Ein jüdisches Orchester spielt Wagner. Ausgerechnet. Dabei war Richard Wagner mehr als nur bekennender Antisemit. Das wird nicht zuletzt an seiner Hetzschrift "Das Judenthum in der Musik" deutlich. Warum also ein Wagner-Projekt? BR-KLASSIK hat dazu mit Dirigent Daniel Grossmann gesprochen.
Bildquelle: © Thomas Dashuber
BR-KLASSIK: 1981 hat Zubin Mehta am Pult des Israel Philharmonic Orchestra in Tel Aviv als Zugabe das Vorspiel aus Richard Wagners "Tristan und Isolde" dirigiert. Es gab Tumulte im Saal. Wenige Tage später dasselbe nochmal. Da musste Mehta dann unter Polizeischutz aus dem Saal begleitet werden. Wagner – 1981 war das ganz sicher eine Provokation. Morgen spielen Sie Richard Wagner in den Münchner Kammerspielen. Titel des Konzerts: "Richard Wagner – eine Provokation". Ist Wagner denn noch eine Provokation?
Daniel Grossmann: Das ist die Frage. Es soll ein bisschen offen bleiben, ob es eine Provokation ist. Scheinbar schon. Denn manche Leute fühlen sich angegriffen davon, dass speziell ein jüdisches Orchester Wagner spielt. Und zwar von beiden Seiten: Sowohl aus der jüdischen Gemeinde habe ich schon kritische Stimmen gehört als auch von anderer Seite. Dass wir hoffentlich jetzt nicht Wagner zu sehr fürs Jüdische vereinnahmen würden.
BR-KLASSIK: Und wie nehmen Sie das innerhalb der jüdischen Community wahr? Wie ist da die Reaktion?
Daniel Grossmann: Ich verstehe die kritische Haltung Wagner gegenüber schon, weil ich sie ja auch habe. Denn diese Idee, dass man Kunstwerke und Künstler voneinander trennen soll, finde ich schon schwierig. In manchen Fällen geht das. Aber ich finde, im Fall von Wagner geht es nicht. Seine Hetzschrift "Das Judenthum in der Musik" ist doch sehr viel fundamentaler. Das geht über den gesellschaftlichen Antisemitismus, der im 19. Jahrhundert vielleicht en vogue war, weit hinaus.
Es ist schwierig, Kunstwerk und Künstler voneinander zu trennen – vor allem im Fall Wagner.
BR-KLASSIK: Und diese Schrift, die kommt in Ihrem Konzert auch vor?
Daniel Grossmann: Genau, die kommt vor. Das ist Teil der Provokation, dass wir Zitate aus dieser Schrift projizieren und quasi das Publikum, neben der für mich zumindest wunderbaren Musik von Richard Wagner, eben auch seinem Gedankengut aussetzen wollen.
Antisemitismus in der Klassik – BR-KLASSIK begibt sich auf Spurensuche
BR-KLASSIK: Wer kam denn auf die Idee, Wagner zu spielen?
Daniel Grossmann dirigiert das Jewish Chamber Orchestra Munich | Bildquelle: Robert Brembeck Daniel Grossmann: Ich kam auf die Idee. Ich hatte diese Idee schon einmal vor ungefähr 13, 14 Jahren. Damals wollte ich das tatsächlich in der jüdischen Gemeinde machen. Ich wollte also noch einen Schritt weitergehen in der Provokation. Das wurde mir aber dann von der jüdischen Gemeinde untersagt, was ich natürlich verstehen kann. Es gibt zwar keinen offiziellen Wagner-Bann in Israel, aber es gibt einen Konsens, dass man das in Israel nicht spielen soll. Und die jüdische Gemeinde hat es dann so ausgelegt, dass man diesen Konsens doch bitte auch auf die jüdische Gemeinde in Deutschland ausweiten soll.
BR-KLASSIK: Und wie hat das Orchester jetzt reagiert, als Sie Wagner vorgeschlagen haben?
Daniel Grossmann: Positiv. Ich meine, welche Musiker spielen nicht gerne Wagner? Ich bin generell gegen das Canceln. Ich bin immer dafür, dass man sich mit den Inhalten auseinandersetzen muss und das Publikum auch zwingen muss, dem gewissermaßen nicht zu entkommen, sondern dass man sich mit diesem Gedankengut auch auseinandersetzt. Aber – wie gesagt – dass die Musik wunderbar ist, ist weitestgehend unbestritten.
Ich bin generell gegen des Canceln. Man muss sich mit den Inhalten auseinandersetzen.
BR-KLASSIK: Im Programm heißt es: "Heute, in einer Zeit, in der der politische Rechtsdruck den Westen erfasst und Cancel Culture in der Kultur wahlweise herbeigeredet oder geleugnet wird, reicht die Unschuldsvermutung 'L'art pour l'art' nicht mehr aus." Was ist damit gemeint?
Richard Wagner – als Mensch heftig umstritten | Bildquelle: Archiv des Bayerischen Rundfunks Daniel Grossmann: Dass man eben nicht sagen kann: 'Naja, der Wagner, das war eine andere Zeit.' Das ist mir zu wenig, das finde ich zu harmlos. Aber zu sagen, Wagner war ein Antisemit. Wagner war ein schlimmer Mensch, also canceln wir seine Musik weg – das ist mir zu oberflächlich. Man muss das Publikum dem aussetzen, dass Wagner nicht einfach nur ein Antisemit war, sondern, dass es wirklich weit darüber hinaus geht. Das wird man, glaube ich, auch verstehen, nachdem man diese Zitate gelesen hat.
Mehr über das Leben und die komplexe Persönlichkeit Richard Wagners erfahren Sie in der BR-KLASSIK-Hörbiografie "Richard Wagner – Feuerzauber, Weltenbrand". Abrufbar auch als Podcast in der ARD Audiothek.
BR-KLASSIK: Jetzt haben Sie Wagner in diesem Programm eingeordnet. Sie kontrastieren ihn mit Mendelssohn und mit Bach. Ist das sozusagen das Gegengift?
Daniel Grossmann: Gegengift würde ich nicht sagen. In dieser Schrift werden unterschiedliche Aspekte diskutiert, auch Bach und insgesamt die Barockmusik. Deshalb habe ich auch Bach mit reingenommen.
BR-KLASSIK: Aber Bach ist da nicht ein Vermittler, sondern Bach ist für Sie selbst irgendwie problematisch in dem Zusammenhang?
Daniel Grossmann: Es gibt Untersuchungen dazu, dass Bach selbst ein Antisemit war. Ich finde grundsätzlich diese Diskussion immer schwierig, weil man das in die Zeit einordnen, und sich damit schon sehr genau beschäftigen muss: Worauf genau basiert diese These? Für mich ist Bach weder Gegengift noch Komplize von Wagner. In dem Fall geht es mir darum, dass ich ihn reingenommen habe, weil Wagner sich despektierlich teilweise auch über Bach äußert. Und das war mir als weiterer Aspekt wichtig.
Dienstag, 3. Dezember 2024 um 20:00 Uhr
Münchner Kammerspiele, Schauspielhaus
Werke von Richard Wagner, Felix Mendelssohn und Johann Sebastian Bach
Shachar Lavi, Mezzosopran
Daniel Grossmann, Dirigent
Martin Valdés-Stauber, Dramaturgie
Jewish Chamber Orchestra Munich
Sendung: "Leporello" am 2. Dezember 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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