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Iván Fischer beim BRSO "Musiker sind Botschafter der Integration"

Die großen Orchester lieben ihn: Der Dirigent Iván Fischer, 1951 in Budapest geboren, steht für Metierkenntnis und Musizierfreude. Zum BRSO kehrt er jetzt mit einem Doppel-Porträt der Künstler-Freunde Brahms und Dvořák zurück.

Dirigent Iván Fischer | Bildquelle: Marco Borggreve

Bildquelle: Marco Borggreve

BR-KLASSIK: Herr Fischer, Sie haben 1990 beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks debütiert, also vor 35 Jahren. Wie war jetzt dieses Zurückkommen für Sie?

Iván Fischer: Also ich komme regelmäßig hierher, ich kann gar nicht zählen, wie oft ich hier war bei diesem wunderbaren Orchester – und das ist jedes Mal eine Freude. Aber wenn Sie sagen, diese Beziehung besteht seit 35 Jahren, dann glaube ich Ihnen das gerne. Es war immer großartig, das BRSO ist ein absolutes Spitzenorchester. Ich würde sagen, vielleicht das beste in Deutschland.

EINE KÜNSTLER-FREUNDSCHAFT IM FOKUS

BR-KLASSIK: Das hören die Musikerinnen und Musiker natürlich gern. Sie bringen auch immer spannende Programme mit. Diesmal kombinieren Sie Werke von Johannes Brahms und Antonin Dvořák. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Iván Fischer dirigierte Tschaikowskys Vierte in einem Konzert mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Januar 2020 im Münchner Herkulessaal der Residenz. Am Flügel: Igor Levit. | Bildquelle: BR/Astrid Ackermann Dirigent Iván Fischer dirigiert das BRSO und Igor Levit, 2020 in München. | Bildquelle: BR/Astrid Ackermann Iván Fischer: Was mich fasziniert, ist, dass beide Komponisten große Werke geschrieben haben, aber auch Miniaturen. Beide – Zeitgenossen natürlich, Brahms und Dvořák gehören derselben Generation an – beide haben diese fantastischen, großen Symphonien, Klavierkonzerte und vieles mehr geschrieben, aber auch die kleine Form bedacht. Im Fall von Brahms sind das hier die Ungarischen Tänze, von denen wir ein lyrisches Stück ausgewählt haben, und von Dvořák gibt es die Legenden, die hört man nicht so oft. Aber ich finde sie wunderschön. Also ich habe jeweils ein kurzes Stück vor das Hauptwerk des anderen Komponisten gesetzt. Das ist die Grundidee für die Programmatik der Konzerte in dieser Woche.

BR-KLASSIK: Brahms hat Dvořák ja sehr gefördert, und er hat einmal gesagt: "Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle. Aus seinen Abfällen könnte sich jeder andere die Hauptthemen zusammenklauben." Stimmen Sie da Brahms zu?

Iván Fischer: Ja, absolut, und wenn ich die zwei vergleiche: Brahms war natürlich der Großmeister damals, die absolute Autorität der Zeit. Dvořák war viel bescheidener, vielleicht eher introvertiert, religiös, ein anderer Typ. Und trotzdem habe ich das Gefühl: Bei Brahms gibt es immer einen Rahmen, und alles spielt sich darin ab, alles ist odentlich sortiert, also eigentlich organisiert. Und Dvořák ist etwas rhapsodischer, etwas freier und manchmal auch hemmungsloser, finde ich, als Brahms.

BR-KLASSIK: Von Brahms musizieren Sie das monumentale erste Klavierkonzert mit dem Pianisten Kirill Gerstein – haben Sie schon einmal mit ihm zusammengearbeitet?

Iván Fischer: Ja, dieses Stück haben wir sogar oft zusammen aufgeführt. Das ist noch gar nicht so lange her, da hatten wir eine eigene Tour mit meinen Budapest Festival Orchestra, Gerstein hat Brahms‘ erstes Klavierkonzert gespielt, und wir haben das lang diskutiert in allen Details. Also wir sind da total einig auf unserem Weg, wie wir das aufführen möchten.

Brahms war der Großmeister damals, die absolute Autorität der Zeit.
Dirigent Iván Fischer

BR-KLASSIK: Nach der Pause gibt es dann die Achte Symphonie von Antonín Dvořák. 2004 haben Sie hier beim Symphonieorchester die düster-dramatische Siebte Symphonie von Dvořák dirigiert, und die Achte ist doch eigentlich das totale Gegenstück dazu?

Iván Fischer: Das kommt oft vor bei Komponisten: Man schreibt ein Stück, das eine gewisse Laune oder eine bestimmte Grundstimmung hat. Das hat man von sich aus gemacht – und dann hat man Lust, etwas ganz anderes zu schreiben. Was mir jetzt einfällt, sind sie letzten Opern von Verdi: Nach "Otello" kommt dann "Falstaff", also nach der Tragödie eine Komödie, und das ist bei Dvořák auch so. Diese Achte Symphonie ist so, als würde die ganze Zeit die Sonne scheinen.

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Der Dirigent Iván Fischer im Porträt

KULTUR SOLLTE EUROPÄISCHE SACHE SEIN

BR-KLASSIK: Sie hatten schon das von Ihnen 1983 gegründete Budapest Festival Orchestra erwähnt. Wie geht es Ihrem Orchester unter dem Regime von Viktor Orbán? Welchen Stellenwert hat die Kultur überhaupt im Moment in Ungarn?

Iván Fischer | Bildquelle: Ákos Stiller Dirigent Iván Fischer. | Bildquelle: Ákos Stiller Iván Fischer: Kultur ist wichtig. Komisch ist nur, dass es die meisten Nationalisten durchaus wichtig finden, dass sie die nationale Kultur fördern. Das Problem ist eher, dass wir Musiker nicht nationale Kultur sein möchten. Denn wir finden sowieso, dass ein Orchester im Grunde etwas Internationales ist. Nicht nur die Mitglieder, auch die Musik, die wir spielen. Alles ist eher zum Verständnis der Völker da und nicht zur Abgrenzung eines Volkes. Ich finde es überhaupt einen Fehler, als die Europäische Union gegründet wurde, dass sie die Kultur nicht übernommen haben. Die haben da vielleicht eine falsche Entscheidung getroffen, die Kultur in den Händen von Nationalstaaten zu lassen. Ich fände es besser, wenn man in der EU erkennen würde, dass die Musikerinnen und Musiker die besten Botschafter der Integration sind.

Dvořák ist etwas rhapsodischer, etwas freier und manchmal auch hemmungsloser als Brahms.
Iván Fischer

BR-KLASSIK: Sie leben ja noch in Ungarn, haben nach wie vor einen Wohnsitz in Ungarn.

Iván Fischer: Ja, ich habe einen Wohnsitz in Ungarn, aber ich habe auch ein Zuhause in Berlin, in Deutschland. Ich fühle mich wie ein echter Europäer.

MIT DEM VORWURF VON ANTISEMITISMUS DIFFERENZIERT UMGEHEN

BR-KLASSIK: Sie stammen ja aus einer jüdischen Familie. Ihre Großeltern mütterlicherseits sind im Holocaust umgebracht worden. Wie erleben Sie es, dass der Antisemitismus jetzt wieder aufkeimt, weltweit ja sogar salonfähig wird?

Iván Fischer: Ja, aber ich möchte das differenziert sehen. Es gab viel Kritik an der Politik von Israel, und das nennt man schnell antisemitisch. Aber eigentlich ist das nicht antisemitisch – das ist eine Kritik an der israelischen Regierung, weil man mit diesem Krieg nicht einverstanden ist. Das hat, glaube ich, nichts mit Antisemitismus zu tun, und wir sollten dieses Argument dafür auch nicht benutzen. Aber man muss gant klar widersprechen, wenn Antisemitismus gegen jüdische Lebensweisen gerichtet ist, ob das nun Religion betrifft, Tradition oder "Rasse" oder wie man das alles nennen will. Das heißt dann zu Recht Antisemitismus – aber die Kritik an Israel ist kein Antisemitismus.

BR-KLASSIK: Und wie erleben Sie das persönlich? Wie geht es Ihnen damit, auch jetzt in Deutschland?

Iván Fischer: Ich habe überhaupt keine Probleme. Ich fühle mich sehr wohl in Deutschland, in anderen Ländern Europas, überall. Ich habe null Probleme damit.

BR-KLASSIK: Und keine Angst?

Iván Fischer: Das schon gleich gar nicht.

BR-KLASSIK: Sie sind kein furchtsamer Mensch.

Iván Fischer: Gut, wenn irgendein Drache hier reinkommen würde, da würde ich Angst haben. Aber den Drachen sehe ich noch nicht.

Ich setze mich lieber ganz allgemein für Frieden und Toleranz ein, nicht spezifisch für nur ein Problem.
Iván Fischer

MUSIK KANN VORURTEILE ÜBERWINDEN

BR-KLASSIK: Sie haben mit dem Budapest Festival Orchestra ja auch in Synagogen musiziert. Helfen solche Aktionen, Vorurteile zu überwinden?

Ivan Fischer | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk Dirigent Iván Fischer | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk Iván Fischer: Ja, aber verschiedene Vorurteile. Diese Reise, die wir in verlassenen Synagogen unternommen haben, verlief so, dass da die Dorfbewohner aus der Umgebung reinkamen – und kein einziger Jude, weil dort keiner lebte. Und die kommen dann in die Synagoge und sagen: "Da bin immer vorbeigelaufen. Ich war aber noch nie drin, das ist ja wirklich interessant." Wir machen Musik für die Bevölkerung, ein Rabbiner kommt dazu und erzählt aus der Geschichte, wie Christen und Juden friedlich miteinander gelebt haben. Das ist sehr wichtig, dass die Leute das wissen. Und noch was anderes: Ich organisiere oft Konzerte, zum Beispiel jetzt im Sommer war das letzte, wo israelische und arabische Künstlerinnen und Künstler zusammenspielen. Denn ich finde es auch sehr wichtig zu zeigen, dass in der Musik so ein Zusammensein funktioniert. Das kann vielleicht als Beispiel dienen.

BR-KLASSIK: So wie es auch Daniel Barenboim mit dem West-Eastern Divan Orchestra seit Jahren macht?

Iván Fischer: Ja, das ist so. Ich bewundere sehr, was Barenboim da geleistet hat, und wir machen tatsächlich Ähnliches. Bei uns ist das weniger begrenzt auf diese arabisch-israelische Zusammenarbeit. Letzten August habe ich zum Beispiel ein Konzert organisiert, bei dem russische und ukrainische Musiker zusammengespielt haben. Ich setze mich lieber ganz allgemein für Frieden und Toleranz ein, nicht spezifisch für nur ein Problem.

Musikerinnen und Musiker sind die besten Botschafter der Integration.
Iván Fischer

BR-KLASSIK: Was gibt Ihnen Hoffnung in der Welt, so wie sie jetzt gerade ist?

Iván Fischer: Hoffnung ist immer da. Also dank der Musik natürlich. Sie gibt uns immer Hoffnung, weil in der Musik alles möglich ist. Musikmachen bedeutet, dass die Leute wunderbar zusammenspielen, sie helfen einander und haben keinerlei persönliche Probleme miteinander. Also die Musik kann sehr viel Hoffnung geben. Aber natürlich gibt es Probleme: Wir leben jetzt in der Zeit der Populisten, in der Zeit von Social Media und künstlicher Intelligenz. Aber was mir Hoffnung gibt, ist, dass ich manchmal auch menschliche Intelligenz treffe – und das ist sehr schön.

BR-KLASSIK überträgt das Konzert live

Am 30. Januar und 31. Januar 2025 finden die Konzerte im Herkulessaal der Münchner Residenz statt, am 2. Februar in der Nürnberger Meistersingerhalle. Beginn ist in München jeweils um 20 Uhr, in Nürnberg um 19 Uhr. Nähere Informationen zu den Konzertkarten finden Sie hier.


Programm:


Antonín Dvořák
Legende b-Moll, op. 59 Nr. 10

Johannes Brahms
Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll, op. 15

Johannes Brahms
Ungarischer Tanz Nr. 11 d-moll (arr. I. Fischer)

Antonín Dvořák
Symphonie Nr. 8 G-Dur, op. 88


Iván Fischer, Dirigent
Kirill Gerstein, Klavier
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks


Das Konzert am 31. Januar wird live auf BR-KLASSIK übertragen.

Sendung: "Leporello" am 30. Januar ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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