Die norwegische Geigerin Vilde Frag ist zu Gast beim BRSO. Dem Publikum präsentiert sie Igor Strawinskys selten gespieltes Violinkonzert von 1931. Ein Gespräch über Zirkus, griechische Tragödien und den Weltfrauentag.
Bildquelle: Marco Borggreve
BR-KLASSIK: Am 8. März ist Weltfrauentag. Bedeutet Ihnen dieser Tag etwas?
Vilde Frang: Bei uns in Norwegen sind wir so privilegiert, dass wir den Tag nicht extra zelebrieren. Natürlich nehmen wir ihn wahr. Ich habe einige russische Freunde. Und in Russland ist das ein großes Ding. Ich wusste gar nicht, was Weltfrauentag ist, bevor ich einige Russinnen getroffen habe. Ich glaube, jeder Tag ist Frauentag oder? Mehr oder weniger... (lacht)
BR-KLASSIK: Sie spielen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Igor Strawinskys Violinkonzert von 1931. Es ist nicht allzu oft zu hören im Konzertsaal. Was gefällt Ihnen an diesem Werk, Frau Frang?
Vilde Frang: Ich würde sagen, für mich hat das Stück sehr viel Sprudel, Kohlensäure. Es ist frisch und hat einen Sinn für Humor. Es ist wie ein großes Spektakel im Zirkus, da gibt es alle Arten von Rollen. Es beginnt mit dem Zirkusdirektor, der die Leute begrüßt, dann gibt es ein kleines Duett. Es gibt so viele kleine Dialoge zwischen Solovioline und Orchester. Ich habe ein Duett mit der Trompete,dann mit dem Fagott, mit dem Englischhorn, mit der Oboe, mit der Viola. Es gibt so viele verschiedene Szenen. Als würde man alle Tiere im Zoo treffen.
BR-KLASSIK: Also ein großes Spektakel, aber gleichzeitig sehr kammermusikalisch?
Vilde Frang: Ja, absolut. Es ist sehr kammermusikalisch. Das Konzert zu spielen ist faszinierend, weil man die individuellen Musiker so gut kennen lernt, weil man so eng zusammenarbeitet. Das ist eine wichtige Charakteristik von Strawinskys Konzert.
Konzerte am 7. und 8. März 2024, jeweils 20:00 Uhr
Münchner Residenz, Herkulessaal
Igor Strawinsky: Violinkonzert D-Dur
Dmitrij Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 5 d-Moll
Symponieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Joshua Weilerstein
Solistin: Vilde Frang
BR-KLASSIK überträgt das Konzert am 8. März live im Radio.
BR-KLASSIK: Und Sie kommunizieren ja in der Probe auch sehr stark mit den Musiker:innen...
Vilde Frang: Ja, es wäre sehr traurig, wenn es nicht so wäre. Wenn man mit Orchester spielt und den Gemeinschaftsaspekt von Musik nicht berücksichtigt, macht das einsam. Ganz gleich, ob es eine Sinfonie ist, Kammermusik oder ein Konzert. Das ist Musikmachen. Und das BRSO ist voller fantastischer individueller Musikerinnen und Musiker. Manche von ihnen kenne ich und habe mit ihnen auch schon Kammermusik bei Festivals gespielt.
BR-KLASSIK: Wo liegen für die Solovioline die besonderen Herausforderungen in diesem Stück, technisch und interpretatorisch?
Die Geigerin Vilde Frang ist immer neugierig auf neues Repertoire. Mit dem BRSO präsentiert sie in München Igor Strawinskys Violinkonzert. | Bildquelle: Marco Borggreve Vilde Frang: Das Technische steht nicht im Vordergrund. Man muss schnell reagieren in diesem Stück - wie ein Chamäleon. In einem Moment ist man in einem Blumenladen, im nächsten Moment paraglidet man mit der Oboe. Es sind diese schnellen Wechsel in der Partitur, die es ein wenig zu einem Theaterstück machen. Man könnte auch sehr viel analytischer darauf blicken. Strawinskys Musik wird oft sehr intellektuell präsentiert. Für mich ist das nicht das Wesentliche in diesem Stück, sondern die vielen Interaktionen, die zeigen, dass Strawinsky ein sehr lebendiger Komponist war und einen großen Sinn für Humor hatte. Für mich ist das Stück ein bisschen wie Zitronensaft - ein bisschen sauer, aber so frisch.
BR-KLASSIK: Und trotzdem ist es auch ein bisschen romantisch. Zumindest in den Mittelsätzen gibt es eine romantische, elegische Art, die man so gar nicht bei Strawinsky vermutet.
Vilde Frang: Ich würde sagen, es hat eine sehr klassische Struktur. Es ist ein wenig wie Bach, dann trifft man Haydn und anschließend noch die Jazzmusiker. Auffällig ist, dass der dritte Satz herausgehoben ist von dem umgebenden Zirkus. Der dritte Satz ist fast wie eine griechische Tragödie. Es gibt eine so tiefe, leidvolle Empfindung in ihm. Es ist überraschend, dass Strawinsky hier so etwas Schweres, Tiefgründiges einfügt, denn oft ist seine Musik ja wie ein Uhrwerk, wie eine perfekte Maschinerie. Ja, für mich ist es wie eine griechische Tragödie mit einer Reinheit und der Struktur von Säulen. So unglaublich ernsthaft.
Das 'wasserdichte' Repertoire ist nicht der Weg in die Zukunft der klassischen Musik.
BR-KLASSIK: Sie sind eine sehr vielseitige Geigerin, spielen gleichermaßen Werke aus allen Epochen. Haben Sie das in Ihrem Studium bereits so gelernt oder war das später eine bewusste künstlerische Entscheidung?
Vilde Frang: Wenn ich viele meiner Kollegen betrachte, gibt es Geiger, die noch vielseitiger sind, die in die dunkelsten Ecken des Repertoires schauen. Mit denen verglichen weiß ich eigentlich nichts. Ich bin ziemlich Mainstream. Aber ich halte mich für recht neugierig und ich werde immer neugieriger. Je mehr Komponisten ich gespielt habe, umso mehr will ich noch kennen lernen. Ich möchte nicht mit einem Komponisten oder einer Handvoll Komponisten verbunden werden, sondern viel entdecken. Das Violinrepertoire ist so breit, ob das nun Elgar ist oder Hindemith, Britten oder Korngold. Alle diese Komponisten sind bekannt, aber ihre Violinkonzerte könnten präsenter sein. Es gibt so viel Repertoire, das Menschen hören sollten, und das ist das große Vergnügen für mich. Das ist das Ziel von Musikmachen. Und es ist eine Gefahr, bei dem stehen zu bleiben, von dem man glaubt, dass es das Publikum hören will. Das sogenannte "wasserdichte" Repertoire ist definitiv nicht der Weg nach vorne. Nicht der Weg in die Zukunft der klassischen Musik. Es ist nicht immer einfach, da eine Balance zu finden, aber ich glaube, das Publikum will überrascht werden. Das ist das beste Gefühl, dass du nach einem Konzert haben kannst - auch für mich, wenn ich im Publikums bin. Und das ist das beste Gefühl. Ich lebe für diese Momente.
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