Sie ist ein echter Top-Hit! Mit seiner "Rhapsody in blue" hat George Gershwin Musikgeschichte geschrieben. Jazz und klassische Musik verschmelzen, Kategorien wie E- und U-Musik werden überflüssig. Die 1924 uraufgeführte "Rhapsody" erreicht bis heute ein ungewöhnlich breites Publikum. Doch bei welchen Musikerinnen und Musikern swingt sie am meisten? Ein Interpretationsvergleich.
Bildquelle: © picture-alliance / Mary Evans Picture Library
Der gebürtige Budapester György Cziffra wurde in den Nachkriegsjahren vor allem als Liszt-Interpret bekannt und daher oft auf das Etikett "Virtuose" reduziert. Mitte der 1950er Jahre hat er Liszts erstes Klavierkonzert aufgenommen sowie Gershwins "Rhapsody in blue" mit dem Budapest Symphony Orchestra unter der Leitung von György Léhel. Dieser reinen Tonaufnahme ist dem hier ausgewählten Video der Notentext unterlegt. Das erlaubt zu erkennen, wie genau und wie selbstverständlich Cziffra mit Gershwins Vorlage umgeht. Ein Pianist, der virtuos spielen kann, es aber nicht um seiner selbst Willen muss. In der Kadenz lässt er es krachen und die Läufe funkeln – explosiv und impulsiv zugleich –, doch besitzt sein Spiel immer auch einen musikalischen Wert an sich, der eine beachtliche Identifikation mit Gershwins Musik verrät.
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Gershwin - Rhapsody in Blue (Audio+Sheet) [Cziffra]
Es gibt wohl nur wenige Interpreten, die sich so oft, so leidenschaftlich für Gershwins "Rhapsody" eingesetzt haben, wie Leonard Bernstein, der bereits als Jugendlicher für diese Musik entflammt war. 1932 hörte er die "Rhapsody in Blue" erstmals im Konzert, am Abend seines 26. Geburtstages, im August 1944, dirigierte er das Werk in der Hollywood Bowl. Auch am Klavier erlebte man ihn in den Folgejahren immer wieder mit diesem Stück. Eine erste Schallplattenproduktion mit dem Columbia Symphony Orchestra stammt aus dem Jahr 1959. Knapp ein Vierteljahrhundert später, 1983, ließ Bernstein einen Live-Mitschnitt mit dem Los Angeles Philharmonic folgen – beide Male als Dirigent und Pianist in Personalunion. Von 1976 stammt eine Video-Produktion mit dem New York Philharmonic, jenem Orchester, dem er als neuer Chefdirigent gleich in seiner ersten Saison 1958/59 ein programmatisches Facelifting verpasste, indem er auf professionelle Weise das amerikanische Repertoire einstudieren ließ. Auch 1976 erleben wir Bernstein, diesmal in Bild und Ton, als einen Musiker, dem diese Musik ganz in Fleisch und Blut übergegangen ist und souverän die Tempi gestaltet, nie strikt, dafür sanft fließend. Bernstein entfaltet, wo möglich, so viel Feuer und Glut, dass man leicht nachvollziehen kann, inwieweit er mit dieser Musik im wahrsten Sinne des Wortes groß geworden ist.
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George Gershwin - Rhapsody in Blue - Leonard Bernstein, New York Philharmonic (1976)
Im Jahr 2016 veröffentlichte der Pianist Lang Lang ein Album mit dem Titel "New York Rhapsody", unter anderem mit Werken von Bernstein, Copland und eben Gershwin – an der Seite des von John Axelrod geleiteten London Symphony Orchestra. Wenige Wochen vor der Freigabe dieser Aufnahme trat Lang Lang beim Dresdner Silvesterkonzert auf, an der Seite von Christian Thielemann, den man wohl nicht gerade als bekannten Gershwin-Dirigenten einordnen möchte. Doch Thielemann entwickelt Schwung und hält Lang Lang, diesen pianistischen Zauberlehrling, an der kurzen Leine. Im Gegensatz zu seinem Londoner Album wirkt der Pianist hier ein wenig domestiziert. Dennoch: Man erkennt auch in diesem Mitschnitt, dass Lang Lang alles kann, und dennoch, bei aller Virtuosität, auch etwas an der Oberfläche bleibt, getrieben von der Lust am Effekt und weniger von einer Suche nach Struktur.
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Lang Lang: George Gershwin - Rhapsody in Blue
Im Februar 2017 hat die Pianistin Khatia Buniatishvili Gerhswins "Rhapsody in Blue" in Lyon mit dem dortigen Orchestra National und Leonard Slatkin aufgeführt. Slatkin, geboren 1944 in Los Angeles, ist mit dieser Musik sehr wohl vertraut. Er wirkt fast väterlich, wenn er die um eine Generation jüngere Khatia Buniatishvili durch diese "Blaue Rhapsodie" führt. Buniatishvili wiederum, lässt sich – in Maßen – einfangen. Sie liefert eine feurige Interpretation, energisch, drängend, immer wieder gütig beäugt vom ungleich gelasseneren Dirigenten. Technisch muss Buniatishvili nichts fürchten. Sie gibt sich bei den raschen Läufen, bei den motorischen Akkorden unbeirrbar und sicher. Eine glutvolle Aufführung.
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Khatia Buniatishvili - Rhapsody in Blue
Zu Beginn bläst Daniel Ottensamer das berühmte Eingangs-Solo an der Klarinette. Er ist Mitglied der Wiener Philharmoniker, die Gershwins "Rhapsody" bei einem Open Air im Juni 2019 vor der sommerlichen Kulisse von Schloss Schönbrunn aufgeführt haben. Mit Gustavo Dudamel steht ein Dirigent am Pult, der nicht im Verdacht steht, seine Interpretationen emotional mit Sparflamme auszustatten. Er ist vielmehr ein Antreiber, der mit großen Bewegungen keine Zweifel an seinen künstlerischen Intentionen aufkommen lässt. Solistin dieser Aufführung ist Yuja Wang, die – ähnlich wie Lang Lang – keine technischen Hürden fürchten muss. Manuell sicher liefert sie eine Darstellung, die von der besonderen Live-Atmosphäre beflügelt scheint. Neckisch wirkt ihr Spiel und tanzlustig. Keimende Zweifel, ob nicht weniger manchmal auch mehr sein kann, sind jedoch ein ständiger Begleiter dieser Aufführung.
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Yuja Wang & Wiener Philharmoniker - Rhapsody in Blue (George Gershwin)
Der 1890 in Denver geborene Orchesterleiter Paul Whiteman litt keinen finanziellen Mangel, und so kam er im Herbst 1923 auf die Idee, auf eigene Kosten ein experimentelles Konzert zu veranstalten mit ausschließlich populärer amerikanischer Musik – und mit neuen Stücken. Whiteman wünschte sich ein "Jazzkonzert" für Klavier und Orchester mit Gershwin als Solist. Zunächst schrieb Gershwin eine Fassung für zwei Klaviere. Die Orchestrierung für "Jazz-Orchester" stammt von Ferde Grofé, dessen spätere Versionen für Sinfonieorchester heute die meistgespielten sind. Das WDR Funkhausorchester und Wayne Marshall haben die durch die Corona-Pandemie bedingte Publikums-Abstinenz für eine Produktion von Gershwins "Rhapsody" genutzt – in Grofés erster Fassung für Klavier und Jazz Band. Die kunstvolle Ausleuchtung des Konzertsaals im WDR-Funkhaus sollte ebenso wenig wie die kunst- und liebevolle Drapierung der Bühne ablenken von der überzeugenden künstlerischen Qualität. Ein höchst wachsamer Wayne Marshall ist in der Doppelrolle als Pianist und Leader zu erleben, und seine Interpretation ist ebenso stilsicher wie sein Outfit, mit rötlich-rosafarbenen Socken und passendem Einstecktuch.
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George Gershwin - Rhapsody in Blue (Piano & Jazz Band) | Wayne Marshall | WDR Funkhausorchester
Wissenswertes rund um die Musik der 1920er Jahre, Edutainment-Videos zu Schlüsselwerken und Musik der Epoche finden Sie hier im BR-KLASSIK-Dossier
Sendung: "BR-Klassik - Interpretationen im Vergleich" am 7. Februar 2023, um 20.05 Uhr
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