Regisseur Marco Štorman und sein Team bremsen Richard Wagners Mythos radikal aus und bebildern den sehr statischen Weltuntergang mit homoerotischen Karl-May-Illustrationen. Der Ansatz ist verkopft - das Ergebnis: enttäuschend.
Bildquelle: Staatstheater Stuttgart/Matthias Baus
Vielleicht gibt es ja wirklich kein Gestern und kein Morgen, sondern ewigen Stillstand und wir sind mental niemals aus der Steinzeit herausgekommen. Schamanen jedenfalls haben gerade Hochkonjunktur: In Washington stürmten sie bekanntlich das Kapitol und in Russland sind sie als Weissager und Wunderheiler gefragt, auch bei Putin und seinen Oligarchen. Der Mythos lebt, das Ritual floriert, man trägt wieder Hörner auf dem Kopf, wirft Knochen in die Luft und liest, wenn es so weitergeht, wohl bald auch wieder das Schicksal aus Eingeweiden, wie es die alten Römer vormachten.
"Götterdämmerung" an der Staatsoper Stuttgart | Bildquelle: Matthias Baus Insofern ist es nicht ganz abwegig, wenn Regisseur Marco Štorman bei seiner Inszenierung der "Götterdämmerung" an der Staatsoper Stuttgart in der Höhle anfängt, samt abgenagten Knochen, Schädeln und allerlei schamanistischem Schnickschnack. Hätte auch die Urwaldszene von "Apokalypse Now" sein können und wenn Fred Feuerstein und Barney Geröllheimer vorbeigesaust wären, hätte das niemanden gewundert. Das heißt aber nicht, dass dieser Wagner in der Steinzeit spielt: Štorman und sein Bühnenbildner Demian Wohler wollen sich überhaupt nicht auf irgendeine Epoche festlegen, sie verlegen die "Götterdämmerung" in eine Rumpelkammer aus Architekturzitaten und haben sich dabei wohl von Las Vegas inspirieren lassen, wie dem Programmheft zu entnehmen ist. Da steht ja auch der Eiffelturm neben den Pyramiden.
Im Mythos gibt es keine Zeitalter, da passiert alles gleichzeitig, ist alles ein Augenblick, so die Botschaft. Und deshalb gibt es im engeren Sinne auch keine Handlung, keine Geschichte, sondern nur Bilder, Momentaufnahmen, wahlweise mit der Sofortbildkamera festgehalten oder in Ölfarben. Der einstige Karl-May-Illustrator Sascha Schneider hat es dem Regieteam dabei angetan: Dessen homoerotische Männer-Akte und Heldenposen werden ständig herumgetragen. Ansonsten ist eine Art Plenarsaal zu sehen, vielleicht der römische Senat, der prompt von Randalierern mit Ochsen- und Adler-Masken gestürmt wird.
Christiane Libor als Brünnhilde | Bildquelle: Matthias Baus Nacherzählen lässt sich das alles nicht, es ist der Versuch, Richard Wagners nordische Mythenwelt optisch in den Griff zu bekommen. Experimentell und ungewöhnlich, fürwahr, und somit dem Staatstheater Stuttgart angemessen. Doch die schauerlich hässlichen Kostüme, die bizarren Assoziationen und der dauergrinsende Siegfried als Riesen-Baby im Unterholz der Ewigkeit tragen über sechs Stunden hinweg in keiner Weise zur Wagner-Deutung bei, leider auch nicht zur Erbauung oder gar Unterhaltung. Und dass Brünnhilde selbst in ihrem Schlussgesang damit beschäftigt war, Bilderrahmen zu entsorgen und dann nicht mehr in ihren Text fand, ist nur ein Beispiel für zahlreiche handwerkliche Schwächen. Zwischen den Personen passiert nichts, und dass sie mit Polaroid-Fotos Memory spielen, sich gegenseitig Spiegel vorhalten und Bewusstseinsebenen austauschen, wirkt reichlich verkopft.
So sehr, dass die Musik nicht im Geringsten berührt, was aber auch am Dirigat von Cornelius Meister liegt. Ihm fällt mancher Effekt unter der Hand auseinander, im Orchester gibt es im dritten Akt erhebliche Konzentrationsprobleme, vor allem bei den viel beschäftigten Blechbläsern. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Meister es mit der Analyse etwas übertrieb, auf Kosten der Emotion. Daniel Kirch als Siegfried befremdete mit seinen Grimassen, war stimmlich allerdings jederzeit durchschlagskräftig und heldisch im besten Sinne. Dagegen gelang Christiane Libor als Brünnhilde ihr Schlussgesang zwar leidlich, davor musste sie allerdings immer wieder arg forcieren. Patrick Zielke hatte gleichzeitig Hagen und dessen Vater Alberich zu singen, als Selbstgespräch, was plausibel ist. Er war, wie fast alle, ausnehmend textverständlich, klang jedoch unverbindlich bis unbeteiligt.
Schon klar: Diese "Götterdämmerung" sollte nicht mit Pathos überwältigen, nicht rührselig sein und wollte weder auf das Herz, noch auf den Bauch zielen, sondern auf die Stelle vom Kopf, wo die selbständige, kritische Urteilsfähigkeit beheimatet ist. Wenn schon die Zeit stehen bleibt, sollen wenigstens die Gedanken fortschreiten. Deshalb muss Siegfried auch nicht sterben, sondern sich nur umziehen – für ein Jenseits, das verdächtig nach dem Diesseits aussieht, nur mit Einhorn.
Sendung: "Allegro" am 30. Januar 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Mittwoch, 01.Februar, 11:06 Uhr
Volker Rendler-Bernhardt
Götterdämmerung Stuttgart
Die Kritik bringt es recht gut auf den Punkt!
Die verzweifelte Angst der Regie vor Größe.
Bei Herrn Kirchs Siegfried erlaube ich mir eine andere Einordnung. Er hatte schon als Loge in Bayreuth nicht überzeugen können,ebenso als Lohengrin in Karlsruhe!
Es ist auch Stuttgart nur eine "Andeutung" von Siegfried. Aber das passt in die Wagner light Lesart des durchaus geschätzten Cornelius Meister,dem ich starke und spannende Weiterentwicklung,hin zum Musikdtamatischen wünsche.
Diese GD ist,ausgenommen Hagen und Waltraute, mit.E. allenfalls mittelmäßig und man denkt wehmütig an die Zeiten vor dem ersten Ringzerbrechen durch Herrn Zehelein zurück!
Wünsche also weiter Mut zur Besserung.
Montag, 30.Januar, 15:30 Uhr
Rolf Hafner
Götterdämmerung in Stuttgart
Die Kommentare zu Bühne, Kostümen und Regie, Personendarstellung (Siegfrieg) kann man nur unterstreichen.
Beim Singen fanden wir Alberich / Hagen hervorragend: Alberich unverhohlen direkt bösartig, Hagen in der Art von Tom Hagen (in 'Der Pate') immer scheinbar neutral intellektuell, insofern unbeteiligt (Zitat), aber gerade dadurch böse.
Die Musik des Staatsorchesters hat uns die fünf Stunden gut überleben lassen, d.h. einen wunderbaren Spannungsbogen aufrecht erhalten und UNS (keine Wagnerianer!) sehr berührt.