Zu München hat Jan Lisiecki eine ganz besondere Verbindung. Nun kommt der Pianist Anfang Januar zurück – mit Beethovens Klavierkonzerten im Gepäck. Und der charismatische Kanadier blickt nicht nur seinen drei Auftritten mit der Academy of St Martin in the Fileds in der Isarphilharmonie freudig entgegen.
Bildquelle: Ksawery Zamoyski
BR-KLASSIK: Wenn ich Sie mitten in der Nacht wecken und Ihnen sage würde, Sie müssten jetzt sofort etwas von Beethoven spielen - was wäre das?
Jan Lisiecki: Da würde ich wahrscheinlich das 3. Klavierkonzert spielen. Also jedenfalls, wenn Sie mich heute Nacht aufwecken würden.
BR-KLASSIK: Welcher Satz?
Jan Lisiecki: Das wäre dann wohl der erste Satz.
BR-KLASSIK: Verstehe, da ist man dann auf jeden Fall wach.
Jan Lisiecki: Wenn Sie mich mitten in der Nacht aufwecken, dann wäre ich möglicherweise etwas sauer (lacht).
BR-KLASSIK: Die fünf Konzerte von Beethoven erzählen Ihrer Meinung nach eine Geschichte. Welche ist das genau?
Jan Lisiecki: Meiner Meinung nach hat der Zyklus der fünf Klavierkonzerte von Beethoven einen ganz besonderen Stellenwert. 2018 bin ich relativ kurzfristig für Murray Perahia eingesprungen und habe alle fünf Konzerte mit der Academy of St Martin in the Fields gespielt. Jetzt bringen wir wieder alle Beethoven-Konzerte zur Aufführung. Aber hier ist es mein eigenes Projekt und wir schreiben unsere eigene Geschichte.
BR-KLASSIK: Was ist das für eine Erfahrung, alle fünf Konzerte in einem Zyklus zu spielen?
Jan Lisiecki: Das ist für mich als Künstler absolut einzigartig und ich verbinde damit ganz besondere Erinnerungen. Außerdem zeigt es sowohl mir als auch dem Publikum, wie Beethoven das Genre des Klavierkonzerts weiterentwickelt hat: Angefangen bei den frühen Konzerten, die vom Stil her noch sehr an Mozart erinnern und Elemente von Haydn und Mozart beinhalten, die elegant und präzise sind. Auch da gibt es bereits Beethovens überraschende, harmonische Wendungen und seinen Humor. Sie sind aber noch ziemlich geradlinig. Das dritte Konzert weist dann schon mehr in die Zukunft, das vierte ist absolut radikal. Im fünften verzichtet er schließlich auf Kadenzen. Beethoven hat den Klang und Stil eines Konzerts in seinen Werken entscheidend weiterentwickelt. Und diese Entwicklung kann man wunderbar mitverfolgen, indem man sich den Zyklus der fünf Klavierkonzerte anhört.
BR-KLASSIK: Haben Sie unter den Fünfen ein Lieblingskonzert?
Jan Lisiecki: Ja, natürlich. Ich würde sagen, dass die Nummer vier das intimste und unglaublichste der Konzerte ist. Aber eigentlich liebe ich sie alle, so wie man alle seine Kinder liebt, die ganz verschieden sind. Jedes bringt ganz unterschiedliche Aspekte mit, jedes hat seine eigenen Stärken. Vielleicht werden die ersten beiden Konzerte allgemein etwas geringer geschätzt, weil sie noch nicht ganz auf dem unglaublichen Niveau der späteren drei Konzerte sind. Aber die Kadenzen im ersten und zweiten Konzert, jeweils im ersten Satz, die Beethoven selbst geschrieben hat, sind absolut spektakulär.
BR-KLASSIK: Was macht die Kadenz beispielsweise im ersten Konzert denn so spektakulär?
Jan Lisiecki: Die Kadenz im ersten Konzert dauert fünf Minuten. Sie ist sehr, sehr lang, ausgesprochen komplex und täuscht immer wieder einen Schluss an, womit man das Publikum zum Lachen bringen kann, weil jeder meint, jetzt müsste das Ganze zum Ende kommen, was es dann aber nicht tut. Jedes Konzert wartet mit kleinen Überraschungen auf, deswegen mag ich sie alle (lacht).
Die Nummer vier ist das intimste und unglaublichste der Konzerte.
BR-KLASSIK: Und warum würden Sie das vierte Konzert bevorzugen, wie Sie vorhin spontan geantwortet haben?
Jan Lisiecki: Das vierte Konzert ist einfach wunderschön und vom ersten Akkord an voller Emotionen. G-Dur, so schön! Was für ein Genie, so etwas Schönes gleich am Anfang eines Werks zu schreiben, ehe noch irgendetwas anderes passiert ist! Und dann kommt das Orchester mit einer etwas anderen Farbe dazu. Es ist so voller Wärme, einfach unglaublich!
BR-KLASSIK: Was hat sich getan, seit Sie 2018 mit der Academy gespielt haben?
Jan Lisiecki: Es gibt immer etwas zu lernen und etwas, das man anders machen kann. Musik ist zum Glück nie unveränderlich. Man ist nie perfekt, auch wenn man natürlich danach strebt. Wenn man einen Gipfel erklommen hat, sieht man, dass dahinter schon der nächste wartet, der noch etwas höher ist. Deswegen bleibt es immer faszinierend, und ohne dass man unbedingt etwas anders machen möchte, ergibt es sich trotzdem.
BR-KLASSIK: Wie meinen Sie das?
Bildquelle: Ksawery Zamoyski Inzwischen habe ich zum Beispiel das dritte Konzert mit den Berliner Philharmonikern gespielt und dabei wieder ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Das vierte habe ich mit den unterschiedlichsten Orchestern gespielt, ebenso das fünfte. Ja, und auch das erste. Jedes Mal ist anders und man hofft, dass die gewonnenen Erkenntnisse in die nächste Aufführung mit einfließen. Und so ist man immer am Lernen. Und nach dem kommenden Zyklus im Januar wird es wieder so sein, dass ich neue Erfahrungen gemacht habe, über die ich nachdenken muss.
Musik ist zum Glück nie unveränderlich.
BR-KLASSIK: Aber es macht doch einen großen Unterschied, ob Sie mit Dirigent oder Dirigentin spielen, oder ob Sie selbst vom Flügel aus leiten?
Jan Lisiecki: Das macht auf jeden Fall einen großen Unterschied! Ich kann gar nicht sagen, welche Variante ich bevorzuge. Wenn ich mit einem überragenden Orchester spiele, das es gewohnt ist, ohne Dirigent aufzutreten, wie die Academy of St Martin in the Fields, dann ist es ein noch unmittelbareres Erlebnis, und es gibt für mich keine Grenzen mehr. Die Basis der Zusammenarbeit ist dann das Aufeinanderhören und nicht der Blickkontakt, und das ist ganz entscheidend. Denn wenn man wirklich hört, dann kann man noch besser auf die Phrasierungen und die Musik eingehen und ist nicht auf Gesten angewiesen, die Spielraum für Missverständnisse bieten.
BR-KLASSIK: München spielt in Ihrer Karriere eine wichtige Rolle. Ganz früh, 2010, waren Sie zu Gast in der Reihe "Winners and Masters". Haben Sie eine besondere Beziehung zu der Stadt?
Jan Lisiecki: Sie haben recht, München hat in meinem Leben eine wichtige Rolle gespielt und ich liebe diese Stadt! Ich trete hier immer gerne auf und habe im Herkulessaal, im Gasteig und jetzt auch in der neuen Isarphilharmonie gespielt. Jeder Saal hat seine ganz eigenen Vorzüge. Es ist eine Stadt, die ich sehr gut kenne, weil ich hier viel Zeit verbringe. Und jedes Mal gibt es etwas Neues zu entdecken. Ich bin immer gespannt auf Museen, die ich noch nicht kenne oder einfach auf ein Stadtviertel, in dem ich noch nie war.
BR-KLASSIK: Was machen Sie denn, wenn Sie Zeit haben?
Jan Lisiecki: Ich liebe die Pinakotheken – die Alte und die der Moderne. Außerdem gehe ich gerne im Englischen Garten spazieren. Mal sehen, wie das dann im Winter ist. Aber ich genieße es, dort in der Natur zu sein, herumzuspazieren und vielleicht noch ein Bier zu trinken.
BR-KLASSIK: Welches Bier? Das ist ganz wichtig in München ...
Jan Lisiecki: Da möchte ich mich lieber nicht festlegen (lacht). Hauptsache ein Helles! Ich mag das wirklich sehr! Mit den unterschiedlichen Marken kenne ich mich nicht so aus. Aber mit einem Hellen bin ich in München, glaub ich, auf der sicheren Seite …
BR-KLASSIK: Haben Sie irgendetwas vor zum 30. Geburtstag?
Jan Lisiecki: Ich habe mir meinen Geburtstag tatsächlich freigehalten, so dass ich an dem Tag nicht konzertieren werde. Wahrscheinlich fahre ich einfach heim nach Kanada zu meiner Familie und feiere dort. Es ist dann März, vielleicht kann man Skifahren, dann würde ich gerne mit meinem Dad zum Touren gehen.
BR-KLASSIK: Das klingt gut. Aber keine Angst um die Hände?
Jan Lisiecki: Nein, ich fahre schon länger Ski, als ich Klavier spiele. Und ich finde, man muss sein Leben leben. Und im Gelände abseits der Piste sind die Abfahrten auch nicht so steil und hart. Alpin-Ski wäre auf jeden Fall gefährlicher.