Schon letztes Jahr gab es in Salzburg Demonstrationen, als Teodor Currentzis dort auftrat. 2023 wurde der griechisch-russische Dirigent wieder eingeladen: Viermal wird Currentzis bei den Salzburger Festspielen, die am Donnerstag starten, am Pult stehen. Und wieder gibt es eine heftige Kontroverse um seine Auftritte. Komponist Moritz Eggert wirft Teodor Currentzis vor, sich konsequent zu verweigern, den russischen Angriff auf die Ukraine zu verurteilen.
Bildquelle: Nadja Romanova
Ist der hochumstrittene griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis womöglich gar ein Idealist? Diesen Eindruck könnten Leser haben, die auf der Website der Salzburger Festspiele unterwegs sind. Dort wird das "Utopia"-Orchester, mit dem Currentzis an der Salzach auftritt, jedenfalls als "idealistischer Versuch" beschrieben, das "innere Wesen eines musikalischen Textes zu erreichen". Kein Wort findet sich über die Nähe von Currentzis zu Putins Regime: Er leitete im sibirischen Perm das dortige Opern- und Balletttheater und kritisierte bisher mit keinem Wort den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
Currentzis' russischer Klangkörper profitierte von staatlichen Zuwendungen aus Moskau. Gerade eben trat er in Perm beim von ihm geleiteten "Diaghilew-Festival" auf und wurde für seine Interpretation des Händel-Oratoriums "Der Triumph der Zeit und der Enttäuschung" gerühmt.
Offenbar hat der Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, mit all dem kein Problem: In den "Salzburger Nachrichten" sagte er, die Unternehmungen mit Currentzis hätten sich künstlerisch "gelohnt". Er stehe "überzeugt zur Arbeit der eingeladenen Künstler". Mehr wollten die Festspiele auf Anfrage des BR dazu auch nicht sagen. Hinterhäusers Meinung über Currentzis habe sich in keiner Weise geändert.
Komponist Moritz Eggert forderte Currentzis in einem offenen Brief auf, sich vom russischen Angriffskrieg zu distanzieren. | Bildquelle: © Astrid Ackermann
Das will der Präsident des Deutschen Komponistenverbandes, Moritz Eggert, nicht akzeptieren. Er schrieb bereits am 11. Juni einen offenen Brief, in dem er Currentzis aufforderte, sich klipp und klar vom russischen Angriffskrieg zu distanzieren. Eine Reaktion des Dirigenten blieb aus.
Currentzis wird in Salzburg vier Konzerte geben: zwei konzertante Aufführungen der Oper "The Indian Queen" von Henry Purcell und zweimal die c-Moll-Messe von Mozart. Moritz Eggert ist darüber aufgebracht: "Es geht nicht, dass er sich da komplett raushält, wenn klar ist, dass seine Aktivitäten, also die Finanzierung seiner Ensembles, Tourneen und Konzerte über sanktionierte Banken wie die VTB-Bank gehen."
Natürlich könnte er vertraulich seine Position erläutern – und offensichtlich hat er das nicht getan.
Bemerkenswert findet Moritz Eggert, dass Teodor Currentzis offenbar auch hinter vorgehaltener Hand nicht bereit ist, Putin in irgendeiner Weise zu kritisieren. "Es ist ja so, dass viele Intendanten, die sehr eng mit Currentzis waren und die das persönliche Gespräch mit ihm gesucht haben, danach von ihm abgerückt sind", sagt Eggert. Es werde ja immer das Argument gebracht, Currentzis könne nicht offen sprechen, weil er dann mit harten Konsequenzen von russischer Seite rechnen müsse. Doch Eggert meint: "Natürlich könnte er vertraulich seine Position erläutern – und offensichtlich hat er das nicht getan."
"Wenn wir die Dinge beurteilen, sollten wir uns schon das ganze Bild ansehen": Lesen Sie hier, was die Salzburger Festspielpräsidentin, Kristina Hammer, über die Einladung von Teodor Currentzis sagt (2022).
Beim SWR, wo Currentzis das dortige Symphonieorchester leitet, hatte der zuständige Pressesprecher Mitte Juni mitgeteilt, dass es "zweifellos leichter" wäre, wenn sich der Dirigent gegen den Krieg positionieren würde. Der SWR habe das jedoch nie verlangt, weil ihm bewusst sei, welche Folgen das für den Künstler in Russland hätte: "Er selbst könnte natürlich Russland verlassen und seine Karriere in Westeuropa fortsetzen. Er trägt aber in Russland als Chefdirigent von MusicAeterna auch Verantwortung für die Mitglieder dieses Ensembles." Moritz Eggert habe mit seinem offenen Brief, der als "polemisch" bezeichnet wurde, keinen Beitrag zur "komplexen Debatte" geleistet. Der SWR habe auch nicht "ansatzweise den Verdacht", Currentzis unterstütze den Krieg.
Komponist Eggert sieht das anders: "Ich finde, diese Konzerte können stattfinden, aber es muss darüber diskutiert werden. Es muss dann Veranstaltungen geben, wo auch Herr Currentzis sich dazu äußern sollte. Und wenn er das nicht will, dann kann er vielleicht das Konzert absagen. Das ist im Moment, finde ich, Bedingung."
Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, hält an Currentzis fest. | Bildquelle: picture alliance / Robert Newald / picturedesk.com Das Verhalten von Markus Hinterhäuser, Programmmacher bei den Salzburger Festspielen, findet Eggert nicht in Ordnung: "Wenn ich jetzt Intendant der Salzburger Festspiele wäre oder zu entscheiden hätte, ob ich jemanden wie Currentzis einlade, dann würde sich die Frage stellen: Möchte ich das in diesem Moment tun? Ich würde das ehrlich gesagt nicht tun."
Sendung: "Allegro" am 18. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (16)
Donnerstag, 20.Juli, 14:09 Uhr
Edeltraud Mai
Antwort an Herrn Horstmann
Begeben Sie sich doch bitte mal in unsere Geschichte! Wie halten wir es mit Strauss, Orff und Karajan, Furtwängler Schwarzkopf (Aufzählung ggf. ergänzen) und ihrer mindestens ambivalenten Haltung ggü. Hitler-Deutschland? Oder hat die Zeit für seliges Vergessen gesorgt? Die Selbstgetechtigkeit der Cancel-Currentzis-Hetzer stinkt zum Himmel.
Donnerstag, 20.Juli, 11:16 Uhr
Maria Traponi
Die Verunglimpfung von Künstlern...
...nimmt in Deutschland - und nur dort -stalinistische Züge an. Anna Netrebko als Lady Macbeth wurde gerade in der Scala gefeiert und Karten für Currentzis sind für die Salzburger Festspiele schon lange nicht mehr zu haben. Laßt doch das Publikum entscheiden!!
Mittwoch, 19.Juli, 21:26 Uhr
Jan Michael Horstmann
Kultur und Politik
Kultur soll nicht politisch sein? Das erklären Sie bitte mal den Herren Wagner, Schiller, Offenbach und allen anderen, die durch ihre Kunst wachrütteln und Missstände anprangern wollten. Und wenn ein russischer Künstler Angst vor Repressalien nach erfolgter Kritik am Krieg haben muss, sollte er sich schleunigst von diesem Staat lossagen, wenn er mit gutem Gewissen Beethoven dirigieren will. Denn der hätte sich sowas nicht gefallen lassen.
Also: Moritz Eggert hat leider in allem Recht! Und Currentzis ist - bei allen Meriten - im Vergleich mit Bernstein, Harnoncourt oder gar Carlos Kleiber doch mehr Egomane als Genie...
Mittwoch, 19.Juli, 20:57 Uhr
Gerhard Pompe
Currentzis
Natürlich hat Herr Eggert recht. Bei den hier kommentieren den Herren geraten wohl einige Dinge durcheinander!
Mittwoch, 19.Juli, 12:08 Uhr
Klaus Spannagl
Herr Eggert! Hören Sie auf, ....
.... Menschen wie Currentzis zu verunglimpfen. Kultur darf nicht politisch mißbraucht werden und die Mehrheit der Bürger sieht das auch so! Die geforderte politische Stellungnahme nimmt ja langsam stalinistische Züge an und leider nur in Deutschland.
Mittwoch, 19.Juli, 10:19 Uhr
Häufele
Darf Currentzis in Salzburg auftreten
Herr Eggert ist schlecht informiert und verbreitet Halbwahrheiten, leider auch unter der Gürtellinie. Ich bin Markus Hinterhäuser zutiefst dankbar für sein Standing. Currentzis ist ein charismatischer Dirigent und Mensch, ich würde nicht nach Salzburg fahren wäre er nicht dabei. Wer seine Programme zu deuten weiß kennt seine Haltung zum Krieg.
Mittwoch, 19.Juli, 08:56 Uhr
Reinhard Häufele
Currentzis
Einem Künstler, der nicht dafür bekannt ist, sich zu politischen Fragen zu positionieren, eine politische Stellungnahme abverlangen zu wollen, die ihn von wesentlichen Teilen seines bisherigen künstlerischen Schaffenskontextes abschneiden würde, erscheint mir als faschistisch. Solch tollwütig moralisierender gesinnungsethischer Rigorismus kann uns alle in jeglicher Hinsicht ins tiefste Verderben führen. Es ist zum Fremdschämen.
Mittwoch, 19.Juli, 00:03 Uhr
Renfranz
Eggert
Es wundert mich, dass BR diesem Herrn nach seinem unflaetigen sogenannten Offenen Brief ein Forum gibt. Allein durch die Überschrift seines " Briefs" hat sich für mich dieser Herr als Kommentator disqualifiziert für Kultur sprechen, gleichgültig seines Status in unserer Gesellschaft.
Dienstag, 18.Juli, 19:45 Uhr
Sylvie
Currentzis in Salzburg
Dass der BR Kolumnist als Argument für seine Frage einer "Erlaubnis" zum Salzburg Auftritt sich u.a. beruft auf das Pamphlet von Herrn Eggert, spricht leider für sich. Die überlange Moralin saure Antwort die mir Herr Eggert auf meine Einwände -- im Sinne von Politik und Auftrittsverbot von Künstlern in der deutschen Geschichte -- gewürzt mit "Pseudowissen" über das Privatleben von Herrn Currentzis, geschrieben hat, liegt weit unter der Gürtellinie. Ich schließe ich mich meinen Vorschreiber/innen an und fahre nach Salzburg, Berlin --und Stuttgart, nicht nur aber auch wegen Herrn Currentzis.
Dienstag, 18.Juli, 13:32 Uhr
Bernd Stauber
Fäkal-Polemik
Meinen Vorschreiben und den Verantwortlichen der Salzburger Festspiele und des SWR kann ich nur zustimmen: Es ist übelste Polemik, die Herr Eggert verbreitet. Danke, dass Sie diese Fäkalsprache wenigstens nicht zitiert haben. Übrigens auch eine Schande für den Komponistenverband, ihn zum Vorsitzenden gewählt zu haben - sowohl in menschlicher als auch künstlerischer Hinsicht. Warum geben Sie ihm überhaupt nochmal ein Forum, wo doch sein Pamphlet schon fast zwei Monate alt ist und bereits verdientermaßen medial in der Versenkung verschwunden war?
Dienstag, 18.Juli, 12:33 Uhr
trappe
herrschende Meinung
Ist es nicht süß, wie belehrend wir nur noch übereinander "richten" anstatt friedlich einander zu vereinen. Sind wir damit besser als manche russische Doktrinierungen [also Aussagen, die von sich behaupten, allgemeingültig zu sein]? Wie weit wir gekommen sind, wenn wir hier "Auftrittsverbote" erwägen?
Die Trennung von Kunst/Musik und Kultur sollte stets geboten sein, d.h. die Politik sollte dies nicht für ihre Zwecke missbrauchen. Und auch die befragten Personen scheinen heute Angst zu haben, ihre Meinungen kundzutun, wenn dies nicht der Erwartungshaltung der herrschenden Meinung entspricht. Es fällt unter solchen Umständen schwer, dies alles noch ernst nehmen zu können.
Wenn Currentzis weder in Russland noch hier sich politisch äußert, gibt es keinen Grund, seine Konzerte in Frage zu stellen.
Dienstag, 18.Juli, 11:57 Uhr
Hugo Zsolnai
Russische Künstler
Dieses Problem hatten die Künstler im sogenannten Dritten Reich. Nicht alle die auftreten durften, haben ein Bekenntnis für das Regime äußern müssen. Auch wenn sie schwiegen, hat man sie nach Ende des Regimes als Mitläufer bezeichnet. Dann aber nach einiger Zeit durften sie wieder auftreten. Ich meine , man sollte Künstler arbeiten lassen und nicht ständig zu ihren Stellungnahmen zwingen. Man sollte die Kunst nicht politisch vereinnahmen.
Dienstag, 18.Juli, 07:30 Uhr
Max Weiß
Darf Currentzis in Salzburg auftreten?
Natürlich darf er das! Und wer ein wenig Acht hat auf Currentzis' Programmgestaltung, vor allem auch in der nächsten Spielzeit in Stuttgart, wird sehr wohl eine politische Positionierung heraushören können. Moritz Eggert will das nicht wahrnehmen, er ist Selbstdarsteller, dem es um sein eigenes Ego und dessen Geltung zu tun ist. Der BR geht ihm mit einer entsprechend undifferenzierten Berichterstattung gründlich auf den Leim.
Dienstag, 18.Juli, 00:49 Uhr
Edeltraud Mai
Kommentar Korrektur
Korrektur: "Psalmsinfonie"
Dienstag, 18.Juli, 00:09 Uhr
Edeltraud Mai
Darf Currentzis in Salzburg auftreten?
Es sollte inzwischen bekannt sein, was Bürgern in Russland widerfährt, sobald sie sich gegen Putin und seinen völkerrechtswidrigen und ekelhaften Krieg öffentlich positionieren. Currentzis schweigt öffentlich nicht nur hier, sondern auch in Russland.
Wem die Geldgeber von Currentzis‘ MusicAeterna (in Salzburg spielt Utopia…) nicht passen, soll doch mal „genehme“ Alternativen (in Russland!) benennen.
Erlaubt sei die Frage, was oder wer tatsächlich Grund für die Konzert-Absagen aus Wien ist.
Recherchieren hilft: Currentzis hat in Perm nicht das Händel-Oratorium dirigiert, sondern Strawinsky „Persephone“ und „Palmsinfonie“.
Dieser Bericht bietet der Selbstgerechtigkeit einiger Hetzer willfährig eine Bühne. Kritischer Journalismus geht anders.
Und: Finden nicht die Salzburger Festspiele in einem Land statt, das Monsterverträge mit Gazprom hat, diese erfüllt, damit Putins Krieg finanziert und sich dabei auf seine Neutralität beruft!
Dürfen wir die Salzburger Festspiele besuchen?
Montag, 17.Juli, 18:36 Uhr
Luzie
Th. Currentzis
Ich bin dankbar, dass M. Hinterhäuser ein besonnener Mensch ist und von den teilnehmenden Künstlern nicht, wie es M. Eggert und P. Jungblut fordern, ein Glaubensbekenntnis im Sinne eben dieser Herren einfordert.