Er hat die Barockoper in Bayreuth neben Wagner etabliert: Max Emanuel Cenčić, der künstleriche Leiter des Bayreuth Baroque Opera Festivals. Im Gespräch gibt Cenčić einen Ausblick auf das Festival "Bayreuth Baroque", das am 5. September startet.
Bildquelle: BR Franken
BR-KLASSIK: Das Bayreuth Baroque Opera Festival wird heuer fünf Jahre alt. Als das Festival begann, lag die Kultur am Boden: Die Pandemie hatte die Welt fest im Griff. Vieles musste ausfallen und doch haben Sie in dieser Zeit ein neues Festival ins Leben gerufen. Wenn Sie jetzt diese fünf Jahre Revue passieren lassen - hätten Sie sich damals träumen lassen, dass dieses Festival in der kurzen Zeit so ein Erfolg werden könnte?
Max Emanuel Cenčić: Ich darf ganz frech sagen: ja. Denn ich hatte von Anfang an eine Vision und die verfolge ich weiterhin. Also für mich ist der Weg noch immer nicht zu Ende. Als ich nach Bayreuth gekommen bin, habe ich gesagt, dass ich mir ein Festival auf internationaler Ebene wünsche und dass ich hier etwas Großes aufbauen möchte. Und vor allem war ich mir auch dessen bewusst, dass, wenn wir über einen Aufbau sprechen, dann reden wir nicht von zwei, drei Jahren, sondern wir müssen in sehr großen Zeitbögen denken – also zehn, zwanzig Jahre. Ein Festival ist auch etwas, was nicht nur einfach so entsteht, das muss geboren werden, und die Menschen und die Gemeinde, die mit diesem Festival leben, müssen es auch mittragen. Ich bin sehr glücklich, dass wir nach fünf Jahren sagen können, dass wir große Schritte nach vorne gemacht haben. Aber es gibt auch sehr vieles, was wir noch verbessern müssen – es ist eben work in progress.
Am Sonntag, den 15. September, um 12:05 Uhr, berichten wir live im "Tafel-Confect on tour" aus Bayreuth - mit Interviews, Reportagen, Mitschnitten vom Bayreuth Baroque Opera Festival.
Am Abend des 15. September übertragen wir um 20:03 Uhr Nicola Antonio Porporas Oper "Ifigenia in Aulide" in der Inszenierung von Max Emanuel Cenčić im Hörfunk und Videostream.
Weitere Konzertmitschnitte:
26. September, 20:03 Uhr: Sandrine Piau, Les Talens Lyriques, Leitung: Christophe Rousset – Ausstrahlung im Hörfunk auf BR-KLASSIK und im Videostream.
29. September, 13:05 Uhr: Nuria Rial, Accademia del Piacere, Leitung: Fahmi Alqhai – Ausstrahlung im Hörfunk auf BR-KLASSIK und im Videostream.
3. Oktober, 16.05 Uhr: Anna Prohaska, Les Talens Lyriques, Leitung: Christophe Rousset – Ausstrahlung im Hörfunk auf BR-KLASSIK und im Videostream.
BR-KLASSIK: Dieses Jahr bringen Sie wieder eine Neuinszenierung ins Markgräfliche Opernhaus, dieses wunderschöne UNESCO Weltkulturerbe, wo dieses Festival beheimatet ist: "Ifigenia in Aulide" von Nicola Porpora wird die Premiere sein. Was macht diesen neapolitanischen Barockopernkomponisten so stark?
Max Emanuel Cenčić: Man muss das so sehen, dass die Komponisten der damaligen Zeit eher damit beschäftigt waren, den Sängern ihre Rolle auf den Leib zu schreiben. Die Idee, dass der Komponist quasi der Genius ist und die Sänger folgen, das kam erst im 19. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert war es umgekehrt, und da muss man natürlich den Protagonisten erwähnen, nämlich den Kastraten Senesino, der damals die Opernkompagnie von Händel verlassen hat. Er hat einen Teil seiner Sänger einfach mitgenommen und ist zur Konkurrenz gelaufen. Diese Konkurrenz war die Opernkompagnie von Nicola Porpora. Die "Ifigenia“ ist eine Oper, die eben gerade aus dieser Zeit ist, und man merkt, dass die Musik auch da, wo die Konkurrenz ist, sich sozusagen zu überbieten versucht. Zum Glück für uns, denn wir können heute diese schöne Musik genießen.
BR-KLASSIK: Ganz viele Komponisten haben diesen Stoff der "Iphigenie in Aulis" als Libretto verwendet: Scarlatti, Caldara, Cherubini, Gluck und viele andere. Was macht aus Ihrer Sicht diesen Stoff so attraktiv?
Max Emanuel Cenčić im Markkgräflichen Opernhaus Bayreuth | Bildquelle: Lukasz Rajchert Max Emanuel Cenčić: Iphigenie ist eine politische Tragödie, es ist ein Stück, das sogar für unsere Zeit heute Gültigkeit hat. Agamemnon ist nach Aulis gekommen mit dem griechischen Heer und sie haben Hunger. Es gibt nichts zum Essen, so dass er bei einer Jagd den heiligen Hirsch der Göttin Diana erlegt. Das heißt, auf der einen Seite steht er unter dem öffentlichen Druck, dass er die Natur zerstört, um den Menschen überleben zu lassen. Das muss man sich vor Augen halten vor dem aktuellen Hintergrund des Klimawandels und des Überlebens der Menschheit. Die Göttin ist erzürnt und lässt die Winde stillstehen. Das Heer kommt aus Aulis nicht mehr weg und ist quasi zum Tode verurteilt auf dieser Insel. Nur wenn Agamemnon seine Tochter opfert, löst Diana den Bann. Und das ist in einer gewissen Art und Weise sehr symbolisch. Die Natur schlägt zurück und sagt: Deine Kinder werden dafür zahlen, was du jetzt der Natur angetan hast. Du hast die Natur heute zerstört und morgen müssen deine Kinder sterben. Also das ist ein sehr aktuelles Thema. Und ich glaube auch ein Thema, was damals sehr aktuell war.
BR-KLASSIK: Wir werden beim Bayreuth Baroque Opera Festival heuer etliche Sängerinnen und Sänger wiedersehen und wiederhören, unter anderem den wunderbaren Sopranisten aus Honduras Dennis Orellana, 23 Jahre jung. Ist Ihnen das auch wichtig, dass Sie immer wieder junge Sänger und Sängerinnen in dieses Festival integrieren?
Max Emanuel Cenčić: Ja, man hat mich einige Male schon gefragt, ob ich unterrichte oder ob ich Workshops für junge Sänger mache. Und ich habe das grundsätzlich immer abgelehnt, weil ich in meiner Jugend erlebt habe, dass es so viele Workshops und so viele Lernmöglichkeiten gibt, aber andererseits so wenig Chancen für junge Sänger, tatsächlich auf die Bühne zu gehen. Deshalb habe ich gesagt, bei Bayreuth Baroque machen wir zwar keine Workshops, aber wir werden den jungen Künstlerinnen und Künstlern die Bühnentüren öffnen. Und deshalb ist es so, dass wir hier immer wieder sehr junge Sänger haben, die ihre ersten Karriereschritte in Bayreuth gerade machen. Dennis zum Beispiel hat vor einem Jahr erst seinen Universitätsabschluss gemacht und tritt jetzt hier schon zum zweiten Mal auf und wird nächstes Jahr bei den Salzburger Festspielen sein Debüt geben. Natürlich sind wir sehr stolz darauf zu sagen, bei uns hat ein junger Sänger gestartet und jetzt ist er schon ganz groß auf den internationalen Bühnen.
Ich hatte von Anfang an eine Vision.
BR-KLASSIK: Kommen wir zur zweiten Oper, die es 2024 geben wird: "Orlando Furioso" von Antonio Vivaldi. Das ist eine internationale Koproduktion von Bayreuth Baroque mit dem Teatro Communale di Ferrara und dem Teatro Pavarotti di Modena. Die Oper wird in dieser Konstellation dann ihre Deutschlandpremiere feiern. Wie kam es zu dieser internationalen Koproduktion?
Max Emanuel Cenčić: Das ist ein lang gehegter Wunsch von mir gewesen, dass Bayreuth Baroque nicht nur eigene Produktionen macht, sondern internationale Opernproduktionen einlädt. Und das ist ja auch meines Erachtens der Sinn eines Festivals. Man muss ja verstehen, dass man als Festival und als Institution eine gewisse Zeit existieren muss und gewisse Beziehungen aufbauen muss, damit solche Produktionen überhaupt möglich sind. Sie sind extrem komplex und nicht einfach zu organisieren. Aber ich glaube, dass es extrem wichtig ist, dass das Markgräfliche Opernhaus sich zu einem Zentrum für Barockopern entwickelt, wo man wirklich hinschaut und sagt: Wow, da gibt es echt Sachen, die weit über die Grenzen ausstrahlen.
Auszug aus einem Gespräch mit Ursula Adamski-Störmer und Max Emanuel Cenčić im Schloss Birken in Bayreuth. Das ganze Gespräch können Sie hier sehen.
Sendung: "Allegro" am 3. September 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Mittwoch, 04.September, 06:18 Uhr
Thomas Haider
Bayreuth Baroque
Wir waren als Fans der Alten Musik über dieses Festival sehr erfreut und bei den ersten beiden Ausgaben dabei. Leider sind die Preise aber in derartig unverschämte Höhen geschnellt das wir gerne davon Abstand nehmen. Es ist leider zu einer elitären Veranstaltung geworden - vermutlich auch gewollt. Bei den Festwochen der alten Musik in Innsbruck bekommt man Karten für tolle Aufführungen zu einem vernünftigen Preis.
Also es ginge auch anders.