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Sänger Georg Nigl bei den Salzburger Festspielen Faszination Schönberg

Der letzte Woche verstorbene Komponist Wolfgang Rihm war das Kostbarste, das ihm im Leben begegnet ist. Sagt Georg Nigl im Interview. Er singt in Salzburg Schönbergs "Hängende Gärten". Ein Stück, das Einarbeitung braucht.

Georg Nigl | Bildquelle: Anita Schmid

Bildquelle: Anita Schmid

BR-KLASSIK: Herr Nigl, das wunderbare Arnold Schönberg Center in Wien, das ein ganz tolles Programm macht, hat auch eines für Kinder mit dem Titel "Schönberg ist schön". Das finden erstaunlich wenig Leute.

Georg Nigl: Also, der Schönberg ist eine schwierige Person, ganz sicher. Zum Beispiel - was er angeblich gesagt hat - dass in 50 Jahren die Kinder seine Melodien pfeifen würden, das hat sich nicht eingestellt. Dafür ist die Musik zu komplex. Bei den "Hängenden Gärten" ist es mir auch so gegangen. Ich bin eine Zeit lang wirklich gehangen. Da muss man sich schon Vorarbeiten. Aber im Gegensatz zu sehr viel anderer Musik, wo man auch sehr viel arbeiten muss, stellt sich dann doch etwas ein, was wirklich größer ist, als man vorher gedacht hat, dass es sein könnte.

Komischerweise stellt sich in der Musik Schönbergs etwas ein, was einen mitnehmen kann.
Sänger Georg Nigl

Schönberg – der alte Erneuerer

 BR-KLASSIK: Was ist das? Wo liegt der Lohn dieser Musik?

Arnold F.W. Schönberg, Komponist | Bildquelle: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo Komponist Arnold Schönberg | Bildquelle: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo Georg Nigl: Der Lohn dieser Musik, glaube ich, liegt einerseits darin, dass sie trotz allem mit der Tradition nicht gebrochen hat. Schönberg bricht natürlich, indem er sagt, er löst die Dissonanz und die Konsonanz auf. Aber er weiß schon ganz genau, was er dabei macht. Es gibt diesen Adorno-Text über die "Hängenden Gärten", wo Adorno sich auf Brahms bezieht. Ich würde ihm da aber insofern noch reingrätschen und sagen: Da ist auch viel Schumann drin, auch viel Dichterliebe. Und wenn man dann bei der Dichterliebe von Schumann ist, ist man auch irgendwann beim Schwanengesang von Schubert. Man beginnt Verbindungen aufzubauen und komischerweise stellt sich in der Musik Schönbergs etwas ein, was einen mitnehmen kann.

BR-KLASSIK: Was muss man machen, damit man da reinfindet, wenn das Musik ist, die nicht auf den ersten Blick funktioniert?

Georg Nigl: Nehmen wir jetzt mal an, wir zählen Schönberg zum Kanon des 20. und 21. Jahrhunderts, als vielleicht auch der "Anstoßer" von dieser modernen Musik, wie wir sie kennen. Ich glaube, es geht vor allem in der Musik des 20. Jahrhunderts noch einmal darum, die Grenzen zu erweitern. Vor allem auch natürlich die tonale Begrenzung. Und ich glaube, wir dürfen nicht vergessen, dass sich das Verständnis des Künstlers in dieser Zeit noch mal extrem verändert hat. Das heißt, diese Kunst versucht nicht nur, sich als Musik darzustellen, sondern versucht auch noch andere Gedanken mit hineinzubringen. Wenn man das, was man kennt – also zum Beispiel die Auflösung der Dissonanz in die Konsonanz – einmal weglässt und diese Musik wirken lässt, dann hat das schon eine große Kraft.

Alles rund um die Salzburger Festspiele

Alles über die diesjährigen Salzburger Festspiele, Kritiken, die Radioübertragungen bei BR-KLASSIK sowie Videostreams finden Sie im Salzburg-Dossier.

Georg Nigl holt sich Rat bei Wolfgang Rihm

BR-KLASSIK: Bei den Salzburger Festspielen bringen Sie das Stück "Ode to Napoleon" zur Aufführung. Sie sind da der Sprecher.

Wolfgang Rihm © AstridAckermann | Bildquelle: BR Komponist Wolfgang Rihm ist am 27. Juli im Alter von 72 Jahren gestorben. | Bildquelle: BR Georg Nigl: Da habe ich eine lustige Geschichte dazu. Es ist so, dass der Schönberg in Hollywood den Charlie Chaplin getroffen hat. Und er hat sich gedacht, so wie der Charlie Chaplin den Diktator gemacht hat, muss er jetzt auch ein Stück komponieren, das sozusagen mit Humor die politischen Äußerungen eines Hitlers persifliert. Jetzt besteht dieses Stück aus einem Text von Lord Byron über Napoleon. Und der ist nicht lustig. Ich habe dann Wolfgang Rihm, mit dem ich sehr eng befreundet war, angerufen und hab ihn gefragt: "Ich weiß jetzt nicht, was ich mit dem machen soll, weil ich es nicht witzig finde." Und dann hat Wolfgang Rihm mir ein Foto geschickt vom Schönberg, wie er lächelt. Da habe ich wahnsinnig gelacht. Also Humor war nicht Schönbergs große Stärke.

Ich habe mit Wolfgang einen Menschen verloren, der zum Kostbarsten zählte, dem ich in meinem Leben begegnen durfte.
Sänger Georg Nigl über Wolfgang Rihm

BR-KLASSIK: Herr Nigl, Sie waren einer der wichtigsten Interpreten für die Lieder von Wolfgang Rihm. Liedzyklen hat er Ihnen gewidmet und für Sie geschrieben. Ende Juli ist er verstorben. Sein Verlust ist unabsehbar, oder?

Georg Nigl: Der Wolfgang war nicht nur mein Komponist, sondern er war auch mein Freund. Und sowas stellt sich nicht oft ein. Ich habe mir durch Wolfgang einen Kosmos erschlossen, der mir – wenn ich das über mich selbst so sagen darf – den Weg geebnet hat, ein künstlerisch denkender Mensch zu werden. Immer wenn es darum ging, in die Abgründe des Menschen, des menschlichen Seins hinab zu gehen, dann wusste ich immer, dass ich ein kleines Licht vor mir habe, eine Kerze. Und die hat der Wolfgang für mich gehalten. Und der ist jetzt weg. Ich habe mit Wolfgang einen Menschen verloren, der zum Kostbarsten zählte, dem ich in meinem Leben begegnen durfte. Nämlich nicht nur als Künstler, sondern wirklich als Mensch.

Sendung: "Leporello" am 1. August 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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