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Münchner Opernfestspiele Händels "Semele" – Reise ins Unterbewusste

Bei den Opernfestspielen in München steht noch eine große Premiere an: Am Samstag kommt im Prinzregententheater "Semele" von Georg Friedrich Händel auf die Bühne. Regisseur Claus Guth zeigt Semele als emanzipierte junge Frau, die ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen will. Bei der Inszenierung setzt Guth auf scharfe Kontraste in schwarz-weiß – und auf Breakdance.

Claus Guth inszeniert Händels Oper "Semele" bei den Münchner Opernfestspielen | Bildquelle: © Monika Rittershaus

Bildquelle: © Monika Rittershaus

Barocktheater ohne Donnerwetter? Das ist wie Händel ohne Perücke. Gibt's nicht. Entsprechend fährt auch die Oper "Semele" nach Art eines Oratoriums akustische Spezialeffekte auf. Ferner kommen im Stück vor: Zauberei, Drachen, Mega-Adler, die Federn lassen, und viel Feuer.

Blick hinter die Fassade

Regisseur Claus Guth macht aber trotz der fantasievollen mythologischen Vorlage keine funkelnde Revue aus "Semele". Er schafft scharfe Kontraste in schwarz-weiß, stellt eine emanzipierte Semele in den Mittelpunkt, die raus will aus ihrem geleckten Ambiente und deshalb auf ihrer eigenen Hochzeit die Flucht ergreift – mit der Axt bewaffnet. "Mich interessiert an der Figur Semele, dass plötzlich jemand sieht: Hinter dieser perfekten Fassade ist sehr viel Lüge, sehr viel Kälte", erklärt Regisseur Claus Guth. "Darin steckt eigentlich die Sehnsucht eines Menschen nach Emotion und Chaos."

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Lesen Sie ein ausführliches Interview mit Regisseur Claus Guth zu "Semele".

Semele macht die totale Show

Für die selbstbewusste Titelheldin Semele hat Händel virtuos und wild komponiert: Bungee-Jumping für die Stimmbänder trifft es ganz gut. Die Amerikanerin Brenda Rae singt und spielt die Semele. "Das hier ist eine Rolle, bei der man alles zeigen muss. Das ist meine totale Show", sagt Rae und fasst prägnant zusammen: "Semele will allen zeigen wie großartig sie ist – auch mit der Stimme."

Sinnsuche in einer anderen Dimension

Händels "Semele" bei den Münchner Opernfestspielen | Bildquelle: Monika Rittershaus Bildquelle: Monika Rittershaus Ein ständiger Begleiter in Claus Guths Inszenierung ist Semeles Hochzeitskleid. Aus dem steigt die Braut buchstäblich aus. Von da an erlebt die seidige Hülle verschiedene Metamorphosen. Bis zum bitteren Ende, wo dann Semeles Schwester Ino die weiße Robe trägt – und pikanterweise den Ex von Semele heiratet. "Das ist auch die bittere Pointe am Stück. Wir sehen Semele im Grunde als jemand, der – durch diese Reise ins Unterbewusste, in die andere Dimension – den Weg zurück in die Realität nicht mehr schafft", so der Regisseur.

Händels Oper "Semele" live auf BR-KLASSIK

BR-KLASSIK übertragt die Premiere von Händels "Semele" im Rahmen der Münchner Opernfestspiele aus dem Prinzregententheater. Am Samstag, den 15. Juli, ab 18:00 Uhr live im Radio.

Eine Premierenkritik hören Sie in "Allegro" am Montag, den 17. Juli, ab 6:05 Uhr.

Groovender Rhythmus statt introvertierter Trauernummer

Trotz Semeles letztlich vergeblicher Suche nach sich selbst und nach Unsterblichkeit ist das Stück keine Trauernummer. Grund dafür ist Händels Begabung, mit Leidenschaft den Entertainer zu geben. Das macht er zum Beispiel mit aufbrausenden Chören und immer wieder mit groovenden Rhythmen. "Der eine Aspekt, der mir eigentlich erst in der Probezeit klar wurde, ist, dass Händel hier sehr viel Humor und Leichtigkeit reingebracht hat – und das ist nicht typisch für ihn", sagt Claus Guth. So gibt es, typisch barock, auch eine Tanznummer. Alle sind vergnügt außer Semele. Sogar Michael Spyres als Oberboss Jupiter legt dafür einen professionellen Hüftschwung hin. "Die Oper lässt einen lachen und weinen, macht einen ärgerlich und frustriert", sagt Spyres. "Im Grunde schafft es Händel, darin jedes menschliche Gefühl zu zeigen."

Händel in München

Vor knapp 30 Jahren begann in München eine Art Renaissance von Händels Barockopern. Mehr dazu lesen Sie hier.

Jakub Józef Orlinski – Countertenor und Breakdancer

Händels "Semele" bei den Münchner Opernfestspielen | Bildquelle: Monika Rittershaus Jakob Josef Orlinski – Countertenor und Breakdancer | Bildquelle: Monika Rittershaus Dass der polnische Countertenor Jakub Józef Orlinski als Bräutigam Athamas im Cast ist, fügt sich ausgezeichnet ins Konzept von Claus Guth. Orlinski ist nämlich nicht "nur" Sänger, er ist auch Breakdancer. "Mit Jakub Orlinski habe ich schon mehrfach zusammengearbeitet, habe aber dieses Ausmaß, was er hier zeigt, noch nie auf einer Bühne gesehen. Da ist er kaum zu bremsen," sagt Claus Guth. Akrobatische Überschläge, Flugrollen, Drehungen: Orlinski gibt alles, aber Semele zeigt ihm trotzdem die kalte Schulter. "Es ist eine herausfordernde Rolle und manchmal auch echt absurd", sagt Orlinski zu den Arbeiten an "Semele". "Musikalisch betrachtet sind vor allem die Arien schwierig, weil sie für Altstimme geschrieben sind. Sie sind also ziemlich tief."

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Lesen Sie ein ausführliches Interview mit Jakub Józef Orlinski zu "Semele".

Einen langen, sportlichen Atem braucht es in jedem Fall auf unterschiedlichen Ebenen für Händels "Semele". Schon allein, weil der Abend über vier Stunden dauert. Um sich auf so eine Reise einzulassen, brauche es Rezepte, die einem das Konzept nicht schon auf den ersten Metern auf dem Präsentierteller mitgeben, so Regisseur Claus Guth. Man müsse da auch schon ein bisschen mitreisen.

"Semele" von Georg Friedrich Händel an der Bayerischen Staatsoper

Libretto nach William Congreve

Oper nach Art eines Oratoriums (1743)

Musikalische Leitung: Gianluca Capuano
Inszenierung: Claus Guth
Bühne: Michael Levine
Kostüme: Gesine Völlm
Choreinstudierung: Sonja Lachenmayr

Semele: Brenda Rae
Jupiter: Michael Spyres
Apollo: Jonas Hacker
Athamas: Jakub Józef Orlinski
Juno: Emily D'Angelo
Ino: Nadezhda Karyazina
Iris: Jessica Niles
Cadmus/Somnus: Philippe Sly
Hohepriester: Milan Siljanov
Chor: LauschWerk
Bayerisches Staatsorchester

Premiere im Rahmen der Münchner Opernfestspiele am 15. Juli 2023

Sendung: "Allegro" am 13. Juli ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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