Im Konzert möchte Helmut Lachenmann ein Abenteuer erleben. Niemals als derselbe rausgehen, als der er reingegangen ist. Am Freitag präsentiert das BRSO Werke des 87-Jährigen in der Reihe musica viva. Der Komponist ist voller Vorfreude.
Bildquelle: Lebrecht Music & Arts
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BR-KLASSIK: Helmut Lachenmann, wenn Sie auf Ihr langes Komponistenleben schauen, welche Rolle spielt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) darin?
Helmut Lachenmann: Die ist ziemlich komplex, die Rolle. Ich hatte früher manchmal Aufführungen im Lenbachhaus, da hat sich noch kein Mensch um meine Musik gekümmert. Und dann kam aber mein erstes Konzert bei der BRSO-Konzertreihe "musica viva". Das war 1971 mit einem Stück, das zuvor in Stuttgart mit Michael Gielen fantastisch uraufgeführt wurde.
Und in München war es ein anderer Dirigent und das Orchester war ganz schön böse: Die Musiker hatten keine Lust, mein Stück zu machen. Ich erfuhr ein Buh-Geschrei aus dem Saal und auch ein bisschen hinter der Bühne. Die Musiker lieben die Musik und dann kommt einer und mutet ihnen Aktionen zu, die sie weder studiert, noch überhaupt in ihrem Musikleben je vorhatten. Später gab es dann mehrere Aufführungen – und die waren schön. Also inzwischen wurde das ein herzliches Zusammenfinden. Ich freue mich also sehr auf heute Abend.
Komponisten haben immer das Publikum im freundlichsten Sinn provoziert.
BR-KLASSIK: Sie haben einmal gesagt, Sie wollen den Konzertsaal in einen Ort des Abenteuers verwandeln, wenn Ihre Musik darin erklingt. Was verstehen Sie denn unter Abenteuer?
Komponist Helmut Lachenmann | Bildquelle: © Astrid Ackermann
Helmut Lachenmann: Ich glaube, auch ein Konzertabend mit Sinfonien von Schubert sollte ein Abenteuer sein. Der Musikbegriff hat sich ja seit dem Gregorianischen Gesang permanent geöffnet. Das heißt, alle Komponisten haben in irgendeiner Form im freundlichsten Sinn das Publikum provoziert, andere Antennen in sich zu entdecken. Und für mich ist das der einzige Grund, wieso ich komponiere. Und diese Einladung anders zu hören, die ist natürlich irritierend fürs Publikum.
Die Menschen gehen ins Konzert, nicht um anders zu hören, sondern um zuzuhören und um sich vielleicht zu entspannen. Warum auch nicht? Ich tue das auch! Ich habe auch kein Problem damit, in ein Konzert mit total unterhaltender Musik zu gehen. Aber als Komponist möchte ich noch einmal diesen Musikbegriff in irgendeiner Form anders beleuchten. Und ich möchte eigentlich aus keinem Konzertsaal rausgehen als derselbe, als der ich reingekommen bin.
Hören Sie den Konzertmitschnitt der musica viva mit Werken von Helmut Lachenmann im Radio: am 7. Juli 2023 ab 20:05 Uhr auf BR-KLASSIK.
BR-KLASSIK: Das Hauptwerk des Konzertabends ist die finale Fassung Ihres Werkes "My Melodies" für acht Hornisten und ein sehr großes Orchester. Was sind das für Melodien, die Sie da kreiert haben?
Helmut Lachenmann bei der Probe zu "My Melodies" | Bildquelle: Astrid Ackermann Helmut Lachenmann: Mein Lehrer damals, ich habe in Venedig zwei Jahre gelebt und bei Luigi Nono studiert, der sagte: "Die Melodie – das ist ein bürgerliches Relikt". Aber er war damals ein praktizierender Kommunist. Und solche Dinge, die auf gewisse Weise jetzt tabuisiert sind, die schaue ich mir noch einmal an. Eine Melodie ist technisch gesehen die Fortsetzung. Ein Ton setzt den anderen fort. Eine Melodie ist etwas fürs Herz und man sieht Melodien auch meistens nicht allein: Man ist gemeinsam erfasst von etwas. Bei "My Melodies", da gibt es eine Melodie aus Pizzicati, es gibt eine Melodie aus Schlägen: die Klaviere haben sanfte Hämmer und hämmern eine Tonfolge. Und ich kann ja eine Melodie auch so langsam auseinanderziehen, dass ich warten muss, bis der zweite Ton kommt.
Ich glaube, auch ein Konzertabend mit Sinfonien von Schubert sollte ein Abenteuer sein.
BR-KLASSIK: Beim Blick ins Programmheft ist mir der Begriff "Heiterkeit" aufgefallen, bezogen auf das Stück "Got Lost" für hohen Sopran und Klavier. Es geht darin um die "ausdruckslose Heiterkeit". Ist die Heiterkeit auch ein bisschen Ihr Lebensmotto?
Helmut Lachenmann: Vielleicht. Also "Heiterkeit" ist für mich nicht lustig. Es gibt noch so einen Begriff übrigens: Glück. Ich hatte mal einen Zusammenstoß, das war in Stuttgart mit Hans Werner Henze. Er sagte zu mir: "Sie haben einfach noch nie erlebt, wie man beim Komponieren happy ist". Da habe ich gesagt: "Sie haben völlig recht. Aber ich war glücklich." Happy – das ist Bobby McFerrin. Don't Worry, Be Happy, vergiss den ganzen Kram. Aber glücklich ist nicht: Vergiss den ganzen Kram, sondern: Du stehst da drüber. Und der Begriff der Heiterkeit ist voll mit Entdeckungen. Es ist eine Form der Entspannung – aber nicht der Verdrängung.
Sendung: "Leporello" am 23. Juni 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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