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Kritik - "Parsifal"-Wiederaufnahme in Bayreuth In zwei Welten

Regisseur Jay Scheib hat seine bildgewaltige Bayreuther "Parsifal"-Produktion im zweiten Jahr digital weiter verfeinert. Der Star des Abends sitzt aber im Graben, wo Dirigent Pablo Heras-Casado das Festspielorchester zu Höchstleistungen antreibt.

Parsifal 2024 | Bildquelle: BF / Enrico Nawrath

Bildquelle: BF / Enrico Nawrath

"Der Glaube lebt, die Taube schwebt". So verkünden es Stimmen aus der Höhe beim Einzug in den Gralstempel. Doch dabei belässt es der amerikanische Regisseur Jay Scheib in seiner Bayreuther "Parsifal"-Inszenierung nicht. Bei ihm ist es gleich ein ganzer Schwarm von Tauben, der dank spezieller Augmented Reality-Brillen digital durch das Festspielhaus flattert. Und auch der vom Titelhelden erlegte Schwan darf vor seinem blutigen Ende noch ein paar virtuellen Kreise über den Köpfen des Publikums drehen.

Technische Spielereien für Auserwählte

Scheib und seinem Video-Designer Joshua Higgason gelingen da immer wieder überraschende Bilder. Wenn sich etwa der Sitznachbar plötzlich in Kundry verwandelt oder man in interaktiven Momenten einzelne Elemente mit dem eigenen Blick steuert. Geometrische Figuren, religiöse Symbole, Skelette oder Blumen - all das prasselt in Endlosschleifen ununterbrochen auf den Betrachter ein. Manches regt zum Nachdenken an, anderes wirkt aber oft reichlich beliebig.

Die Frage, ob die digitale Bilderflut nun wirklich neue Erkenntnisse bringt oder doch eher die dahinter durchscheinende Inszenierung überdeckt, bleibt letzten Endes aber eh beinahe hinfällig. Weil eben auch im zweiten Jahr nur rund 20 Prozent des Publikums überhaupt in den Genuss dieser technischen Spielerei kommen, während der Rest das Bühnenweihfestspiel weiter analog erlebt.

Und was man sieht, wenn man den Blick über den Brillenrand hinausschweifen lässt, bleibt doch eher gute alte konventionelle Opernrealität, in der viel herumgestanden aber zum Glück auch prachtvoll gesungen wird.

Bayreuther Publikumslieblinge trumpfen auf

Star des Abends ist wieder einmal Georg Zeppenfeld. Mit samtig weichem, aber dennoch durchschlagskräftigem Bass gestaltet der Bayreuther Publikumsliebling die langen Erzählungen des Gurnemanz so eloquent und klangschön, dass man ihm einfach gebannt lauschen muss. Etwas robuster wird es da schon bei Titelheld Andreas Schager, der zwei Tage zuvor bereits als Tristan im Einsatz war und sich hier erneut mit schier endlosen Kraftreserven durch die Partie stemmt. Wobei er unter anderem im Karfreitagszauber beweist, dass er sehr wohl auch zu subtileren Tönen fähig ist.

Über diese verfügt ebenfalls Ekaterina Gubanova, die letztes Jahr bereits im Wechsel mit Elina Garanca als Kundry im Einsatz war und die Rolle nun komplett übernommen hat. Mit dunkel loderndem Mezzo dominiert sie den zweiten Aufzug und gibt sich selbst bei den heikel gelagerten Spitzentönen von Kundrys Fluch keine Blöße. Angestachelt wird sie dabei unter anderem von Jordan Shanahan, der den Zauberer Klingsor endlich einmal nicht als klischeehaften Bösewicht zeichnet, sondern mit seinem nobel geführten Bariton ein Gedankenspiel anregt, ob sich hier nicht ein Rollentausch mit dem holzgeschnitzten Amfortas von Derek Welton anbieten würde?

Ein Dirigat zwischen Spontaneität und Abgeklärtheit

Nicht zu rütteln ist dagegen an Dirigent Pablo Heras-Casado, der nach seinem fulminanten Debüt auf dem Grünen Hügel nun noch einmal weiter in Wagners Partitur hineinhorcht und ihr jede falsche Frömmigkeit austreibt. Mit teils sehr zügigen Tempi, die zu Beginn auch den einen oder anderen Sänger zu überraschen scheinen. Erst im letzten Aufzug kehrt da etwas mehr abgeklärte Ruhe ein. Ohne dadurch jedoch an Spannung zu verlieren. Ein fesselndes Dirigat, das Wege aufzeigt, dem Publikum aber gleichzeitig Raum lässt, seine eigenen Antworten zu suchen.

Sendung: "Allegro" am 29. Juli ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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