Vor begeistertem Publikum dirigierte Joana Mallwitz das Bayerische Staatsorchester im 5. Akademiekonzert. Gerade sind alle Augen auf Mallwitz gerichtet. In der Presse wurden Gerüchte hochgeschrieben, sie könnte an die Bayerische Staatsoper wechseln. Am gestrigen Abend wurden alle Misstöne von Mozarts "Linzer" und Tschaikowskys "Pathétique" übertönt.
Bildquelle: Wilfried Hösl
Applausverwirrung. Gerade noch war begeisterter Beifall losgebrochen, nur war es an der falschen Stelle: Der dritte Satz endet mitreißend im fortissimo. Aber im klassischen Konzert gelten eben strenge Benimmregeln: Man klatscht nicht, bevor das Stück um ist. Dafür ist dann der Applaus an der "richtigen" Stelle schüchtern und unsicher. Darf man jetzt? Tschaikowskys 6. Symphonie endet im kaum hörbaren pianissimo – schwarze Verzweiflung, ersterbend im Nichts. Hat es den Zuschauerinnen und Zuschauern nicht gefallen? Doch! Denn als sich Joana Mallwitz mit einem Lachen umdreht, brandet tosender Applaus auf. Ihr nachgeholtes Konzertdebüt mit dem Bayerischen Staatsorchester ist geglückt.
Seit 2023 Chefdirigentin und Künstlerische Leiterin des Konzerthausorchesters Berlin: Joana Mallwitz | Bildquelle: Wilfried Hösl Opernvorstellungen hat Mallwitz schon gelegentlich im Nationaltheater geleitet, aber ihr Debüt bei den Akademiejonzerten war im März 2020 wegen der gerade beginnenden Pandemie von einem Tag auf den andern abgesagt worden. Dass sie jetzt Symphonien von Mozart und Tschaikowsky aufs Programm setzt, ist kein Zufall. Denn der Russe Tschaikowsky liebte Mozart, verehrte seine Musik über alles. Mallwitz führt die beiden Komponisten nicht zum ersten Mal miteinander auf.
Mozarts Symphonie Nr. 36 trägt den Beinamen "Linzer". Der Komponist schrieb sie 1783 in Linz, auf der Rückreise von Salzburg, wo er seine frisch getraute Frau Constanze der skeptischen Familie vorgestellt hatte, nach Wien. Auf Einladung des Grafen Thun-Hohenstein sollte Mozart eine Symphonie präsentieren, er hatte aber keine dabei. Kurzerhand schrieb er die viersätzige Symphonie in C-Dur – in nur knapp sechs Tagen. Selbst für einen Wolfgang Amadeus Mozart ist das sehr schnell.
Das Bayerische Staatsorchester am Montagabend im Münchner Nationaltheater | Bildquelle: Wilfried Hösl Pjotr Tschaikowsky nahm sich für seine 6. Symphonie mehr Zeit, etwas mehr als ein halbes Jahr. Er hatte schon länger eine "Lebens-Symphonie" geplant, die von Jugend, Liebe, Enttäuschung und Tod erzählen sollte. Uraufgeführt wurde sie neun Tage vor seinem Tod, vom Komponisten selbst dirigiert. Nicht alle konnten dem Werk gleich etwas abgewinnen, denn Tschaikowsky ging einen unorthodoxen Weg und schrieb einen Final-artigen dritten Satz, auf den ein sehr ruhiger vierter Satz folgt. Er habe ein "Requiem" geschrieben, war der Vorwurf. Aber das war dem Komponisten gleich: Der sonst immer selbstkritische Tschaikowsky war diesmal ausnahmsweise sehr zufrieden mit seinem Werk.
"Ah, da ist sie" – als Joana Mallwitz auf die Bühne kommt, ist die Neugier des Publikums hörbar und spürbar. In der Presse waren in der vergangenen Woche Gerüchte hochgekocht, Mallwitz könnte den aktuellen Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski beerben. Wegen der ungeschickten Personalpolitik des Bayerischen Kunstministeriums vergisst offenbar der eine oder die andere, dass dies eigentlich nur ein ganz normales, seit langem geplantes Gastkonzert ist.
Dirigentin Joana Mallwitz | Bildquelle: Wilfried Hösl Mallwitz beginnt den ersten Satz von Mozarts "Linzer" mit einem strahlenden Lächeln. Die Lust am Musizieren ist spürbar, aber auch der Wille, alles genau zu kontrollieren. Das Orchester frisst ihr aus der Hand, die Chemie stimmt. Und Mallwitz tanzt auf dem Dirigierpult, lässt die Emotionen permanent wechseln, reizt Kontraste aus, erzählt die vielen kleinen Geschichten, die hier auf engstem Raum durcheinanderpurzeln. Für ihren Mozart wurde Mallwitz ja bereits bei den Salzburger Festspielen gefeiert, als sie im Corona-Jahr 2020 eine fulminante "Così" dirigierte.
Tschaikowskys Sechste hat den Beinamen "Pathétique". Die Meinungen darüber, wie pathetisch dann noch dirigiert werden soll, wenn es die Musik sowieso schon ist, gehen auseinander. Mallwitz orientiert sich am Montag eher Richtung emotional. Nicht zu dick aufgetragen, doch Mallwitz fordert viel vom Orchester. Manchmal auch mit Handgesten, die sagen: “mehr Vibrato, mehr Intensität, einfach mehr!” Immer wieder hört man sie laut schnaufen, bevor sie dem Orchester den Einsatz gibt. Die Applaus-Verwirrung nimmt Mallwitz gelassen, sie wirkt glücklich und erleichtert.
Bildquelle: Wilfried Hösl Jetzt ist Kunstminister Markus Blume am Zug. Wenn er verhindern will, dass das Rätselraten über die künftigen Chefs an der Bayerischen Staatsoper seine besten Leute beschädigt, muss er schleunigst Klarheit schaffen. Denn ganz egal, ob er Intendant Serge Dorny und Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski über 2026 hinaus verlängert, ob er sich für Joana Mallwitz entscheidet oder ganz andere Kandidaten aus dem Zylinder zaubert – die jetzige Gerüchteküche schadet der Staatsoper und sämtlichen Künstlerinnen und Künstlern. Das haben weder Joana Mallwitz noch Vladimir Jurowski verdient. Und verschuldet haben sie es erst recht nicht.
Sendung: "Allegro" am 23. April 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (5)
Mittwoch, 24.April, 20:47 Uhr
jemand
Mallwitz
Das von Mallwitz dirigierte Akademiekonzert war ein Plädoyer für die Verlängerung des Vertrags von Jurowski. Sie weiß, was sie will; aber ob das, was sie will, immer dem entspricht, was in den Noten steht? Jurowski ist der um Längen bessere und interessantere Musiker.
Mittwoch, 24.April, 16:16 Uhr
Maximilian Bergmann
Mallwitz - nein danke!
Die Verantwortlichen, aber auch die Kulturjournalisten sollten man mit Musikern, aber besonders Sängern aus Nürnberg sprechen! Die waren nur froh, daß Frau Mallwitz wegging. Ich brauche sie in München nicht ...
Mittwoch, 24.April, 12:42 Uhr
euphrosine
hervorragend oder betörend?
Ich fand die Dirigate von Herrn Jursowski (fast) immer sehr, sehr gut. [Man darf nur manchmal, wie bei der Nase, nicht auf die Bühne schauen, um es zu erleben]. Ich gebe aber zu, dass ich gestern von Frau Mallwitz´Pathétique hingerissen war wie schon lange nicht mehr. Insofern wären beide für mich ein Gewinn, auch wenn mich Frau Mallwitz in der Tat neugieriger macht.
Ob aber überhaupt eine(r) von beiden die Position in der Zukunft haben will - das ist ja auch durchaus fraglich. Zumal das Damokles-Schwert Intendanz ja noch freischwebend ist.
Mittwoch, 24.April, 03:12 Uhr
Wulf Düx
Allegro
Ich bin für joana mallwitz
Mittwoch, 24.April, 02:24 Uhr
Frischmuth Maximilian
Mallwitz und Blume
Erst lässt man Mallwitz kommentarlos gehen, der Kulturbanause Söder hat beim 100jährigen Jubiläum der Staatsphilharmonie Nürnberg nicht einmal ihren Namen genannt, und jetzt möchte Blume sie als Joker in einer Intrige gegen Dorny und gleichzeitig Jurowski einsetzen. Man kann nur hoffen, dsss Mallwitz ihm da nicht auf den Leim geht. Denn sie steht auch nicht für Staroper-Konzepte und Orchester-Wohlklang, was München so liebt.