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Krista Audere beim BR-Chor "Ich will eine 50:50-Quote möglich machen"

Musik zeitgenössischer Komponistinnen aufzuführen, ist Krista Audere ein besonderes Anliegen. Das zeigt auch ihr aktuelles Programm mit dem Chor des BR am 9. März.

Krista Audere | Bildquelle: Karina Kaminska

Bildquelle: Karina Kaminska

BR-KLASSIK: Krista Audere, Sie haben sich dafür entschieden, vor allem Chormusik zu dirigieren. Das heißt, Ihr Herz schlägt für die Chormusik?

Krista Audere: Ja, nicht nur mein Herz, sondern ich wurde auch schwerpunktmäßig als Chordirigentin ausgebildet. Es macht einen Unterschied, ob man Chor- oder Orchesterdirigieren studiert. Und ich habe hauptsächlich Chordirigieren studiert und Orchesterdirigat im Nebenfach. Von daher mache ich manchmal beides, aber zum Großteil eben Chor.  

BR-KLASSIK: Warum haben Chordirigent:innen selten bis nie einen Taktstock und Orchesterdirigent:innen meistens schon?

Krista Audere: Der größte Unterschied ist die Anzahl der Personen, die du vor dir hast. Und der Taktstock soll als Verlängerung deines Armes agieren, damit Tuba, Posaunen und Pauken, quasi alle, die weit entfernt von dir sitzen, die Gesten trotzdem noch sehen können. Aber beim Chordirigieren ist das nicht nötig. Selbst wenn du 100 Leute vor dir hast, sind alle recht aufmerksam. Noch dazu ist ein Taktstock schlagtechnisch gesprochen weniger vokal als die Finger und Arme, mit denen man den Klang direkter formen kann. Der Sound des Chores landet in meinen Handinnenflächen zwischen Fingern und Handgelenk. Deswegen kann man diesen Punkt auch nicht so deutlich fühlen, wenn man zeitgleich etwas halten muss, zum Beispiel den Taktstock. Die Finger geben dir einen vokalen Ausdruck und du kannst zusätzlich den Text deutlicher zeigen. Der Taktstock ist sehr gut für das Timing, weil er sehr klar zeigt, wo der Schlag wann sein soll. Aber Chorgesang ist nicht nur auf das genaue Timing aus, sondern eher auf die Gestaltung der Zeit. Es gibt auch Chordirigentinnen und -dirigenten, die mit dem Taktstock dirigieren. Da gibt es kein richtig oder falsch, man kann machen, was man möchte. Du kannst auch ein Orchester ohne Taktstock dirigieren, allerdings kann man dann nichts mehr erkennen (lacht).

Der Sound des Chores landet in meinen Handinnenflächen zwischen Fingern und Handgelenk.
Krista Audere

BR-KLASSIK: Das heißt, wenn Sie vor dem Chor stehen und die Hände offen haben, klingt es anders, als wenn Sie die Hände schließen?

Krista Audere: Ja! Es wäre schön, mal ein Experiment diesbezüglich zu machen, denn wir experimentieren in Proben und Konzerten ja auch die ganze Zeit damit. Wie offen und geschlossen kann oder sollte die Hand sein? Manche Dirigentinnen und Dirigenten halten die ersten zwei Finger zusammen, um genauer zeigen zu können. Das kommt auf die individuelle Schlagtechnik an. Ich habe das Gefühl, dass alles, was ich mit meinen Fingern tue, sei es noch so klein, den Sound direkt verändert. Natürlich ist so etwas nicht immer physisch für den Chor oder das Publikum zu sehen, aber es passiert etwas im Raum. Es fühlt sich dann anders an. Es kommt auch immer auf die Person an, die dirigiert - wie sie etwas macht, wie hoch die Hände sind, ob man mehr oder weniger von den Schultern aus dirigiert. Es hat einen Grund, warum wir dieses Handwerk so viele Jahre studieren. 

BR-KLASSIK: Haben Sie das Gefühl, dass es eine Zeichensprache ist, die von jedem Chor auf der ganzen Welt verstanden wird?

Krista Audere: Ja, jeder Mensch hat ein inneres Verständnis. Wenn ich beispielsweise meine Hände weiter aufmache, dann ist mehr Klang oder Crescendo gewünscht. Oder wenn ich meine Hände nach unten bewege, ist ein Diminuendo damit gemeint. Das sind Zeichen und Gesten, die universell sind und die wir alle akzeptieren und verstehen, ohne dass wir das je festgelegt hätten. Gerade mit Amateuren funktioniert vieles sehr instinktiv. Da erklärt man nicht so viel, sondern vieles läuft intuitiv ab, ohne dass sie es bewusst verstehen. Ich hatte bisher keine Probleme, in verschiedene Länder zu reisen und dort von den Menschen nicht verstanden zu werden. Wo auch immer man hingeht, funktioniert glücklicherweise dieselbe Sprache. 

Krista Audere dirigiert den Chor des Bayerischen Rundfunks

"Aeternam"
Chor des Bayerischen Rundfunks, 3. Abonnementkonzert
9. März 2024, 20:00 Uhr
Prinzregententheater München
Werke von Johannes Brahms, Gustav Mahler, Felix Mendelssohn Bartholdy, Galina Grigorjeva, Bernat Vivancos und Nana Forte
Weitere Informationen finden Sie hier.
BR-KLASSIK sendet den Mitschnitt des Konzerts am 19. März um 20:05 Uhr.

BR-KLASSIK: Singen hat was mit Kultur zu tun, mit Sprache. Stimme ist etwas sehr Intimes, Persönliches. Wenn man Ihnen im Blindtest zwei Chöre vorspielt, einen skandinavischen und einen südeuropäischen: Könnten sie die unterscheiden?

Krista Audere: Man kann auf jeden Fall feststellen, ob ein Chor zum Beispiel aus deutschen oder französischen Muttersprachlern besteht, vor allem wenn sie in der eigenen Muttersprache singen. Der Chor des Bayerischen Rundfunk beispielsweise ist unglaublich gut mit der russischen Sprache. Wir singen nur eine kleine Zugabe auf Russisch, die sie schon oft gesungen haben. Da bin ich wirklich überrascht, wie authentisch es klingt. Ich glaube nicht, dass ich den Unterschied zu Muttersprachlern erkennen würde. Es kommt wirklich darauf an, wie viel Übung man in der jeweiligen Sprache hat. Wobei Latein, Englisch, Deutsch und Französisch Sprachen sind, die professionelle Chorsänger wirklich sehr gut beherrschen sollten.  

BR-KLASSIK: Und ohne Sprache, wenn es nur Vokalise ist? Klingt dann zum Beispiel ein "A" von Chor zu Chor anders?

Krista Audere: Irgendwie schon. Es wäre wirklich mal sehr interessant, einen Chor einfach nur einen Akkord auf dem Vokal "A" singen zu lassen und ich würde dann versuchen zu erraten, welcher Chor es ist. Das wäre wirklich ein tolles Spiel! Vielleicht das nächste Mal (lacht). Jeder Chor hat seinen ganz eigenen Klang, da auch gerade die Größe den Sound komplett verändert. Ein "A" kann 50 verschiedene Schattierungen haben, es gibt nicht ein und dasselbe. Auch die Benutzung oder Nichtbenutzung von Vibrato und Unterschiede in der Intonation der einzelnen Sängerinnen und Sänger spielen mit rein. 

BR-KLASSIK: Am 9. März dirigieren Sie den Chor des Bayerischen Rundfunks. "Aeternam" heißt das Programm. Es gibt romantische deutsche Chormusik und zeitgenössische Stücke aus Estland, Spanien und Slowenien.

Krista Audere | Bildquelle: Karina Kaminska Krista Audere dirigiert am 9. März 2024 den Chor des Bayerischen Rundfunks. | Bildquelle: Karina Kaminska Krista Audere: Das Witzige daran ist, dass genau diese Art von Programm beweist, dass moderne Musik so romantisch klingen kann wie die deutsch-romantische Musik selbst. Ich persönlich glaube, dass die Stücke sich durchaus sehr ähneln. Vielleicht sieht es auf den ersten Blick für manche Menschen nicht danach aus. Aber wenn man im Konzert sitzt, wird man feststellen, dass der gesamte zweite Teil die erste Hälfte des Konzerts reflektiert. Man spürt keinen Unterschied in der Art und Weise, wie der Chor sowohl auf Deutsch als auch auf Latein und sogar Russisch singt. Ich habe absichtlich moderne Musik gewählt, die für ein Publikum, das nicht so sehr in der Chormusik beheimatet ist, nicht zu experimentell klingt. Es ist immer noch sehr romantisch geschrieben und davon beeinflusst. Ich hätte natürlich auch das Programm nochmal komplett umwerfen und andere Stücke an dieser oder jener Stelle einbauen können. Ich habe wirklich sehr lange über die Reihenfolge des Programms nachgedacht. Aber ich respektiere das Publikum und ich glaube, es verschafft den Leuten eine gewisse Ruhe zu wissen, dass nach Brahms noch Mahler und Mendelssohn kommen. So können sie eher loslassen. In der Pause kann man dann einen Kaffee holen und erwartet vielleicht alles Mögliche in der zweiten Konzerthälfte, nur um dann eben wieder in das ruhige Gefühl vom Anfang zurückzufinden.

Es ist meine Aufgabe, mich nicht nur mit toten Komponisten zu beschäftigen, sondern auch mit den lebenden.
Krista Audere 

BR-KLASSIK: Haben Sie bewusst auch Werke von Komponistinnen aufs Programm genommen?

Krista Audere: Ja, ich sehe es als meine Aufgabe an, die 50:50-Quote möglich zu machen, wann immer es geht. In den letzten zehn Jahren habe ich nicht nur die Musik von Komponistinnen generell, sondern auch moderne Stücke noch lebender Komponistinnen und Komponisten kennengelernt. Werke, über die ich in der Universität noch nicht Bescheid wusste, weil meine Ausbildung sich eher in der Ära der Romantik und des Barock abgespielt hat. Aber es ist eben meine Aufgabe, mich nicht nur mit toten Komponisten zu beschäftigen, sondern auch mit den lebenden. Und da sind natürlich auch Frauen dabei. Da gibt es wunderbare Musik, zum Beispiel von Grigorjeva und Nana Forte. Die beiden sind großartige Komponistinnen, die auf dem gleichen Level für mich sind wie Brahms und Mahler.  

Chorsingen: Vorteile für die ganze Gesellschaft

Singen ist gesund und macht glücklich! Das ist sogar wissenschaftlich belegt. Der Musikwissenschaftler Gunter Kreutz forscht intensiv zu dem Thema. Er erklärt, welche positive Wirkung Chöre auch auf unsere Gesellschaft haben können – wenn sie allen Menschen offen stehen. Lesen Sie hier den Artikel.

BR-KLASSIK: Sie beschäftigen sich schon so lange mit dem Singen. Gibt es etwas, dass Sie überrascht oder erstaunt?

Krista Audere: Natürlich, der größte Effekt ist, dass wir eins miteinander sind, ganz egal wo und wann. In diesen Zeiten, in denen wir so gut darin sind, miteinander zu streiten, nicht einer Meinung zu sein, gespalten in dieses oder jenes, in links oder rechts, richtig oder falsch. Deswegen ist Musik meiner Meinung nach so eine wunderschöne Sache, weil sie uns eint. Die Menschen, die im Chor oder im Orchester sitzen und auch das Publikum im Konzertsaal, wir alle sind in diesem Moment auf der gleichen Seite - wortwörtlich! Es gibt nichts Magischeres. Und auf mich hat das Singen selbst auch eine therapeutische Wirkung. Jeden Tag, in jeder Probe, bin ich umgeben von Menschen, die alles geben. Allein, dass ich quasi den besten Platz im ganzen Saal habe, die Menschen vor mir, die tagtäglich ihr gesangliches Können und ihre Freude mit mir teilen, das macht etwas mit einem - nicht nur mental, auch körperlich. Natürlich bin ich diesbezüglich voreingenommen, weil es mein Beruf ist. Aber dieses Gefühl, die Kraft der Stille, zusammen mit zwölfhundert Menschen in einem Raum zu sein, gemeinsam zu klatschen und die Stille zu genießen, nachdem Mahler gerade zu Ende gegangen ist. Wo sonst erleben wir so etwas noch, mit all diesen Menschen diesen einen Moment zu teilen? Deswegen ist Kunst so wichtig. 

Das Gespräch führte Kathrin Hasselbeck für BR-KLASSIK.

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