Mit gewaltigem szenischen und musikalischen Aufwand stemmt die Semperoper die so schwierige wie opulente Märchenoper von Richard Strauss. Chefdirigent Christian Thielemann setzt zum Premieren-Abschied von der Sächsischen Staatskapelle ein wuchtiges Ausrufezeichen. Das dankbare Publikum reagiert mit stehenden Ovationen.
Bildquelle: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Ein Leisetreter ist Dirigent Christian Thielemann wirklich nicht. Er gilt als einer der weltweit besten Spezialisten für Richard Wagner und Richard Strauss und ist entsprechend stark umworben. Jetzt ist nach 14 Jahren an der Dresdener Semperoper Schluss als Chefdirigent, Thielemann wechselt in der kommenden Spielzeit an die Berliner Staatsoper und wird weiterhin in Bayreuth, Wien und anderen mitteleuropäischen Musikmetropolen tätig sein. Fernreisen sind nicht mehr so sein Ding, wie er dem BR sagte. In Dresden verabschiedete er sich auftrumpfend und opulent, mit der "Frau ohne Schatten", einem Viereinhalb-Stünder von Richard Strauss. Da wurde wirklich alles aufgefahren von der Glasharfe bis zur Windmaschine, vom Kinderchor bis zu einem beweglichen Riesen-Greifvogel, der bedrohlich seine Krallen ausfährt.
Mittendrin Thielemann, ganz tief im abgesenkten Orchestergraben, kaum zu sehen, wie er mit meist sehr kontrollierten Bewegungen und leisen Andeutungen diese aufwühlende Riesenpartitur in den Griff bekommt. Der Dirigent gilt international als Magier des markanten "deutschen" Klangs, womit ein romantischer Mix gemeint ist, der die Konturen lieber etwas schattenhaft verwischt und auf emotionale Überwältigung setzt, statt die Kontraste kühl und zeichenhaft herauszuarbeiten: Pinsel statt Radiernadel. Die Sächsische Staatskapelle hat diesen unvergleichlichen "dunklen", warmen Ton, der sich mit Wagner und Strauss hervorragend verträgt.
Allerdings: Gerade die 1919 in Wien uraufgeführte "Frau ohne Schatten" hat eine krude Handlung und erinnert mit ihrer ausladenden Breitwand-Instrumentation doch sehr an die wilhelminische Wir-sind-wieder-wer-Haltung. Die Gesellschaft damals war fiebrig bis hysterisch dabei, Deutschland einen "Platz an der Sonne" zu erkämpfen, wie es seinerzeit melodramatisch hieß.
Der Erste Weltkrieg tobte, in der Musik herrschte greller, farbenreicher Expressionismus. Richard Strauss war der Mann der Stunde, philosophisch orientiert an den damaligen Mode-Denkern Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud. Die Musik kann durchaus als leicht bis schwer neurotisch bezeichnet werden, hat was von einer Therapiesitzung für Völker am Rande des Nervenzusammenbruchs. Das kann heute schnell schwülstig, bombastisch, ja unerträglich wirken. Gut, dass Christian Thielemann einmal mehr auf gestischen Minimalismus setzt, nicht mit aufgeregtem Gefuchtel das Fieber hochtreibt, sondern die emotionalen Ausbrüche sehr behutsam und damit umso eindringlicher setzt und sich zwischendurch immer wieder enorm sängerfreundlich zurücknimmt. Das kann er fulminant, damit überzeugte er auch schon beim "Ring des Nibelungen" an der Berliner Staatsoper, das macht ihm kaum einer nach.
Zumal in Dresden eine Starbesetzung auf der Bühne stand, mit Camilla Nylund als Kaiserin, die ihren Schatten sucht, also von einer distanzierten Fabelfigur zu einem verletzlichen Menschen werden möchte. Evelyn Herlitzius sang die teuflische Amme mit furchteinflößendem Charisma, die junge finnische Sopranistin Miina-Liisa Värelä die Färberin, die sich aus ihrer Elendswelt befreien und zur Prinzessin werden möchte, mit Strass und Ballkleidern.
Regisseur David Bösch und seine Ausstatter Patrick Bannwart fürs Bühnenbild und Moana Stemberger für die Kostüme scheitern bei der Inszenierung auf hohem Niveau, was keineswegs abwertend gemeint ist, denn für die "Frau ohne Schatten", wo es um Fruchtbarkeit und längst überkommende Mutterrollen geht, lassen sich keine wirklich rundum überzeugenden Bilder mehr finden. Und so endet der Traum vom schönen, unabhängigen Luxusleben hier mit einem Grillabend unter Freunden. Hat was, in dieser verblüffenden Banalität, gerade im Vergleich zu den musikalischen Eruptionen. Etwas mehr Lässigkeit hätte dem deutschen Kaiserreich gut angestanden und Humor war ja auch nicht gerade die Stärke von Richard Strauss. Ein musikalisch spektakulärer Abend an der Semperoper, die demnächst ohne Christian Thielemann ihren Weg finden muss.
Sendung: "Allegro" am 25. März ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Freitag, 29.März, 17:45 Uhr
Klaus Keßler
Christian Thielemann
Die Zeit in der Christian Thielmann Chefdirigent der Dresdner Staatskapelle war, wird nicht in den nächsten Jahrzehnten wiederkommen. Es war die musikalisch die bedeutendste Zeit seit 1949. Als Sachse bin ich über den Weggang mit vielen anderen Opern- und Konzertbesuchern sehr traurig.
Dienstag, 26.März, 05:58 Uhr
Hans loibner
Humor und Richard Strauss
Sie schreiben: „und Humor war ja auch nicht gerade die Stärke von Richard Strauss“. Naja. Rosenkavalier, Ariadne, Arabella, Till Eulenspiegel, als einige Beispiele. Und da ist kein Humor in der Musik ??