"Das Weib gebiert Menschen, der Mann das Kunstwerk" – solche Ignoranz, wie sie der von Goethe hochgeschätzte Physiker Johann Wilhelm Ritter als "Forschungsergebnis" kundtat, war zur Beethoven-Zeit an der Tagesordnung. Frauen waren zur Reproduktion verdammt, nur als Pianistinnen und Sängerinnen hochgeschätzt. Dabei waren gerade im 19. Jahrhundert unzählige Frauen kompositorisch produktiv. Höchste Zeit, ihre Musik zu entdecken und vor allem aufzuführen. Zum Weltfrauentag am 8. März stellt Ihnen BR-KLASSIK zehn Werke von Komponistinnen vor, die Sie unbedingt kennen sollten.
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Florence Price wurde zur Galionsfigur der afroamerikanischen Komponistinnen. Auch wenn sie mal klagte: "Ich habe zwei Handicaps: Ich bin eine Frau – und habe schwarzes Blut in meinen Adern." Aber gegen alle Vorurteile hat sich Florence Price mit ihrem coolen Stilmix aus Klassik, Spiritual, Folklore und Jazz in den USA durchgesetzt. Nach ihrem Tod 1953 allerdings: Funkstille. Glücklicherweise hat sich ein Pultstar wie Yannick Nézet-Séguin mit seinem Philadelphia Orchestra für die Wiederentdeckung ihrer Musik eingesetzt. Besonders originell sind die Juba Dances in den Symphonien der Florence Price – ursprünglich Stampftänze der versklavten Menschen, denen auf den Plantagen verboten war, Trommeln zu benutzen. Stattdessen gaben sie den Rhythmus durch Klatschen und Stampfen vor.
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Price: Symphony No. 1 in E Minor - III. Juba Dance. Allegro
Klar, Clara Schumann fällt einem als Erste ein, wenn Komponistinnen gefragt sind – als Frau an der Seite eines berühmten Mannes. Als Pianistin ist sie in der Öffentlichkeit ein Star. Zuhause wird nicht mal das Üben geduldet, wie sie ihrem Tagebuch anvertraut: "Mein Clavierspiel kommt wieder ganz hintenan, was immer der Fall ist, wenn Robert componirt. Nicht ein Stündchen im ganzen Tag findet sich für mich!" Und dann noch komponieren und den Haushalt mit sieben Kindern schmeißen? "Ich tröste mich immer damit, daß ich ja ein Frauenzimmer bin, und die sind nicht zum Komponieren geboren." Was Clara Schumann ihrem aufreibenden Leben an schöpferischer Arbeit abgetrotzt hat, grenzt an ein Wunder – ihre 3 Romanzen für Violine und Klavier op. 22 sind wirklich Romantik vom Feinsten.
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Lisa Batiashvili & Alice Sara Ott - Romance of Clara Schumann
Elfrida Andrée war eine nordische Kämpfernatur und hat sich Männerbastionen erobert: Domorganistin in Göteborg, Schlüsselfigur des dortigen Musiklebens als Dirigentin der Volkskonzerte, ordentliches Mitglied der Königlichen Musikakademie. Ihr Credo als Aktivistin der schwedischen Frauenbewegung spricht Bände: "Man könnte leichter einem Felsen ein Stück entreißen als mir meine Idealvorstellung: die Aufwertung der Frauen!" Als Komponistin hat Elfrida Andrée alle Genres bedient. Eines ihrer schönsten Lieder ist "Aus dem Traumleben", vor allem wenn es so traumhaft gesungen wird wie vom Vokalensemble Singer Pur. In schlichter Weise hat sie Verse des schwedischen Romantikers Viktor Rydberg vertont, die sich dem Zauber der Natur hingeben und vom schweren Erdenleben in die Ewigkeit fortträumen.
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Ur drömliv I (Arr. for Vocal Ensemble)
Die Französin Louise Farrenc hatte Glück: Ihr Mann, der Musikverleger Aristide Farrenc, druckte nicht nur ihre Werke, sondern unterstützte sie auch in ihrer kompositorischen Arbeit. Als symbiotisches Paar entdeckten sie ihre Liebe zur Alten Musik und gaben gemeinsam Klaviermusik von 1500 bis 1850 in 23 Bänden heraus: Ein Schatz war gehoben! Studiert hatte Louise Farrenc am berühmten Pariser Konservatorium. Als sie dort später selbst Klavierprofessorin wurde, erstritt sie sich dasselbe Gehalt wie ihr Kollege Henri Herz – ein historischer Fall von "Gender Pay Gap". In ihren drei Symphonien zeigt sich Louise Farrenc als Kind ihrer Zeit, mit dem Beethoven-Erbe ist sie aber durchaus kreativ umgegangen. Inspirierend ist das mit der Dirigentin Laurence Equilbey und ihrem Insula Orchestra im Originalklang zu erleben.
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Louise Farrenc, Symphonie n° 3, "Scherzo Vivace"
Das Klavier war auch für die Norwegerin Agathe Backer-Grøndahl, Tochter aus bildungsbürgerlicher Familie, das Instrument der Wahl. Aber deshalb gleich Musik studieren, gar Komponistin werden? Das war keine Option für die Eltern. Doch Agathe Backer-Grøndahl setzt sich durch, geht zum Studium nach Berlin, bildet sich bei Hans von Bülow in Florenz und bei Franz Liszt in Weimar weiter, freundet sich mit Edvard Grieg an – „eine ernsthafte, schöne, unvergleichliche und einzigartige Künstlerin“, schwärmt der Musikkritiker George Bernard Shaw und rühmt sie als wahre Nachfolgerin von Clara Schumann. Eine Auswahl ihrer reichhaltigen Klaviermusik hat der norwegische Pianist Geir Henning Braaten hinreißend eingespielt: Unbedingt empfehlenswert sind ihre 3 Klavierstücke op. 15 – echte Charakterstücke!
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Agathe Backer-Grøndahl - 3 Morceaux, Op.15
Dora Pejačević muss eine unerschrockene Frau gewesen sein. Sie, die aus einer kroatischen Adelsfamilie stammte und im Dunst der Donaumonarchie aufwuchs, lernte als Sanitäterin im Ersten Weltkrieg die Weltferne der Aristokratie verachten. Während Dora Pejačević Verwundete pflegt, komponiert sie Werke wie ihre monumentale fis-Moll-Symphonie – in einer „Trance der musikalischen Besessenheit“, wie sie bekennt. Als sie, frisch verheiratet, nach der Geburt ihres Sohnes 1923 mit nur 37 Jahren in München stirbt, hinterlässt sie mehr als 50 Werke. Mit Sakari Oramo und dem BBC Symphony Orchestra hat Dora Pejačevićs Symphonik prominente Interpreten gefunden. Man muss nur das Scherzo aus ihrer Symphonie hören: Das ist fantastisch instrumentierte, in allen Farben schillernde Musik der Spätromantik.
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Symphony in F-Sharp Minor, Op. 41: III. Scherzo. Molto allegro
Zu Lebzeiten war Fanny Mendelssohn immer nur ein Anhängsel ihres berühmten Bruders Felix. Schon Vater Abraham hatte ihr klargemacht, dass eine Profi-Laufbahn nur für Felix infrage kam: "Die Musik wird für ihn vielleicht Beruf, während sie für Dich stets nur Zierde, niemals Grundbaß deines Seins und Thuns werden kann und soll." Fanny ließ sich aber nicht vom Komponieren abhalten, zumal sie mit ihrem Mann, dem Berliner Hofmaler Wilhelm Hensel, in produktivem Austausch stand. Nur ihre Lieder fanden vor den Augen des Bruders Gnade – erst kurz vor ihrem frühen Tod 1847 erteilte er ihr seinen "Handwerkssegen". Was für ein Ausdrucksbedürfnis sich in Fanny Hensels Streichquartett Bahn bricht, was für eine Leidenschaft – das führt das Quatuor Ébène in seiner famosen Einspielung mit Poesie und Verve vor.
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String Quartet in E-Flat Major: IV. Allegro molto vivace
Sie kannte kein Pardon und wurde für Generationen von Frauen zum Vorbild: Die Engländerin Ethel Smyth hat sich nicht nur durch einen Hungerstreik ihr Leipziger Kompositionsstudium erkämpft, mit ihrer Hymne "The March of the Women" feuerte sie ihre Genossinnen im Kampf um das Frauenwahlrecht an. Und machte ihnen Mut: "Ich möchte, dass Frauen sich großen und schwierigen Aufgaben zuwenden. Sie sollen nicht dauernd an der Küste herumlungern – aus Angst davor, in See zu stechen." Endlich kann man Ethel Smyths Oratorium "The Prison" auf CD kennenlernen. Das ist tönende Philosophie: In seiner Zelle wartet ein Gefangener auf den Tod und reflektiert im Dialog mit seiner Seele seine Endlichkeit. Besonders eindringlich: Das "Choral-Vorspiel in der Gefängnis-Kapelle" ist eine tiefgreifende Bach-Hommage.
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The Prison, Part II. The Deliverance: Chorale Prelude in the Prison Chapel (The Prisoner awakes)
Die aus Mecklenburg stammende Emilie Mayer war eine Ausnahmeerscheinung: Ihre zahlreichen Symphonien, Ouvertüren, Streichquartette und Lieder wurden europaweit aufgeführt. Sie war eine Berühmtheit weit über Berlin hinaus, wo sie – wie die Mendelssohns – einen musikalischen Salon unterhielt. Emilie Mayer galt als "weiblicher Beethoven" – aus heutiger Sicht ein ziemlich fragwürdiges Kompliment. Denn sie war selbstbewusst genug, sich als "Berufskomponistin" zu verstehen. Und hat sich was getraut, zum Beispiel 55 Jahre nach Franz Schubert Goethes "Erlkönig" neu zu vertonen! Die südafrikanische Sopranistin Golda Schultz hat auf ihrem Debüt-Album "This be her Verse" Emilie Mayers Version ihre gehaltvolle Stimme geliehen: Das ist durchaus eine ernstzunehmende Alternative zu Schubert – verblüffend.
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Erlkönig
Und wenn's noch was Zeitgenössisches sein darf: Die Südkoreanerin Unsuk Chin ist derzeit in aller Munde, erhält sie doch in diesem Jahr den Ernst von Siemens Musikpreis – und ist damit erst die fünfte Frau in der 50-jährigen Geschichte dieses "Nobelpreises der Musik". Mit ihrer klangsinnlichen, lustvoll verspielten Musik kam sie bei ihrem Hamburger Lehrmeister György Ligeti gar nicht gut an, was bei ihr erst mal eine Schreib-Blockade auslöste – bevor sich Unsuk Chin in Berlin freigeschwommen hat. Längst wird ihre Musik weltweit gespielt, von Orchestern und Publikum geliebt. Zum Beethoven-Jahr 2020 ist ihr ein Hit gelungen: Das kurze Orchesterstück "subito con forza" ist eine raffinierte Übermalung von Beethovens "Coriolan"-Ouvertüre – das muss man erleben, mit Hüftschwung dirigiert von Shootingstar Klaus Mäkelä!
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subito con forza / Unsuk Chin / Klaus Mäkelä / Oslo Philharmonic
Kommentare (3)
Dienstag, 12.März, 08:30 Uhr
Trappe
Fehlende Qualität
Wie die Vorrednerin „Helga“ bereits zutreffend bemerkte, liegen die Gründe für seltene Aufführungen von Frauenkompositionen schlichtweg zumeist an der fehlenden Qualität über ein ganzes Werk. Clara Schumanns Klaviertrio zB. hat schöne Themen, aber es fehlt die große Entwicklung, um ein ganz großes Werk zu sein. Das mag historisch bedingt sein, aber es sollte nun nicht zu einer Überbewertung von Opus kommen, bloß weil es von Frauen geschrieben worden ist.
Freitag, 08.März, 14:22 Uhr
Helga
So sehr ich Herrn Leipolds Arbeit seit Jahren her schätze: keines der genannten Werke kommt im geringsten an z.B. Bachs, Beethovens, Schuberts, Schumanns oder gar Mozerts Werke heran ... darum werden sie (meiner mMeinung nach zu Recht) nicht aufgeführt!
Freitag, 08.März, 09:03 Uhr
Mairhofer
Differenziertheit
Die Bezeichnung Emilie Mayer als "weiblicher Beethoven" soll ein fragwürdiges Kompliment sein, was denn genau daran bitteschön? - Das ist doch ein Ritterschlag erster Güte! Ist doch toll, dass das Frauenzimmer mit Beethoven verglichen wurde.
Bei Fanny Hensel hat es schon seine Gründe, dass sie nicht mit dem Bruder mithalten konnte. Zwar oft sehr schöne Melodien in vielen Werken, aber über ein Stück hin hat es nicht die Tiefgründigkeit und Substanz. Also man sollte die Komposition bzw. Komponisten schon differenziert betrachten.
Was mich wundert, dass Boulangers nicht erwähnt wurden, da hätte man die ein oder andere eher rauslassen können, aber das natürlich eine Geschmacksfrage.