Er war ein großer Wagner-Fan und musizierte auf Kochtöpfen: Karl Amadeus Hartmann. Während des Nationalsozialismus komponierte er Musik voller Trauer und Protest. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte er Neue Musik nach München.
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"Ich hasse alle Dogmatik und alles Theoretisieren, das im Grunde immer nur darauf hinausläuft, die Musik in vorbereitete Fesseln zu legen." Karl Amadeus Hartmann war ein Visionär mit Bodenhaftung, ein barocker Mensch, Münchner durch und durch. Geboren 1905 in eine Künstlerfamilie. Die Hartmanns waren links und trotzdem glühende Wagner-Fans. Mit ihren vier Söhnen führte die Mutter in der Küche ganze Musikdramen auf, singend und auf die Töpfe dreschend. Die Heldenrollen übernahm der Jüngste: Karl Amadeus. Obwohl wenig Geld da war, durfte er Komposition studieren.
"Dann kam 1933 mit all dem Elend und all der Hoffnungslosigkeit. In diesen Jahren erkannte ich, dass es notwendig werde, ein Bekenntnis abzulegen – nicht aus Verzweiflung, sondern als Gegenaktion. Denn ich sagte mir, dass die Freiheit siegen wird, auch dann, wenn wir vernichtet würden." (Karl Amadeus Hartmann)
Hartmann war kein Held im spektakulären Sinn des Wortes. Aber seine Reaktion auf die Nazis ist erstaunlich, zumal wenn man sie mit seinen Münchner Kollegen Carl Orff oder Werner Egk vergleicht, die im Nationalsozialismus Karriere machten. Hartmann komponierte nur noch für die Schublade – eine ungehörte, unerhörte Musik voller Trauer, Protest und Hoffnung.
Was haben Max Reger, Johann Pachelbel, Richard Strauss, Dora Pejačević oder Gustav Mahler gemeinsam? Sie alle haben Spuren in Bayern hinterlassen. Wir stellen sie vor und reisen von Garmisch zum Starnberger See, von München nach Ingolstadt, von Bayreuth nach Weiden.
Es ist der 27. April 1945, wenige Tage bis zur bedingungslosen Kapitulation. Hartmann ist auf dem Land in Kempfenhausen am Starnberger See. Über die Uferstraße schleppt sich ein gespenstischer Zug – Häftlinge aus dem KZ Dachau. Hartmanns Frau erinnert sich: "Alle noch in ihrer Sträflingskleidung, und geschleppt haben sie sich. Es war einfach grauenhaft. Daraufhin hat sich mein Mann gleich am nächsten Morgen ans Klavier gesetzt und eine Sonate komponiert."
Ein Mensch und besonders ein Künstler darf nicht in den grauen Alltag hineinleben, ohne gesprochen zu haben.
Wenige Tage später: Die Alliierten haben Deutschland befreit. Die amerikanische Besatzung will aus den Trümmern etwas Neues bauen, ein demokratisches Land mit freier Kultur. Dafür werden Künstler gesucht, die bei den Nazis nicht mitgemacht haben. Hartmann gründet eine Konzertreihe für Neue Musik, die "musica viva". Bald übernimmt sie der Bayerische Rundfunk. Dem Münchner Publikum öffnet sich eine neue Welt: Strawinsky, Bartók, Mahler, alles, was unter den Nazis verboten war. Hartmann selbst komponiert nicht ganz so avantgardistisch wie die jungen Wilden, die er in der "musica viva" spielt. Acht Symphonien hat er geschrieben: ausdrucksvoll, lang, wild, emotional. Sein Credo war: "Ein Mensch und besonders ein Künstler darf nicht in den grauen Alltag hineinleben, ohne gesprochen zu haben."
Sendung: "Allegro" am 3. Dezember 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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