Hellgrün: Das ist für Flötist Henrik Wiese die Farbe von Carl Reinekes Violinsonate in e-moll. Wiese ist Synästhetiker - sieht also Farben, wenn er Töne hört. Anlässlich des 200. Geburtstags von Carl Reineke gibt der BRSO-Musiker ein Kammerkonzert.
Bildquelle: BR/Theresa Högner
BR-KLASSIK: Carl Reinecke und die Flöte passen zusammen. Wie sehr hat er das Instrument durchschaut?
Henrik Wiese: Ich finde, dass Carl Reinecke die Möglichkeiten des Instrumentes perfekt ausschöpft und ganz genau weiß, für welche Charaktere er dieses Instrument einsetzen kann. Das Konzert ist von 1908. Wenn man das nicht weiß, könnte man meinen, dass es von 1870 oder sowas. Denn 1908 waren bereits die ersten atonalen Stücke von Schönberg komponiert. Es ist deshalb tatsächlich eine Musik, die aus der Zeit fällt. Aber sie geht meines Erachtens sehr zu Herzen. Allein deswegen lohnt es sich schon, sich mit dieser Musik auseinanderzusetzen.
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BR-KLASSIK: Sie sind Synästhetiker. Können Sie sagen, was für ein Farbspektrum Sie in der Musik von Reinecke wahrnehmen? Oder ist das vom konkreten Stück abhängig?
Henrik Wiese: Ich sehe Farben, wenn ich Töne höre. Die beziehen sich aber tatsächlich auf die einzelnen Noten. Die Note „e“ ist zum Beispiel hellgrün. Wenn ich ein Stück in e-Moll höre, beispielsweise die Violinsonate von Carl Reinicke, dann dominiert das „e“, weil es zur Grundtonart dazugehört. Deswegen würde ich pauschal sagen, dass diese Sonate in hellgrün geschrieben ist. Der Mittelsatz ist in C-Dur. Da sehe ich zwei Farben gleichzeitig, die sich aber nicht vermischen: weiß und schwarz. Das ist schwierig zu erklären für jemanden, der nicht Synästhetiker ist. Leute fragen nämlich, ob ich die Farben dann gemustert sehe. So ist es nicht. Es ist weiß und schwarz, ohne Muster, ohne Grautöne. Das war für mich immer ein Beweis dafür, dass mir das nicht unbewusst antrainiert wurde mit dem Farben hören. Es hätte ja sein können, dass ich ein Lehrheft hatte, wo Töne Farben zugeordnet sind. Eine Farbe zu hören, die in der Natur gar nicht vorkommt, ist für mich der Beweis, dass ich das ganz natürlich tue.
BR-KLASSIK: Wenn ich jetzt Sie bitten würde, die Farben, die Sie sehen, auf eine Leinwand zu malen …
Henrik Wiese: Dann könnte ich das nicht. Es ist so wie Licht, das von allen Seiten auf mich einstrahlt, auf sehr angenehme Art und Weise. Ich empfinde das als sehr positiv und inspirierend. Das müssen Sie sich ein bisschen so vorstellen, wie wenn Sie in einen Scheinwerfer reinschauen. Dieses Lichtes ist so intensiv, dass Sie drum herum kaum etwas wahrnehmen. Diese Lichter kommen nacheinander, weil sich die Musik ja in der Zeit bewegt. Das Licht leuchtet also in der Abfolge der Töne.
BR-KLASSIK: Gibt es denn auch Farben, wo Sie sich sperren? Wo Sie beim Hören eines Stückes eine dunkle und bedrängende Farbe empfinden?
Henrik Wiese: Das gibt es gar nicht bei mir. Aber es gibt Komponisten, die für dieses Thema wenig Sensibilität haben. Wenn ich Werke von Carl Maria von Weber höre, denke ich: Also der hat diese Ebene der Musik – bei aller Genialität in anderer Hinsicht – gar nicht verstanden. Ich finde es auch immer befremdlich, wenn ich von Bach-Werke höre. In synästhetischer Hinsicht ist Bach für mich kein guter Komponist. Das klingt natürlich barbarisch, wenn ich das so sage. Aber es ist ja auch nur ein Aspekt.
BR-KLASSIK: Schlagen wir noch mal den Bogen zu Carl Reinecke: Hat er es draufgehabt mit den Farben?
Henrik Wiese: Ja. Es gibt Stellen, wo ich mich frage, warum geht er jetzt in diese Tonart? Da finde ich nicht die Verbindung zwischen Farbe und Musik. Da frage ich mich dann, ob ich nicht die Verbindung zwischen Farbe und Musik gefunden habe und ob ich die Musik richtig begriffen habe. Oder hat er da einfach sehr tief in den Farbkasten gegriffen?
Kammermusikabend der Mozart-Gesellschaft München mit Flötist Henrik Wiese.
Samstag, 09.11.2024
17:00 Uhr
Münchner Künstlerhaus
Sendung: "Leporello" am 7. November 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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