Diese Woche dirigiert Maxim Emelyanychev erstmals beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Der junge russische Dirigent und Pianist erklärt im Interview, wie er über den Krieg denkt, was für ihn den Zauber der historischen Aufführungspraxis ausmacht und warum Fanny Hensel einfach "gute Musik" geschrieben hat.
Bildquelle: © Andrej Grilc
BR-KLASSIK: Herr Emelyanychev, Sie sind zum ersten Mal beim Orchester – wie ist die Stimmung?
Maxim Emelyanychev: Es ist ziemlich aufregend. Der Großteil vom Programm ist sehr bekannt – aber klingt mit jedem Orchester immer ein bisschen anders. Ich mag es, mit dem Orchester zu arbeiten, und ich schätze auch den Saal. Ich habe schon zweimal im Herkulessaal gespielt, mit meinem Barockorchester Il Pomo d’oro. Ich finde, er hat eine sehr gute Akustik. Und jetzt ist es fast so, als würden wir im großen Orchester Kammermusik spielen, weil alle Musikerinnen und Musiker auch tolle Solisten sind. Wir machen manches ganz normal, und an manchen Stellen experimentieren wir auch ein wenig.
BR-KLASSIK: Nochmal zum Programm: Da steht ja auch eine Ouvertüre von Fanny Hensel, die hier noch nie gespielt wurde. Was ist das für Musik?
Maxim Emelyanychev: Sehr interessant. Sie ist ja vor allem für ihre Kammermusik bekannt und die Klaviermusik. Und diese Ouvertüre kommt einerseits recht einfach daher, auf der anderen Seite mit großen romantischen Phrasen. Generell ist es immer wichtig, Neues zu spielen. Es ist einfach gute Musik und ich hoffe, dem Publikum gefällt es.
BR-KLASSIK: Wenn Sie sagen "gute Musik", was meinen Sie genau? Oft wird bei Fanny der Vergleich zum Bruder Felix herangezogen – aber was macht ihr eigenes Genie aus?
Maxim Emelyanychev: In diesem Werk höre ich nicht nur den Einfluss von Felix. Darin spiegeln sich viele Einflüsse der Zeit. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts verändert sich die Musik so rapide. Und hier haben wir einerseits eine ganz klassische Struktur. Aber schon im Auftakt schreibt sie fast schon mit barocker Gestik, das zweite Thema ist dann mit breitem romantischen Pinsel. Und dieser Mix aus romantischer Farbe und klassischer Textur kommt mir entgegen.
BR-KLASSIK: Zurück zu den Experimenten: Mit ihrem Ensemble Il Pomo d'oro haben Sie schon viel Erfahrung mit der Historischen Aufführungspraxis. Was ist das für Sie eigentlich genau, der Originalklang?
Maxim Emelyanychev spielt am Flügel und dirigiert gleichzeitig | Bildquelle: picture alliance / ZB | Michael Reichel Maxim Emelyanychev: Ich wusste schon früh, mit Zwölf, dass ich dirigieren wollte. Aber je mehr ich dann studierte, umso mehr wurde mir klar, dass ein Dirigent verschiedene Rollen hat – je nach Epoche. Und im Bereich der Historischen Aufführungspraxis ist mir wichtig, einer unter den Musizierenden zu sein. Bei Solokonzerten sowieso, da spiele ich dann Klavier oder Cembalo. Und abgesehen davon ist der Klang der Instrumente ganz anders. Und die Ästhetik, die Gesten. Hier verwenden wir übrigens auch ganz neue Partituren und Drucke, da stehen keine Striche für die Streicher oder sonst was drin. Ich möchte mich ganz frisch nähern, aber mit dem Ansatz, es so zu machen, wie es damals möglich war. Und mittlerweile sind viele der großen Orchester aufgeschlossen für Historische Praxis, viele spielen auch nebenher Historische Instrumente. Wenn man weiß, was man sagen will, kann man das mit jedem Instrument.
Bei der Historischen Aufführungspraxis will ich Teil der Musizierenden sein.
Fanny Hensel: Ouvertüre C-Dur
Johannes Brahms: Violinkonzert D-Dur, op. 77
Robert Schumann: Symphonie Nr. 4 d-Moll, op. 120
Isabelle Faust, Violine
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Maxim Emelyanychev, Dirigent
19./20. Oktober 2023, 20:00 Uhr
Herkulessaal München
BR-KLASSIK überträgt das Konzert am Freitag live im Radio.
BR-KLASSIK: Und wie klingt dann jetzt ein so oft gehörtes Stück wie das Violinkonzert von Brahms in Ihrer Lesart?
Beim BRSO als Solistin dabei: Isabelle Faust | Bildquelle: Kissinger Sommer Maxim Emelyanychev: Es ist immer interessant, bei so bekannten Werken einen anderen Zugang zu finden. Manchmal ist es tatsächlich hilfreich, einfach mal zu spielen und sich überraschen zu lassen, was das Orchester anbietet. Nehmen wir nur die Oboe im Zweiten Satz im Brahms-Violinkonzert. Es gibt aber auch viele andere Details, in denen die Holzbläser sagen, wo' s langgeht. Oder bei Schumann die Geigen, auch das Cello. Da kommt oft etwas, und sei es nur eine Nuance, an das ich vorher gar nicht gedacht habe, und das nehme ich dann an und versuche es, in ein Ganzes zu packen, das dann für sich steht. Und mit Isabelle Faust zu arbeiten, ist eh sehr interessant. Ich habe sie zum ersten Mal in Moskau gehört, als sie Beethoven gespielt hat. Unter Teodor Currentzis, mit dem ich auch viel gearbeitet habe. Und dieser andere Blick gefällt mir, sagen wir mal in diesem Fall: romantisch gefärbte Literatur, klassisch anzugehen.
BR-KLASSIK: Wieviel Zeit bringen Sie nach München mit? Gehen Sie spazieren, ins Museum oder vertiefen Sie sich nach den Proben weiter in die Partitur?
Maxim Emelyanychev: Sowohl als auch. Ich geh gerne raus, wobei jetzt ist es auch ganz schön kalt geworden. Ich fahre zum Beispiel auch sehr gerne mit diesen E-Scootern durch die Parks. Und da denke ich schon an verschiedene Projekte, doch.
BR-KLASSIK: An welche genau? Was schwirrt Ihnen aktuell durch den Kopf?
Maxim Emelyanychev: Ich bin jetzt dann beim Deutschen Sinfonieorchester in Berlin – mit Brahms Sinfonien und einem Schostakowitsch Violinkonzert mit Vilde Frang. Dann habe ich Projekte mit meinem Orchester in Schottland, nebenher Originalklang-Projekte mit Darmsaiten. Also alles fließt, würde ich sagen.
BR-KLASSIK: Und sind das dann Gedankenspiele im Kopf – oder auch explizit Arbeit an der Partitur?
Maxim Emelyanychev: Im Grunde im Kopf. Aber ich habe auch viele Partituren auf meinem I-Pad dabei. Die meisten gedruckten Partituren sind nämlich in Moskau. Heutzutage ist es einfach viel praktischer, mit so einem kleinen Teil zu reisen. Außerdem schreibe ich gar nicht so gerne in eine Partitur rein. Jetzt hat das Orchester auch gefragt, ob ich nicht meine Fassung mitbringen kann. Aber ich finde, während der Probe kann sich noch vieles ändern. Die Gefahr ist zu hoch, dass es langweilig wird. Vielleicht machen wir ja im Konzert spontan ein crescendo? Naja, wir haben ja ein paar Optionen: zwei Konzerte, und dann noch die eine oder andere Wiederholung. Also mindestens vier verschiedene Möglichkeiten der Interpretation. (lacht)
Wir werden nie verhindern können, dass es Konflikte gibt auf der Welt.
BR-KLASSIK: Sie haben Moskau erwähnt. Seit dem Krieg ist das ja sicher eine schwierige Beziehung, oder? Wie geht’s Ihnen?
Maxim Emelyanychev: Die Lage derzeit ist eine Katastrophe. Es sollte nicht so sein. Wir werden nie verhindern können, dass es Konflikte gibt auf der Welt. Was wir tun können, ist Musik zu spielen, Konzerte zu geben. Für die Dauer eines Abends eine Atmosphäre des Friedens, der Ruhe, des Glücks zu schaffen, damit das Publikum dieses Gefühl dann mit nach Hause nimmt.
Sendung: "Allegro" am 19. Oktober 2023, um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)