen, z.B. wenn Siegfried im zweiten Aufzug versucht, sich seine Mutter vorzustellen. Siegfried soll ja ein 17-Jähriger sein, und das stimmt einfach: Er ist ein "Pubertist" in meinen Augen, er tut Dinge, die man nicht nachvollziehen kann. Aber genauso ist es ja mit einem Jungen in der Pubertät. Damit habe ich ausreichend Erfahrung: von einem Extrem ins nächste. Also von sehr, sehr empfindsam und gefühlvoll zu fast gewalttätig. Dieser Facettenreichtum macht Spaß, auch musikalisch: von wirklich starken Ausbrüchen, großer Schnelligkeit zu doch sehr lyrischen und empfindsamen Passagen.
BR-KLASSIK: Habe Sie, als sich das andere nicht vorstellen konnten, sich als Siegfried gesehen?
Klaus Florian Vogt: Absolut, aber das höre ich auch nicht zum ersten Mal. Viele denken, dass Siegfried nur ein unsensibler Gewalttäter ist, aber das ist er in meinen Augen überhaupt nicht. Er ist bis jetzt einfach naiv, hat wenig gelernt und das, was er darüber hinaus lernen möchte, das versucht er sich eben irgendwo abzugucken, und deshalb ist er auch in gewisser Weise beeinflussbar, wie man in der "Götterdämmerung" sieht.
Ich glaube, dass ein überdenkenswertes Bild von Siegfried durch die Gegend geistert.
BR-KLASSIK: Bei ihrem Rollendebüt als Siegfried letztes Jahr in Zürich war der "Ring" stringent entlang der Handlung von Wagner inszeniert. Genau dafür ist der Bayreuther Ring von Valentin Schwarz nicht bekannt. Wie geht es Ihnen denn mit dieser Deutung?
Klaus Florian Vogt: Das ist eine große Herausforderung, muss ich sagen. Ich mag das gerne, wenn man sich am Text orientiert, dafür sind diese Texte geschrieben und durchaus ja auch plausibel. In allen diesen Opern werden Geschichten erzählt, die eine logische Abfolge haben. Gerade im "Ring" ist die ganze Figurenkonstellation – die Charaktere, die alle irgendeine Beziehung miteinander haben – schon für sich sehr kompliziert zu verstehen. Wenn man dann noch alles durcheinandermischt und ganz andere Handlungsstränge aufmacht, dann wird es so verwirrend, glaube ich, dass es schwer verständlich ist.
BR-KLASSIK: Schaffen Sie es, sich dabei treu zu bleiben?
Klaus Florian Vogt: Ich versuche es jedenfalls.
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BR-KLASSIK: Was für eine Entwicklung macht der Siegfried denn stimmlich durch, vom Aufbegehren gegen den Ziehvater, über die erste Liebe bis hin zu seinem Tod?
Klaus Florian Vogt: Die Hauptveränderung passiert eigentlich zwischen dem zweiten und dritten Aufzug. Wegen der Kompositionspause von zwölf Jahren, die Wagner da eingelegt hat. Der dritte Aufzug ist schon sehr von "Tristan und Isolde" beeinflusst, das sind ganz andere Elemente als in den ersten beiden Akten, wo so wahnsinnig viel Parlando mit großen Sprüngen und schnelle Passagen vorhanden sind. Das ändert sich im dritten Akt. Die Musik ist wirklich eine andere und noch sehr viel romantischer und erfordert deshalb auch größere Bögen. Das setzt sich in der "Götterdämmerung" nur teilweise fort, finde ich. Für mich ist der Götterdämmerung-Siegfried eigentlich keine andere Person als der, den wir in "Siegfried" verlassen haben. Insofern ist das auch stimmlich keine andere Herausforderung, im Gegenteil: Ganz am Schluss der "Götterdämmerung", im dritten Aufzug, geht es ja zurück, da kommen diese Zitate des Waldvögleins aus dem zweiten Akt von "Siegfried". Ich finde es schön, das auch im Stil des Waldvögleins zu singen, sonst versteht man es nämlich nicht.
BR-KLASSIK: Bislang ist es in dem Regiekonzept nicht vorgesehen gewesen, aber wie wäre es, wenn gerade Sie als studierter und langjähriger Hornist selbst Siegfrieds Horn spielen würden?
Klaus Florian Vogt als Siegfried in Zürich | Bildquelle: Monika Rittershaus Klaus Florian Vogt: Das habe ich in Zürich gemacht! Das ist aber natürlich heftig, wenn man vorher allein im zweiten Akt eine Dreiviertelstunde gesungen hat und dann plötzlich auf das Instrument umsteigt. Eine große Herausforderung. Siegfrieds Hornruf als solcher ist schon wahnsinnig schwer zu spielen.
Wir haben in Zürich dann mit so einer Art Echo gearbeitet, damit ich das nicht alles alleine spielen musste. Das war eigentlich eine ganz schöne Geschichte. Hier in Bayreuth wird das nicht so sein, schade.
BR-KLASSIK: Bayreuth ist ja ein sehr, sehr wichtiger Ort generell in Ihrem Leben. Sie sind seit 2007 seit fast 20 Jahren in Bayreuth auf der Bühne, haben natürlich sehr viel Veränderungen miterlebt. Wie geht es Ihnen mit diesen Veränderungen?
Klaus Florian Vogt: Meine Bayreuth-Biografie ist noch viel länger, weil meine Schwiegereltern lange Jahre im Orchester und im Chor beschäftigt waren. Deshalb kenne ich das Festspielhaus schon von der Zeit davor. Damals war das noch eine sehr familiäre Geschichte, und da liefen überall Kinder herum, und alle haben da ihre Sommerferien verbracht, mehr oder weniger auch im Festspielhaus. Das hat sich kolossal verändert. Jetzt haben die Verwandten großenteils keinen Zugang mehr zum Haus, es ist sehr viel strenger geworden – sehr viel separierter. Das hat auch Konsequenzen, gerade für die Familien, die mitreisen. Denn die Kinder würden natürlich auch die Elternteile miterleben und teilnehmen an diesem ganzen Festspielgebilde.
Ich wünsche mir für die Bayreuther Festspiele, dass sie als das erhalten bleiben, was sie sind.
BR-KLASSIK: Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat zuletzt vorgeschlagen, in Bayreuth auch andere Komponisten zu spielen.
Klaus Florian Vogt: Ich wünsche mir für die Bayreuther Festspiele, dass sie als das erhalten bleiben, was sie sind. Nämlich ein Ort, wo Wagner gespielt wird – ausschließlich – und das auf höchstem Niveau. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich einige nicht so ganz bewusst sind, was das für ein Alleinstellungsmerkmal in der Welt ist – das gibt es nirgendwo anders! Ich hoffe einfach, dass die Leute, die was zu sagen haben und über Bayreuth entscheiden, sich bewusst sind, dass man so ein hohes Gut nicht einfach hergeben darf.
BR-KLASSIK überträgt die Premiere von "Siegfried" am 31. Juli zeitversetzt ab 18:05 Uhr im Radio.
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