Es ist mit rund vier Millionen Exemplaren das meistverkaufte Klavier-Solo-Album aller Sparten: Keith Jarretts "Köln Concert". Am 24. Januar 1975 wurde die gut 65 Minuten lange, vierteilige Improvisation bei einem Konzert in der Kölner Oper aufgezeichnet. Ein Konzert, das beinahe in letzter Minute abgesagt worden wäre.
Bildquelle: ECM
Diese Musik ist ein Traum. Für viele. Egal, ob Rock- oder Folk-Fans, Kenner klassischer Klaviermusik oder Liebhaber freier Jazz-Improvisationen: Das "Köln Concert" des US-amerikanischen Jazzpianisten Keith Jarrett hat es vielen angetan. Schon dieser federleichte und dabei rätselhafte Beginn mit Tönen, die rund um leuchtendes G-Dur wie hingetupft erscheinen! Innerhalb von Sekunden fängt das Stück die Hörer:innen ein. Und so geht es weiter – im 24-minütigen ersten Teil, aber auch in den kürzeren weiteren. Mal klingt diese Musik gospel-artig hymnisch, mal hält sie zart-nachdenklich inne, mal baut sie über einem gleichbleibenden Basston – wie dem markanten D im Teil IIa – einen unwiderstehlichen Groove auf.
Es ist bekannt: Dieses Konzert stand damals nicht unter einem guten Stern. Es wäre beinahe geplatzt. Durch eine Verwechslung stand für das Konzert ein völlig ungenügender Flügel bereit, der sonst für Proben verwendet wurde: sehr schlecht in Schuss und verstimmt. Einige Tasten klemmten sogar, die Pedale funktionierten nicht. Dabei war für das Konzert ein edler Bösendorfer 290 Imperial bestellt worden, ein Rolls Royce unter den Konzertflügeln. Der falsche Flügel glich eher dem klapprigen R4, mit dem Keith Jarrett am selben Tag aus der Schweiz angereist war. Völlig übermüdet nach der unbequemen Autofahrt sah er nun dieses Instrument vor sich – er und sein Musikproduzent Manfred Eicher tobten. Jarrett werde auf diesem Flügel mit Sicherheit kein Konzert geben, erklärten beide einhellig. Und das bei einem ausverkauften Haus mit 1.400 Besuchern!
Die örtliche Veranstalterin, die damals 18-jährige Schülerin Vera Brandes, die den damals schon berühmten Jarrett für ihre neue Reihe "New Jazz in Cologne" gewonnen hatte, konnte auf die Schnelle keinen anderen guten Flügel besorgen. Ein Klavierstimmer machte das schlechte Instrument dann doch noch spielbar. Und Vera Brandes konnte Keith Jarrett, der schon in einem Auto saß, um den Ort zu verlassen, doch noch überreden, wie sie in einem Interview schilderte: "Gut, ich spiele! Aber vergiss nicht: Ich mach das nur für dich", soll er zu ihr gesagt haben.
Ausgerechnet diese Aufnahme wurde der größte Erfolg des vorher schon – mit unter 30 Jahren – für seine langen Solo-Improvisationen gefeierten Jazzstars. Allerdings ist es eine Aufnahme, zu der Jarrett selbst ein gespaltenes Verhältnis hat. Er würde es am liebsten aus dem allgemeinen Gedächtnis tilgen; er überwarf sich sogar mit seinem Biografen Wolfgang Sandner, als der die Aufnahme ihm gegenüber lobte. Durch dieses Album fühlt sich Jarrett zu sehr festgelegt. Doch für Musikfans steht fest: Das "Köln Concert" ist mitreißend wie wenige andere Alben - hier ein Live-Erfahrungsbericht von BR-KLASSIK. Ein Marathon-Ohrwurm des seine Grenzen auflösenden Jazz.
22. Januar, 19 Uhr: "Classic Sounds in Jazz” mit Ulrich Habersetzer.
25. Januar, 18 Uhr: "Jazz und mehr” mit Ulrich Habersetzer.
31. Januar, 23 Uhr: "Jazz Unlimited" mit Roland Spiegel
Bildquelle: picture alliance / dpa | Oliver Berg Das "Köln Concert" ist und bleibt das Werk, mit dem viele Hörer Keith Jarrett zu allererst identifizieren. Es ist sein Signaturstück. Es wurde inzwischen von mindestens zwei Generationen an die jeweils nächste weitergereicht. Und das, obwohl der Musiker Dutzende hervorragend gespielter Konzerte veröffentlicht hat, wie etwa die "Solo Concerts Bremen / Lausanne" von 1973, die vier Konzerte von 1996, die in der Box "A Multitude of Angels" erschienen, oder auch das 2022 erschienene "Bordeaux Concert" von 2016, einem ungemein konzisen Geschwisterkonzert der ebenfalls hervorragenden Aufnahme "Munich 2016". Seit 2018 gibt Jarrett keine Konzerte mehr, seit er seine nach zwei Schlaganfällen gelähmte linke Hand nicht mehr zum Klavierspielen einsetzen kann.
Die damalige Tournee Keith Jarretts begann übrigens am 17. Januar 1975 im fränkischen Kronach. Es gab insgesamt elf Stationen, die letzte davon am 5. Februar in Paris. Am 3. Februar machte Jarrett übrigens auch in München Halt, im Konzertsaal des "Arri". Tags zuvor spielte Jarrett im Konzerthaus Glocke in Bremen: Davon existiert ein Mitschnitt, den Radio Bremen damals machte.
Keith und ich waren mit dem Klang des Instruments und des Raums zunächst nicht zufrieden gewesen.
Bildquelle: Richard Schroeder Der Produzent des "Köln Concert", Manfred Eicher, schildert gegenüber BR-Klassik, folgendes Erlebnis, das dazu führte, dass von allen Konzerten der damaligen Tournee gerade das Kölner Konzert für eine Veröffentlichung ausgewählt wurde: "Am Tag nach dem Kölner Konzert fuhren Keith Jarrett und ich zurück in die Schweiz, nach Baden im Kanton Aargau, wiederum in meinem Auto. Die Aufnahme des Kölner Konzerts hatte der Toningenieur in der Nacht auf eine Kassette kopiert. Keith und ich waren mit dem Klang des Instruments und des Raums zunächst nicht zufrieden gewesen. Unterwegs war Zeit zum Nachhören, und die Musik gefiel mehr und mehr, insofern musste Keith nicht überzeugt werden. Die nachträgliche Klangarbeit im Studio half noch zusätzlich."
Gefragt, ob er Keith Jarretts gespaltenes Verhältnis zum "Köln Concert" verstehen könne, antwortet Manfred Eicher: "Ja, sehr. Die Erinnerung eines Musikers setzt sich aus so vielen erlebten Momenten auf der Bühne zusammen. Dass Keith die Art der Rezeption, die auf dieses eine Konzert folgte, nicht behagte, ja, gestört hat, verstehe ich sehr gut."
Ein Musikstück, das jedenfalls niemanden so schnell kalt lassen wird.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Köln, January 24, 1975, Pt. I (Live)