Der gebürtige New Yorker Charles Castronovo ist auf den Bühnen der Welt zuhause und in dieser Saison Artist in Residence beim Münchner Rundfunkorchester. Vor dem 2. Sonntagskonzert mit Verdis "Ernani" erzählt der Tenor, was Oper mit Rock’n’Roll gemeinsam hat und wie wichtig mentale Gesundheit für die Stimme ist.
Bildquelle: © Pia Clodi
BR-KLASSIK: Charles Castronovo, Ihr Name weckt bei mir Assoziationen von königlich britischer Familie und italienischer Großfamilie. Wie stellen Sie sich Menschen vor, die Sie nicht kennen?
Charles Castronovo: Ich sage gerne: "Nennen Sie mich doch Charlie!" Ich bin ziemlich locker und finde, es kostet zu viel Energie, sich zu wichtig zu nehmen. Diese nahbare Seite habe ich wohl von meinem Vater, der aus Sizilien stammt. Castronovo ist ein alter sizilianischer Name. Mein Vater kommt mit jedem zurecht, und ich versuche, es ihm gleich zu tun.
BR-KLASSIK: Als Amerikaner in München, in Bayern: Wie sehen Sie sich selbst?
Charles Castronovo: Ich bin der erste aus meiner Familie, der in den USA geboren wurde. Mein sizilianischer Vater ist mit 16 in die USA gekommen, und meine Mutter kommt aus Ecuador. Ich bin Kind von Einwanderer-Eltern und bin mit diesem typisch amerikanischen Bewusstsein aufgewachsen. Allerdings arbeite ich mittlerweile seit so vielen Jahren in Europa, dass ich mich hier meinen Wurzeln näher fühle. Das Herz, die Geschichte und die Tradition der Oper liegen in Europa. Hier hatte ich sowohl die besten Möglichkeiten für meine Karriere, als auch für das Gefühl, zu Hause zu sein.
BR-KLASSIK: Und wie haben Sie festgestellt, dass die italienische Oper Ihre berufliche Bestimmung ist?
Charles Castronovo: Lustigerweise gab es in meiner Familie väterlicherseits immer die Frage meines Großvaters: "Ist nicht wenigstens ein Sänger unter euch allen?" Mein Großvater hat Musik geliebt, aber es gab keine Musiker in unserer Familie. Meine Tanten und mein Vater haben extrem raue, sizilianische Stimmen, definitiv keine Sängerstimmen. Leider hat mein Großvater nicht erlebt, dass ich Opernsänger geworden bin, aber ich glaube, er hat es sich so sehr gewünscht, dass sein Enkel es werden musste. Ich hatte einfach immer Spaß daran, mich auszudrücken, habe immer getanzt, Theater gespielt, und erstmal sehr gerne Rock‘n‘Roll gesungen und Gitarre gespielt. Meine Stimme war dafür aber irgendwie zu rein. Als ich dann klassische Musik gehört habe, konnte ich diesen Klang sehr genau erzeugen. Oper war für mich der Rock‘n‘Roll der klassischen Musik. So dramatisch, emotional, dass alles andere dadurch ausgeblendet wurde. Ich habe meine gesamte Leidenschaft und Energie darangesetzt, Oper zu singen.
BR-KLASSIK: Und das Italienisch mussten sie dann wohl gar nicht mehr lernen für den Operngesang…
Charles Castronovo: Mein Vater hat sizilianischen Dialekt gesprochen, insofern war mein Italienisch durchaus etwas gebrochen, denn da war auch noch ein bisschen Spanisch von der mütterlichen Seite mit drin. Trotzdem hatte ich immer das Gefühl, es ist in meinem Blut und es spricht Italienisch aus mir.
Man kann sich nicht nur auf die Stimme verlassen, denn sie ist sehr anfällig für Krisen aller Art.
BR-KLASSIK: Hatten Sie einen guten Zugang zu musikalischen Ausbildungsmöglichkeiten dort, wo sie aufgewachsen sind?
Charles Castronovo | Bildquelle: BR/Florian Lang (BR) Charles Castronovo: Ich bin in New York geboren, in Queens, aber es hat meine Eltern in die Wärme gezogen. Sie sind nach Los Angeles gegangen, als ich zwei Jahre alt war. Ich bin also in der Sonne aufgewachsen. In Hinblick auf meine Ausbildung muss ich sagen, dass ich die Universität nur ein Jahr lang besucht habe, um Musik zu studieren. Ich hatte dort zwar einen wunderbaren Gesangslehrer, Mike Goodrich, aber ich habe schnell gemerkt, dass das Studium nicht meine Sache ist. Ich wollte auf die Bühne. Ich habe dann weiterhin Privatstunden genommen und mir die wichtigsten Fächer wie Musikgeschichte und Stilistik autodidaktisch beigebracht. Ich habe sehr viel gelesen, Aufnahmen gehört und mit jedem gearbeitet, der mehr wusste als ich. Mit 22 habe ich dann an der Oper in Los Angeles vorgesungen und wurde dort für kleine Rollen besetzt. So konnte ich einfach auf der Bühne sein, egal, wie klein die Rolle war. Ich war im professionellen Business mit professionellen Kollegen und das war der einzige Weg für mich, mein Handwerk zu lernen. Nach diesen zwei Jahren an der LA Opera hatte ich über 100 Vorstellungen gesungen und schon richtig viel Erfahrung. Ich fühlte mich zu Hause auf der Bühne und konnte mich von dort aus stetig weiterentwickeln.
BR-KLASSIK: Das ist ja ein außergewöhnlicher Weg, für den man durchaus Selbstvertrauen benötigt.
Charles Castronovo: Ich hatte viele Zweifel, aber das gehört zur Karriere dazu. Ich sage immer, eine Opernkarriere besteht zu 30 Prozent aus Stimme und zu 70 Prozent aus mentaler und emotionaler Stabilität. Es gibt so viele Menschen mit unglaublichem Talent, denen aber diese Stärke fehlt. Man kann sich nicht nur auf die Stimme verlassen, denn sie ist sehr anfällig für Krisen aller Art.
Am Sonntag, 26. November 2023, überträgt BR-KLASSIK das 2. Sonntagskonzert des Münchner Rundfunkorchesters live ab 19 Uhr.
Giuseppe Verdis "Ernani"
Dramma lirico in vier Akten
In italienischer Sprache
Elvira - Selene Zanetti
Ernani - Charles Castronovo
Don Carlo - George Petean
Don Ruy Gómez de Silva - Ildebrando D'Arcangelo
Giovanna - Svetlina Stoyanova
Don Riccardo - Matteo Ivan Rašić
Jago - Gabriel Rollinson
Chor des Bayerischen Rundfunks
Münchner Rundfunkorchester
Leitung: Ivan Repušić
BR-KLASSIK: Wie sind Sie eigentlich hier in München als Artist in Residence des Münchner Rundfunkorchesters gelandet?
Das Münchner Rundfunkorchester | Bildquelle: Felix Broede Charles Castronovo: Erst einmal fühle ich mich sehr geehrt, denn ich war zuvor noch nie Artist in Residence. Eigentlich ist München meine musikalische Heimat in den letzten Jahren geworden. An der Bayerischen Staatsoper habe ich viele wichtige Debüts gegeben und singe wirklich häufig hier. Aber vor einigen Jahren habe ich meinen ersten Don José in "Carmen" unter der musikalischen Leitung von Ivan Repušić in Berlin gegeben. Seit damals sind wir enge Freunde, weil wir sofort gemerkt haben, wie ähnlich unser musikalisches Verständnis ist und wie gut wir zusammenarbeiten können. Ivan Repušić hatte die Idee, mich hierher nach München zu holen, und ich bin immer noch sehr glücklich darüber. München ist einfach eine unglaublich wichtige Kulturstadt. Außerdem ist jedes der Projekte, die ich hier mit dem Münchner Rundfunkorchester realisieren kann, extrem reizvoll. Ich habe also die Einladung mit großer Freude angenommen.
BR-KLASSIK: Wir erleben Sie nun in "Ernani", dieser selten gespielten und auch ein bisschen seltsamen Verdi-Oper. Wie sind sie auf dieses Frühwerk gestoßen?
Charles Castronovo: Ich glaube, es gibt nicht viele Menschen, die Verdi so sehr verehren wie ich. Seine Werke haben mich über meine ganze Karriere begleitet, von den leichteren Partien wie Fenton in "Falstaff" über 200 Vorstellungen von Alfredo in "La Traviata". In den letzten Jahren bewege ich mich auf die Verdi-Partien für große lyrische Tenöre zu, mit etwas Dramatik, aber immer noch im lyrischen und Belcanto Bereich. Das passt jetzt sehr gut zu meiner Stimme. "Ernani" ist Verdis fünfte Oper und sehr gut geeignet als Test für einen zukünftigen "Il trovatore". Wer einmal den Manrico singen möchte, sollte sich vorher unbedingt an Ernani wagen. Die Rolle ist nicht so dramatisch, hat aber dieselben Kernelemente. Sie kommt jetzt genau zum richtigen Moment für mich, noch dazu als großartige Gelegenheit einer CD-Einspielung.
Oper war für mich der Rock‘n‘Roll der klassischen Musik.
BR-KLASSIK: Ernani ist ein ziemlicher Antiheld. Macht es trotzdem Spaß, diese Rolle zu singen?
Charles Castronovo: Ernani ist ein Abtrünniger, ein Rebell, aber er hat gute Gründe dafür. Er hat seine Familie verloren und Rache geschworen. Ich kann das nachvollziehen. Speziell in dieser Zeit war die Ehre das letzte, was übrigblieb. Ernani verkörpert genau diesen Typ Mann, der nach diesem ritterlichen Ehrencodex handelt.
BR-KLASSIK: Auch der Silva ist ja eine sehr spannende Figur: Er ist der Rivale, aber auch der Komplize und am Schluss derjenige, der ihn letztendlich tötet – indirekt und auf eine sehr feige Art. Was ist das für eine Beziehung zwischen diesen Männern?
Charles Castronovo: Nun ja, da sind drei Männer, die um eine Frau kämpfen. Es ist ein zeitloser Konflikt, aber dann geht es ja auch um Politik und die Erkenntnis, dass der Feind des Feindes dein Freund ist, wenn auch nicht dein bester. Auch hier verstehe ich Silvas Position. Er vertritt seine Interessen und hat das Recht, Ernani an sein Gelübde zu erinnern, sich das Leben zu nehmen.
BR-KLASSIK: Gibt es eine bestimmte Stelle in dieser Oper, auf die Sie die Aufmerksamkeit des Publikums besonders lenken möchten?
Charles Castronovo: Dieser frühe Verdi bietet richtig viele Belcanto-Elemente, und der Unterschied zu beispielsweise "Don Carlo" ist enorm. Trotzdem hat dieser frühe Verdi eine virile Energie. Das hat nichts mehr mit Rossini zu tun, sondern sehr viel Gewicht, und einen darunter liegenden Puls voller Testosteron. Es gibt viele Trios in diesem Werk, und das erste zwischen Elvira, Carlo und Ernani erinnert mich sehr an das erste Trio im "Troubadour". Dieses Drängen von Ernani über diesem mächtigen Puls – das empfinde ich als echte Besonderheit in Verdis Ausdruck.
Das Herz, die Geschichte und die Tradition der Oper liegen in Europa.
Sendung: "Allegro" am 24. November ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Dienstag, 28.November, 11:58 Uhr
Ruth Tipton
ERNANI
Ich war un der Vorstellung und total begeistert, jein Sänger hat mich enttäuscht, alle waren sehr gut Castronovo kenne ich schon seit seinen Anfängen in München. Er hat sich super entwickelt u.wir mögen ihn alle sehr in München. Mich hat geärgert, daß due Kritiknin der AZ heute nicht sehr gut ist. Ich habe mit vielen Leuten nach der Vorstelkung gesprochen. Für uns alle war der Abend eine Sternstunde. Ich hatte das Gefühl, der Kritik war in einem anderen Stück. Ich freue mich schon auf die CD und ich liebe diese konzertanten Aufführungen vom BR Orchester u.seinem klasse Dirigenten Ivan Repusic.