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Geiger Christian Tetzlaff "Und dann komme ich in Trance"

Worum geht es beim Musizieren? Geschichten zu erzählen? Einswerden mit dem Komponisten? Und wie bringt man das zum Publikum rüber? Das sind Fragen, mit denen sich der Geiger Christian Tetzlaff beschäftigt. Im Interview verrät er, warum er in Konzerten nur selten über die Musik spricht, wann er sich einem Komponisten wirklich nah fühlt und wann er beim Spielen in einen Trance-Zustand kommt.

Christian Tetzlaff | Bildquelle: © Giorgia Bertazzi

Bildquelle: © Giorgia Bertazzi

BR-KLASSIK: Christian Tetzlaff, Sie sind bekannt dafür, dass Sie mit Ihrer Musik Geschichten erzählen und kommunizieren. Jetzt spielen Sie in Augsburg das Violinkonzert von Edward Elgar. Welche Geschichte erzählt Elgar?

Christian Tetzlaff: Es gibt eine kleine äußere Geschichte: eine Rätselanweisung als Mottozeile für das Violinkonzert. Um welche Person es dabei geht, ist gar nicht genau geklärt. Es ist wahrscheinlich auch ein bisschen der Wunsch des Komponisten gewesen. Irgendjemand hat mal sehr schön über Edward Elgar gesagt, dass er sehr spät zu der Party gekommen ist, aber noch wesentliche Dinge zu sagen hat. Genauso empfinde ich es.

BR-KLASSIK: Sind Sie ein Fan davon, Musik zu erklären – auch in Konzerten?

Christian Tetzlaff: Nein, das mache ich eigentlich ganz selten. Es gibt ein paar Stücke, wo es sich tatsächlich anbietet zu sagen: Wenn Sie das wissen, dann werden Sie das Stück mit anderen Ohren hören. Und dann ist es ganz schön. Vor allem, wenn es der Komponist auch gewollt hat. Das merkt man an bestimmten Anweisungen in den Partituren, oder wenn er beispielsweise in Briefen geschrieben hat, worum es geht. Eduard Hanslick hat mal gesagt: "Musik ist schön bewegte Form". Ich glaube, es ist ganz selten, dass man das so sagen muss oder sagen kann. Es ist fast immer eine Reflexion aus realen Erlebnissen oder Seelengründen des Komponisten.

Christian Tetzlaff in Augsburg

15. und 16. Juli 2024 jeweils um 20 Uhr
Kongress am Park, Augsburg

Vaughan Williams: "Fantasia on Greensleves"
Elgar: Violinkonzert h-Moll op. 61
Holst: "Die Planeten" op. 32

Christian Tetzlaff, Violine
Augsburger Philharmoniker
Opernchor des Staatstheaters Augsburg
Domonkos Héja, Leitung

Musizieren als Trancezustand

BR-KLASSIK: Sie haben mal gesagt, dass Sie beim Spielen eins werden mit dem Komponisten und in eine Art Trance-Zustand kommen. Können Sie das beschreiben?

Christian Tetzlaff: Mein Wunsch beim Spielen ist immer der, dass das Publikum dieselbe Begeisterung für die Komposition empfindet wie ich selbst. Das ist aber noch nicht ganz Einswerden. Das kommt, wenn ich mich immer mit dem Komponisten kongruent fühle, wenn Tempo, Dynamik und Artikulation für mich genauso richtig sind. Wenn ich verstanden habe, warum es so ist, dann fühle ich mich dem Komponisten tatsächlich sehr nah. Und ich fühle mich den meisten Komponisten so nah, weil es außergewöhnlich ist, dass Menschen ihre persönlichen Gefühle so offen mitteilen. Das ist in der Musik mehr so als bei allem anderen. Und das funktioniert über Jahrhunderte hinweg.

Der Geiger Christian Tetzlaff | Bildquelle: © Giorgia Bertazzi Christian Tetzlaff | Bildquelle: © Giorgia Bertazzi Ein langsamer Satz von Bach kann uns heute noch zu Tränen rühren, weil wir genau spüren, was er da hineingelegt hat. Diese Momente gibt es bei der Aufführung selber ganz oft. Da bin ich nur in dieser Gefühlswelt, das ist dann eine Art von Trance. In der Probe hingegen hört man noch anders zu und überlegt: Sind wir jetzt hier koordiniert? Möchte der Dirigent das so oder ich? Da gibt es noch viele Dinge, die außerhalb des Werkes stehen und gemacht werden müssen. Im Konzert ist das nicht mehr so. Da geht es um die Zuwendung zum Publikum und zum Komponisten, dass das so eine Dreiergruppe wird – im Idealfall. Das empfinde ich als besonders beglückend.

Ich fühle mich den meisten Komponisten nah, weil diese Menschen ihre persönlichen Gefühle so offen mitteilen.
Christian Tetzlaff, Geiger

Höherer Bewusstseinszustand?

BR-KLASSIK: Trance ist ja ein Zustand, in dem man sich verlieren kann, aber andererseits auch zu einem höheren Bewusstseinszustand kommt ...

Christian Tetzlaff: Genau das kann man nicht vorhersehen. Aber es passiert tatsächlich. Gerade wenn es so große Aufgaben sind wie die sechs Solosonaten und -partiten von Bach. Dann fängt man mit der ersten an und ist noch voller Sorgen, ob man durch das ganze Werk durchkommt. Wenn man dann aber eine Weile gespielt hat und es einigermaßen läuft, dann nimmt plötzlich ein anderer Zustand Gestalt an, in dem die Dinge einfacher werden – oder sinnvoller. Das ist der erstrebenswerte Zustand. Gleichzeitig ist man etwas anders, aber manchmal tatsächlich auch ein bisschen bewusster. Man kann auch oft schneller denken, wenn man sehr viel Adrenalin im Blut hat.

Unterschied zwischen Üben und Musizieren

BR-KLASSIK: Kommen wir zum Thema Üben. Es gibt ja dieses Heft, das heißt "Üben & Musizieren". Ich stolpere immer über diesen Titel, weil es so klingt, als wäre Üben eben kein Musizieren. Was sagen Sie dazu?

Christian Tetzlaff: Das klingt eigentlich vernünftig. Üben ist ein ganz weites Feld und eines meiner Steckenpferde, darüber zu reden. Denn ich finde diesen Feldversuch entsetzlich, wenn Geiger und Pianisten Abertausende von Stunden an ihren Instrumenten verbringen, bevor man überhaupt weiß, ob sie musikalisch sind. Das hat auch körperlich für viele schlechte Folgen – fast wie Extremsport. Für mich bedeutet Üben, sich konzentriert mit einer Sache auseinanderzusetzen – aber auch in dem Sinne, dass es nicht darum geht, sich die ganze Zeit mit dem eigenen Spiel selber glücklich zu machen. Man sollte eine Stunde lang untersuchen, was die Probleme sind, dann eine Stunde was anderes machen und dann weiterüben. So hat das Gehirn die besten Chancen, das zu verarbeiten. Das muss kein richtiges Musizieren sein.

Sendung: "Leporello" am 12. Juli 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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