Vor 40 Jahren dirigierte Riccardo Muti erstmals beim BRSO die sinfonische Fantasie "Aus Italien" von Richard Strauss. Nun kehrt der Maestro zurück nach München, um erneut dieses Werk zu interpretieren. Auch geistliche Werke von Haydn und Schubert stehen auf dem Programm.
Bildquelle: SF / Marco Borrelli
BR-KLASSIK: Maestro Muti, der 31. Mai ist der Todestag von Joseph Haydn. Ist das auch ein Grund dafür, dass Sie sich entschieden haben, sein "Te Deum" an erster Stelle des heutigen Programms zu spielen?
Riccardo Muti: Nein, dieses Jahr habe ich schon 200 Jahre Beethovens 9. Symphonie, 200 Jahre Anton Bruckner und Johann Strauss Sohn gefeiert. Ich wollte hier jetzt keinen besonderen Gedenktag feiern, sondern meine Rückkehr zum Bayerischen Rundfunk. Ich habe mir gewünscht, erneut auch mit dem Chor des BR zu arbeiten, weil ich eine ganz besondere Liebe und Bewunderung für diesem Chor hege. Als Hommage an ihn sollte der erste Teil dieses Konzerts deswegen Chormusik sein, denn er ist für mich einer der großartigsten Chöre der Welt. Ich habe mit ihm in Jahrzehnten so viele Werke erarbeitet, unter anderem die herrlich gesungenen Cherubini-Messen. Aber natürlich habe ich auch eine langjährige Beziehung zum Symphonieorchester des BR, darum gibt es "Aus Italien" von Richard Strauss im zweiten Teil des Konzertes. Ich schätze das Werk sehr und habe es vor 40 Jahren bereits hier dirigiert. Da könnte sich vielleicht doch etwas in der sogenannten Interpretation geändert haben.
BR-KLASSIK: Ein spiritueller erster Konzert-Teil und dann das weltliche, pralle sinnliche Leben Italiens als Kontrast?
Riccardo Muti: Haydn und Schubert im ersten Teil - ich verehre alle beide, und ich halte Schubert für einen der größten Komponisten, der aus mir unerklärlichen Gründen von den symphonischen Konzertprogrammen verschwindet. Vielleicht liegt es daran, dass seine Musik in ihrer Zartheit so schwierig ist. Schubert ist nicht laut, und es gibt heute eine Vorliebe jüngerer Dirigenten für beeindruckende Lautstärke, die auch das Publikum mit wenigen Ausnahmen begeistert. Dabei ist Schubert einer der Giganten der deutsch-österreichisch-europäischen Musik. In dieser - seiner kürzesten - Messe berührt er den Himmel, besonders zu Beginn im "Kyrie" und im finalen "Dona nobis pacem".
Riccardo Muti ist in drei Konzerten mit Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu erleben: am 30. und 31. Mai sowie am 1. Juni 2024 in der Münchner Isarphilharmonie. Das Konzert am 31. Mai überträgt BR-KLASSIK live ab 20:05 Uhr im Radio.
BR-KLASSIK: Man sagt, Franz Schubert sei verliebt gewesen in die Sopran-Solistin der Uraufführung.
Riccardo Muti: Der Solopart ist nicht sehr lang, aber enorm wichtig. Der erste Einsatz direkt nach dem großen Chor sollte wirklich wie eine Engelsstimme klingen. Das ist schon mal schwierig, aber im Finale gibt es dann einen verzweifelten Aufschrei des Solosoprans auf dem hohen a, vergleichbar mit dem "Libera me" im Verdi-Requiem. Das ist derselbe dramatische Hilferuf nach Erlösung und um Frieden, den wir gerade heute in dieser Welt so dringend brauchen. Wenn ich heute diese Schubert-Messe dirigiere, widme ich sie dieser Welt in Flammen, im Krieg und all den Kindern, die sterben. Wenn der Chor am Ende singt "Gib ihnen Frieden", sollten wir alle über die Notwendigkeit von Frieden in der Welt nachdenken.
BR-KLASSIK: Sie sind so viel beschäftigt, gibt es auch einen Ort für Sie, wo Sie Ihren ganz persönlichen Frieden finden?
Riccardo Muti: Ich habe in Apulien ein kleines Stückchen Land unterhalb der Burg von Friedrich II. von Hohenstaufen. Es ist sehr bescheiden, aber in dieser Jahreszeit ist dort alles voller Blumen. Wenn ich ein bisschen Zeit habe, gehe ich dorthin neben die kleinen Trulli, die wir in Apulien haben, sitze dort und finde meinen Frieden.
BR-KLASSIK: Da sind wir ja schon mitten in Italien – finden Sie bei Strauss' symphonischer Fantasie die Orte in der Musik tatsächlich wieder?
Dirigent Riccardo Muti | Bildquelle: Todd Rosenberg Photography Riccardo Muti: Ich habe dieses Werk 1968 in Neapel zum ersten Mal dirigiert. Es besteht ja aus vier Teilen, und im ersten "Campagna Romana" hört man auf erstaunliche Weise, wie Richard Strauss die Atmosphäre der Landschaft um Rom aufnimmt und fühlt. Diese Gegend ist sehr speziell, und man muss wirklich dort gewesen sein, um das nachempfinden zu können. Im zweiten Teil geht es um die römischen Ruinen, von denen Strauss natürlich beeindruckt war, aber er schreibt zwei Themen: ein sehr heroisches mit einem Trompetensignal und ein zweites sehr wehmütiges, das über die Vergänglichkeit dieser großen Zivilisation trauert. Dann geht es weiter an den "Strand von Sorrent", und als ich das damals in Neapel dirigiert habe und dem Orchester den Titel übersetzt habe, herrschte erst einmal Stille. Nach einiger Zeit sagte jemand vorsichtig: "Aber es gibt gar keinen Strand in Sorrent", und ich war wie vor den Kopf gestoßen. Ich bin Neapolitaner, ich weiß doch, dass es gar keinen Strand in Sorrent gibt, sondern nur eine steile, steinige Küste. Ich war so eingenommen von der musikalischen Beschreibung von Strauss, der die Schönheit der Gegend abbildet, das herrliche Panorama, Blumen, wer weiß, vielleicht auch den guten Mozzarella, den sie dort herstellen, und irgendwie hat er auch einen Strand gesehen, den es gar nicht gibt. Das war ein sehr lustiger Moment.
BR-KLASSIK: Und was passiert im letzen Teil der sinfonischen Fantasie "Aus Italien"?
Der letzte Satz heißt "Neapel", und darin gibt es das Thema "Funiculi Funicola". Strauss dachte, das sei eine alte Volksweise, die jeder auf der Straße pfiff oder sang. Dabei war das gerade erst geschrieben, und der neueste Schlager auf den Straßen von Neapel. Der Komponist hat Richard Strauss damals tatsächlich wegen berechtigter Plagiatsvorwürfe vor Gericht gebracht. Zum Abschluss gibt es noch dazu eine wirklich große Herausforderung an das Orchester: das komponierte Chaos. Es ist eindeutig der Eindruck, den das Leben, die "Allegria" dieser Stadt auf einen jungen, Ordnung gewöhnten, bayerischen Komponisten gemacht hat: laute Menschen, Esel, Pferde, Fischverkäufer, Obstverkäufer – eine andere Welt, die er da in Musik gesetzt hat.
Man hört in dieser fantastischen Symphonie, oder symphonischen Fantasie alle Elemente, die er auch später noch in seinen Kompositionen verwenden wird. Alles - harmonisch und rhythmisch - ist bereits da. Ich bin wirklich froh, dass ich mit diesen Werken wieder in München bin, schließlich habe ich über 40 Jahre mit diesem Orchester gearbeitet. Ich kam als junger Mann und bin jetzt doch ein kleines bisschen älter.
BR-KLASSIK: Sie haben sich in den letzten Jahren neben dem Dirigieren auch der Förderung junger Künstlerinnen und Künstler zugewandt. Was beschäftigt Sie aktuell am meisten neben ihrer Tätigkeit als Dirigent?
Riccardo Muti: Wenn man das 40, 50 Jahre lang gemacht hat, konzentriert man sich gerne auf wenige Orchester, so wie ich das jetzt tue, und das BRSO ist eines von ihnen. Außerdem widme ich einen Teil meiner Zeit der Akademie für junge Dirigenten, die ich vor einigen Jahren gegründet habe. Ich lehre italienische Oper, weil ich es sehr kritisch sehe, wie sie heute aufgeführt wird. Ich muss übrigens sagen, dass in den letzten Jahren die Dirigentinnen mit wenigen Ausnahmen viel besser waren als die Männer. Das ist meine Zukunft, jungen Dirigentinnen und Dirigenten beizubringen, dass es wichtig ist, nicht zu vergessen: Der Dirigent trägt die meiste Verantwortung.
Sendung: "Leporello" am 31. Mai 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Montag, 03.Juni, 10:14 Uhr
Trappe
Bravo Frau Gena
Es ist so auffällig, dass diese BR-Seite instrumentalisiert wird, leider nicht im eigentlich musikalisch-grammatikalischen Sinne, sondern im politischen Sinne. In großen Lettern wird der provokativ anmutende Satz überschrieben, dass Frauen dies besser gemacht haben als Männer... Ist dies eine Hauptbotschaft Mutis? - NEIN.
Ist alles heute nur noch einem Geschlechterkampf unterworfen? Oder geht es nicht darum, als Musiker der Musik zu dienen?
Möchte heute jeder Redakteur bzw. Interviewer nur noch die Leserschaft mit seinen Wertungen beeinflussen? Traurig...
Samstag, 01.Juni, 10:17 Uhr
Adalbert Kragl
Muti hat ja so recht.
Es ist leider zum "Standard" vieler Dirigenten geworden, in extremer Lautstärke spielen zu lassen. Aber Lautstärke ist nicht gleichzusetzen mit starkem Ausdruck. Gute Dirigenten erreichen Dynamik auch ohne alles niederzuschmettern.
Samstag, 01.Juni, 09:50 Uhr
Barboncino
Italienische Oper
Muti sieht es sehr kritisch, wie die italienische Oper heutzutage aufgeführt wird. Es wäre interessant, von ihm -vielleicht in einem weiteren Interview- Näheres dazu zu erfahren. Dabei könnte der Dirigent, der in den Opernhäusern der Welt zuhause ist,auch die unterschiedlichen Sichtweisen der jeweiligen Regisseure und seine Meinung dazu vorstellen.Als letzte Frage würde ich vorschlagen : Maestro,wann ist für Sie die rote Linie einer Operninszenierung erreicht ?
Freitag, 31.Mai, 12:43 Uhr
Gena
"...die Dirigentinnen mit wenigen Ausnahmen viel besser waren als die Männer" Das muss man Sexismus nennen. Warum spricht man immer wieder vom Geschlecht? Warum muss man sagen, ob es um einen Mann oder eine Frau geht?