Bei den Münchner Philharmonikern geben sich die Pultstars derzeit die Klinke in die Hand: Erst Joana Mallwitz, dann Klaus Mäkelä – und in dieser Woche ist Andris Nelsons zu Gast mit einem Wagner-Bruckner-Programm.
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Bruckner mit Wagner zu kombinieren, ist immer eine gute Idee – wenngleich die Verehrung Bruckners für den Bayreuther "Meister" recht einseitig war und auf wenig Gegenliebe stieß. Wie in seiner Bruckner-Gesamtaufnahme mit dem Leipziger Gewandhausorchester hat Gastdirigent Andris Nelsons auch bei den Münchner Philharmonikern auf diese bewährte Gegenüberstellung gesetzt. Vor die gesangliche Siebte Symphonie Bruckners setzte Nelsons konsequent Oper konzertant: die "Tannhäuser"-Ouvertüre Wagners mit dem für Paris 1861 nachgelieferten "Venusberg-Bacchanal", der an der Opéra obligatorischen Ballett-Einlage. Schließlich steckt das Sakrale, das für Bruckners Welt sinnstiftend ist, ja auch im "Tannhäuser"-Sujet.
Weich fließend, organisch phrasierend, mit der Musik atmend stimmt Nelsons den einleitenden Pilgerchor an – und die Münchner Philharmoniker folgen ihm mit warmem, samtenen Streicherklang. Der Lette, Jahrgang 1978, ist ein Hüne am Pult, ein Vollblutmusiker mit durchaus unorthodoxem Dirigierstil. Nelsons weiß aber genau, was er will – der Pilgerchor schwillt bei ihm majestätisch an, bevor er die schwirrende Venus-Welt verführerisch glitzern lässt. Wenn Wagner orgiastisches, etwas hohl tönendes "Tschingderassabum" auffährt, gibt Nelsons dem Affen schon auch mal Zucker. Aber wie schön kontrastiert damit dann wieder ein Streichquartett aus vier Geigen mit Harfenbegleitung!
Hier schon fällt die enorme Pianokultur auf, die Nelsons immer wieder einfordert – und die vor allem der Siebten Symphonie Bruckners zugutekommt. Ganz zart nimmt er die weitausgespannte Melodie der Celli und des Solo-Horns über dem verschatteten Tremolo-Beginn der Streicher – und lässt sie wunderbar aufblühen. Es ist ein weicher Grund-Gestus, den Nelsons bei eher getragenen Tempi für die melodiöseste aller Bruckner-Symphonien favorisiert. Auch beim Blech sorgt er für einen weich abgerundeten Klang, so dass die Höhepunkte dieser Symphonie nie brachial herausplatzen.
Ganz dem Ideal des Gesangs verpflichtet legt Nelsons das lyrisch strömende Adagio an, Herzstück der Siebten mit dem Trauergesang für Wagner in der Coda. Neben den fabelhaften Holzbläsern der Münchner Philharmoniker sind vor allem die Bläser der vier Wagner-Tuben zu rühmen, die mit ihrem sonoren, astrein intonierenden Klang und ihrem makellosen Spiel begeistern – was man von der übrigen Blechtruppe nicht durchgehend behaupten kann. Weich abgefedert kommt bei Nelsons auch das Scherzo daher, das bei der Siebten nicht die stampfenden Schroffheiten anderer Bruckner-Symphonien aufweist. Irritieren können an diesem eingängigen Werk allenfalls die seltsam hüpfenden Rhythmen im Finale, die Nelsons aber pointiert ausformuliert.
Diese Aufführung ist für ein Bruckner-gestähltes Orchester wie die Münchner Philharmoniker Heimspiel und Herzensangelegenheit, das spürt man in jedem Takt. Am Ende dieses Riesenwerks gehen ihnen dann doch ein wenig die Kräfte aus – da ist noch Luft nach oben in den Folge-Aufführungen. Die tendenziell breiten Tempi von Nelsons mögen Erinnerungen an Sergiu Celibidaches Bruckner-Wallfahrten wecken. Und natürlich kann man Bruckner auch straffer, kantiger, schroffer angehen. Aber was Nelsons auszeichnet, ist seine klanglich ungemein ausdifferenzierte Bruckner-Interpretation. Immer sorgt er für gute Klangbalance in der Münchner Isarphilharmonie im Gasteig HP8, die lautstarke Eruptionen weniger gut verträgt. Solche Pianissimo-Sphären erlebt man in diesem Raum, zumal bei einem Gastdirigenten wie Andris Nelsons, eher selten.
Sendung: "Allegro" am 27. Juni 2024 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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