So nah wie möglich ran ans Publikum, empfahl Komponist Kurt Weill im Regiebuch zur Uraufführung der kapitalismuskritischen Satire, und Regisseur Jochen Biganzoli hält sich konsequent daran. Gespielt wird überwiegend auf der Zuschauertribüne, was so vergnüglich wie mitreißend ist. Und aktuell ist dieser Abgesang auf die Vergnügungs- und Zerstreuungssucht sowieso.
Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr/ Staatstheater Augsburg
Das hat schon seinen guten Grund, dass die Zuschauer in der Pause Warnwesten angeboten bekommen und viele auch zugreifen: Über die Wüstenstadt Mahagonny fegen Orkane, aber auch ganz ohne Wetter ist die Zerstörungswut in dieser Gegend ziemlich groß. Denn schlimmer als jedes Tiefdruckgebiet ist natürlich die menschliche Vergnügungssucht, die sich in Mahagonny schrankenlos austoben darf.
Fressen, Lieben, Boxen, Saufen, alles ist buchstäblich bis zum Umfallen erlaubt, nur auf eines steht die Todesstrafe: Kein Geld haben. Regisseur Jochen Biganzoli inszenierte dieses bitterböse Gleichnis auf den Raubtierkapitalismus, bei dem einem natürlich sofort Las Vegas einfällt, am Staatstheater Augsburg mit wahrhaft stürmischem Elan und einer ansteckenden Ausgelassenheit. Mahagonny ist in diesem Fall Augsburg, wie einem Ortsschild zu entnehmen ist, und dass das benachbarte München vom herannahenden Orkan in Schutt und Asche gelegt wird, trägt nicht wenig zur guten Laune des Premierenpublikums bei.
Dabei hielt sich Biganzoli an den Rat von Komponist Kurt Weill, der im Regiebuch zur Uraufführung 1930 in Leipzig empfahl, die Handlung mitten ins Orchester zu verlegen und auf aufwändige Bühnenbilder zu verzichten. So nah ran ans Publikum wie möglich wollte ja auch Bertolt Brecht. Und so wird fast durchweg im Zuschauerraum gespielt, Schnaps verteilt, Mitgliedsausweise für Mahagonny angepriesen, animiert und mitgeklatscht.
Die Botschaft verfängt: Mahagonny gibt´s doch nur, weil die Welt so abgrundtief schlecht ist und die Menschen nur eines wirklich lieben – ihr Geld. Der Abend ist so vergnüglich, so mitreißend und kurzweilig, dass der pädagogische Zeigefinger nebenbei gern in Kauf genommen wird. Ja, es ist ein antikapitalistisches Lehrstück, aber in einer Zeit wie heute, in der Donald Trump und andere ihren Reichtum auf vulgärste Weise vorführen, ist es leider wieder oder immer noch hochaktuell.
Unter den Mitwirkenden begeisterte Mirko Roschkowski in der Hauptrolle des Holzfällers Jim Mahoney mit seiner Natürlichkeit, seiner Ausstrahlung und seiner raumfüllenden, anrührenden Stimme. Der Mann will Spaß, um jeden Preis, und nimmt die Welt mit. Sehr überzeugend auch Kate Allen als gerissene Witwe Begbick, vor der alle kuschen, weil sie die Einzige ist, die den Durchblick hat bei den hier vorgeführten Verhältnissen, diesen ausgesprochen bedauerlichen. Aber auch die übrigen Solisten, darunter Sally du Randt als geschäftstüchtige Jenny, sowie der viel beschäftigte Chor haben sichtlich Spaß bei dieser wild bewegten Parabel. Dirigent Ivan Demidov schlürft zwischendurch an einem Cocktail, so scheinbar entspannt ist er. Großartig, wie schneidig, wie eisig, wie sarkastisch er das tragisch-groteske Geschehen musikalisch befeuert. Der Irrsinn darf lodern, bis ins Krematorium.
Am Ende nämlich fährt der Sarg des zum Tode verurteilten Jim Mahoney in den Ofen, die Überreste werden zermahlen und in die Urne gefüllt. Und was singt die Trauergemeinde mit trockenen Augen und kalten Herzen? Wie man sich bettet, so liegt man, es deckt einer da doch keiner zu. Begeisterter Applaus für ein fulminantes Passionsspiel, bei dem statt der Glocken die Kassen klingeln.
Sendung: "Allegro" am 27. Januar ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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