Zwei Männer lieben eine Frau. Und dann sind es auch noch Halbbrüder. Das kann nicht gutgehen. Debussys Oper "Pelléas et Mélisande" ist eine tragische wie auch geheimnisvolle Oper, die längst nicht alle Fragen beantwortet. Die Regisseurin Jetske Mijnssen sieht darin eine ganz klare Botschaft ans heutige Publikum. Ihre Neuinszenierung des Werkes feiert am 9. Juli bei den Münchner Opernfestspielen Premiere.
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BR-KLASSIK: Jetske Mijnssen, Sie debütieren mit "Pelléas et Mélisande" an der Bayerischen Staatsoper. Ist Debussys Oper Ihr Wunschstück auf Ihrer Visitenkarte oder ein Angebot, das Sie einfach nicht ablehnen konnten?
Jetske Mijnssen: "Pelléas et Mélisande" war ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. Ich habe das Stück oft gesehen. Ich fand es immer unglaublich rätselhaft, aber auch faszinierend. Und ich wusste intuitiv direkt, das ist ein Stück für mich. Ich habe mich wirklich während der Arbeit daran grenzenlos in das Stück verliebt.
BR-KLASSIK: Warum ist das gerade ein Stück für Sie?
Jetske Mijnssen: Es gibt mehrere Dinge an dieser Oper, die besonders sind. Es ist die einzige Oper, die Debussy geschrieben hat. Es ist eine ganz spezifische französische Oper, aber es ist auch fast wie ein Schauspiel. Es basiert auf einem Libretto von Maurice Maeterlinck. Die Figuren reden fast miteinander – und das ist eine Sache, die ich unglaublich schön finde. Debussy hat selber gesagt: Sei bitte kein Sänger, sei Schauspieler in dem Stück. Und dann gibt es natürlich noch eine Sache: Die Geschichte handelt von einer Familie. Das ist ein Thema, das mich immer wieder fasziniert. Wenn es sich in einer Oper ergibt, dass man verschiedene Generationen gleichzeitig auf der Bühne hat, dann ist das erzählerisch ein Geschenk.
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"Pelleás et Mélisande" an der Bayerischen Staatsoper.
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Sabine Devieilhe (Mélisande) und Christian Gerhaher (Golaud)...
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... mit Ben Bliss (Pelléas), ...
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... Felix Hofbauer (Yniold) vom Tölzer Knabenchor,...
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... Sophie Koch (Geneviève) ...
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... und Franz-Josef Selig (Arkel).
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BR-KLASSIK: Im Kern lieben zwei Männer eine Frau. Ein altes Thema, ein altes Dilemma. Warum entsteht keine glückliche, fröhliche Ménage-à-trois?
Jetske Mijnssen: Tolle Frage. Zwei Männer lieben eine Frau. Leider sind die aber auch noch Brüder. Ich frage mich jetzt ganz offen: Gibt es überhaupt eine glückliche Ménage-à-trois? Ich denke, das ist genau das Problem. Aber damit haben Sie eigentlich etwas ganz Schönes gesagt. Es ist nicht so, dass Mélisande sich in Pelléas verliebt und deshalb Golaud verlassen will. Er fragt sie das sogar: Willst du mich vielleicht verlassen? Und sie sagt: Nein, ich kann nur nicht hier mit dir sein. Da ist noch etwas anderes. Sie liebt auch Golaud. Man spürt im Stück an sehr vielen Stellen, dass sie ihn leidenschaftlich liebt. Aber sie kommen einfach nicht zusammen. Immer wieder geht es schief und sie reden aneinander vorbei. Und Mélisande steht wirklich total zerrissen zwischen den beiden Brüdern. Genau das finde ich unfassbar berührend.
Mélisande steht total zerrissen zwischen den beiden Brüdern. Das finde ich unfassbar berührend.
Die Bayerische Staatsoper bringt Claude Debussys Oper "Pelléas et Mélisande" im Rahmen der Münchner Opernfestspiele auf die Bühne. Premiere ist am 9. Juli im Münchner Prinzregententheater. BR-KLASSIK überträgt ab 19 Uhr live im Radio.
BR-KLASSIK: Mélisande ist eine rätselhafte, auch schweigsame Frau. Man hat das Gefühl, dass ihre Vergangenheit voller Schatten ist. Aber sie gibt nichts Preis. Welche Geschichte geben Sie ihr?
Jetske Mijnssen: Es ist mir unglaublich wichtig, ihr ihre Geheimnisse zu lassen. Der Großvater Arkel sagt am Ende des Stückes über Mélisande: Sie war ein armes, mysteriöses Wesen – wie wir alle. Das ist für mich der Schlüssel zum Stück: Der andere ist für uns mysteriös, und manchmal sind wir sogar für uns selber mysteriös. Ich glaube, wir müssen akzeptieren, dass wir nicht alles wissen können. Wir müssen die Schatten nicht alle erklären wollen. Ich wusste ganz früh, dass ich Mélisande keine Geschichte aufdrängen möchte. Ich möchte sie mit ihrem Rätsel sterben lassen.
BR-KLASSIK: Am Ende hat man den Eindruck, es gibt viele Verliererinnen und Verlierer in diesem Familiendrama. Das ist ganz typisch für ein Schauspiel oder auch eine Oper, die um 1900 entstanden ist. Was sollen wir Ihrer Meinung nach heute, also 2024, mitnehmen?
"Pelléas et Mélisande" ist ein Familiendrama – und sogar mehr als das. | Bildquelle: Wilfried Hösl Jetske Mijnssen: Ich hoffe, dass der Zuschauer, der aus "Pelléas" kommt, ein ganz tiefes Mitgefühl hat – nicht nur mit den Figuren, die er gerade auf der Bühne gesehen hat und mit dem emotionalen Absturz dieser Menschen. Nicht nur Mitgefühl mit diesen Menschen, die da vor unseren Augen mit ihren eigenen Schatten gekämpft haben, sondern gleichzeitig auch mit uns. Ich denke, dass das Stück so viel über uns selber aussagt. Ich hoffe, dass die Oper das auslöst, dass wir mit einer Art Gnade den anderen gegenüber in unserem eigenen Leben auch uns selber wieder wahrnehmen können.
Hier erfahren Sie alles über die diesjährigen Münchner Opernfestspiele und die Festspielpremiere "Le Grand Macabre" von György Ligeti. "Pelléas et Mélisande" ist die zweite Opernpremiere, die im Rahmen der Münchner Opernfestspiele 2024 stattfindet. Lesen Sie hier, was das Publikum bei "Pelléas et Mélisande" erwartet. Ein Interview mit dem Bariton Christian Gerhaher finden Sie hier.
Sendung: "Leporello" am 8. Juli 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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