Mit ihrer Oper Alice in Wonderland hat sie der Neuen Musik neue Wege aufgezeigt und ein breites Publikum begeistert. Jetzt bekommt die südkoreanische Komponistin Unsuk Chin, die seit fast 40 Jahren in Deutschland wohnt, den Ernst von Siemens Musikpreis. BR-KLASSIK hat sie zum Interview getroffen.
Bildquelle: © EvS Musikstiftung | Fotos: Rui Camilo
BR-KLASSIK: Ganz herzlichen Glückwunsch zum Ernst von Siemens Musikpreis! Ich würde ja unglaublich gerne wissen, wie das war, als Sie erfahren haben, dass Sie den Preis bekommen. Was haben Sie in dem Moment gedacht?
Unsuk Chin: Ich habe gehofft, dass ich diesen großartigen Preis eines Tages bekommen könnte. Aber ich habe damit gerechnet, dass das vielleicht in 20 Jahren passiert. Von daher war das eine sehr, sehr große Überraschung. Eine unfassbar große Ehre. Gerade in Deutschland, wo ich seit fast 40 Jahren wohne.
BR-KLASSIK: Bevor wir auf Ihre Zeit in Deutschland eingehen - haben Sie Lust, uns mal von Ihren ganz frühen Anfängen zu erzählen? Was ist denn Ihre erste bewusste Erinnerung daran, komponieren zu wollen?
Unsuk Chin: Ich glaube, da war ich etwa zwölf Jahre alt. Und ich habe immer Klavier gespielt und wollte unbedingt Musik machen. Aber Komponistin zu werden, das war noch nicht in meinem Sinn. Eines Tages hat mein Musiklehrer in der Schule mich zu sich gerufen - er war selbst Komponist - und hat mir gesagt: Überleg mal, du könntest eine Komponistin werden. Das war der erste Tag, an dem ich angefangen habe, darüber nachzudenken.
Die Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises und der Förderpreise Komposition findet am 18. Mai 2024 im Herkulessaal der Münchner Residenz statt. Die Laudatio auf Unsuk Chin hält Louwrens Langevoort, Intendant der Kölner Philharmonie. Das Ensemble intercontemporain spielt unter der Leitung seines neuen musikalischen Direktors Pierre Bleuse Werke der Preisträgerin.
BR-KLASSIK: Sie sind in den 80er-Jahren nach Deutschland gekommen. Und die ersten Jahre waren nicht so einfach. Was war denn los?
Bildquelle: © EvS Musikstiftung | Fotos: Rui Camilo Unsuk Chin: Das waren drei sehr schwierige Jahre in Hamburg. Ich habe bei György Ligeti studiert. Ich kam als 24-jährige Komponistin, also als Studentin, nach Deutschland. Und ich sprach eigentlich relativ okay deutsch. Aber ich war einfach noch sehr jung und naiv, und ich konnte alles, was er verlangte und was er sagte, nicht wirklich verstehen. Und obendrein war das Wetter damals in Hamburg sehr schlecht und man war sehr einsam. Und der Kulturschock war sehr, sehr groß. Ich konnte die ganzen drei Jahre lang nicht mehr komponieren, habe quasi aufgehört Musik zu schreiben. Mein Comeback passierte erst, nachdem ich von Hamburg nach Berlin gezogen war, nach drei Jahren.
BR-KLASSIK: Warum war es in Berlin besser als in Hamburg?
Unsuk Chin: Das war irgendwie viel freier. Ich dachte, mit diesem Umzug entkomme ich Ligeti quasi. Und vor der Wende, also in den 80er-Jahren in Hamburg, wenn man da als asiatisches Mädchen auf die Straße ging, haben viele komisch geguckt. Das war nicht selbstverständlich, als Ausländer in Hamburg zu wohnen. Aber in Berlin war das anders, und das war viel freier. Auch ein bisschen schmuddeliger als in Hamburg. Da fühlte ich mich eigentlich sehr wohl. Und die Arbeit im elektronischen Studio an der TU hat mich auch sehr interessiert.
BR-KLASSIK: Ich habe gelesen, dass Sie gesagt haben, um Ihre Musik zu verstehen, muss man den Sarkasmus und den Sinn für Humor dahinter verstehen? Ist der Humor in Deutschland ein anderer als in Ihrer Heimat?
Unsuk Chin: Oh ja! Humor ist in jedem Land anders. Und ich glaube, das hängt sehr eng mit der Sprache und mit der Mentalität zusammen. Nicht in allen Stücken von mir ist Humor. Aber in einigen Stücken ist durchaus sarkastischer Humor drin.
BR-KLASSIK: Wodurch zeichnet sich das aus?
Unsuk Chin: Zum Beispiel mein Stück Cantatrix Sopranica, das ist ein Stück für drei Sänger und Ensemble: Die Sänger singen nicht irgendwelche Texte, sondern sie singen über sich selbst und über ihre eigenen Actions. Es ist also ein Stück über das Singen. Das ist auch ganz lustig. Und das habe ich übrigens auch ein bisschen von Ligeti gelernt: Von sich selbst eine gewisse Distanz zu halten - und vor allem sich selbst nicht so ernst zu nehmen.
Sendung: "Allegro" am 25. Januar 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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