Händel-Opern polarisieren: Für die einen aneinandergereihte Endlos-Arien, für die anderen ein Suchtmittel. In München gab es vor gut 20 Jahren ziemlich viele Händel-Süchtige: Der damalige Intendant Peter Jonas begeisterte die Opernfans für Barockmusik. Jetzt will sein Nach-Nachfolger Serge Dorny daran anknüpfen: Bei den Opernfestspielen hatte am 15. Juli 2023 Händels "Semele" im Prinzregententheater Premiere.
Bildquelle: Monika Rittershaus
Kritik
Händels "Semele" bei den Münchner Opernfestspielen
Dass ein Regisseur so viel Jubel bekommt, ist ziemlich selten. Claus Guth wird gefeiert. Denn er gönnt sich, uns und dem Ensemble einen großen Spaß. Dabei geht es in Händels "Semele" eigentlich um eine traurige Geschichte, um einen tödlichen Trip. Semele muss Athamas heiraten, aber sie hat Sex mit Jupiter. Guth verlegt die Geschichte aus der griechischen Mythologie in eine Welt reicher Spießer. In einem luxussanierten weißen Altbau-Saal feiern sie Hochzeit, zwanghaft fröhlich in ihren Designerklamotten. Semele will raus hier, denn sie ist einem Gott begegnet: Jupiter in Gestalt eines Adlers, schwarze Federn quellen aus der Decke. Das Fest entgleist, die Braut sagt Nein und schlägt brachial ein Loch in die Wand, um sich aufzumachen in die Welt der Götter.
BR-KLASSIK übertrug die Premiere von Händels "Semele" im Rahmen der Münchner Opernfestspiele live aus dem Prinzregententheater. Hier können Sie die kompletten Mitschnitt des Opernabends anhören.
Eine schwarze, verlockende Welt – und Semele geht voll auf Risiko: Sie will sich nicht abspeisen lassen, begehrt maßlos, will Jupiter so, wie er wirklich ist, als Gott, nicht in Menschengestalt – sie will die Unsterblichkeit. Das ist zu viel, das ist tödlich. In der Menschenwelt geht derweil alles den gewohnten Gang.
Ein ausführliches Dossier zum Thema "500 Jahre Bayerisches Staatsorchester" finden Sie hier.
Bildquelle: Monika Ritterhaus Mangels Braut nimmt Athamas dann halt eben Semeles Schwester: Jeder ist austauschbar, die zwanghafte Hochzeitsparty wiederholt sich. Aber ein Störfaktor bleibt: Untot sitzt Semele unter den Gästen, bleich und verstört gebiert sie Jupiters Sohn, Dionysos, den Gott des Rausches. Das alles klingt tiefsinniger, als es ist. Die abgründige Story dient der Inszenierung letztlich nur als reizvoller Rahmen für viel Koloraturen-Comedy und gut getimte Unterhaltung mit Kellner-Ballett, Akrobatik am Vertikaltuch und einer umjubelten Breakdance-Einlage. Die gibt Countertenor Jakub Józef Orliński höchstpersönlich. Ein Barock-Musical mit einem Schuss Tiefenpsychologie und viel Gute-Laune-Appeal – das passt nicht schlecht zu Händels groovender Musik.
Toll, was diese phantastischen Sänger alles drauf haben, tänzerisch, mimisch – das ist feinstes Inszenierungshandwerk, lustvoll umgesetzt, ohne Angst vor gelegentlichen Ausflügen ins Operettige. Der breakdancende Countertenor Jakub Józef Orliński singt den Athamas mit relativ viel Körper und hat eine etwas raue, für einen Counter erstaunlich voluminöse Stimme. Der amerikanische Tenor Michael Spyres ist sein Konkurrent Jupiter, mühelos kraftvoll, mit einem fesselnden, eher dunklen Timbre. Und Brenda Rae als Semele, hinreißend in ihrer energiegeladenen Spielfreude, stürzt sich todesmutig in kehlenbrecherische Koloraturen.
Lesen Sie ein ausführliches Interview mit Regisseur Claus Guth zu "Semele".
Für den rhythmischen Drive sorgt Dirigent Gianluca Capuano. Den muss man sich merken. Capuano mag treibende Beats, aber seine schnellen Tempi sind nie motorisch, sondern immer groovy. Umso stärker wirken die Kontraste im absoluten pianissimo. Das Bayerische Staatsorchester klingt transparent, alle fressen ihm aus der Hand: Happy Händel.
Sendung: "Allegro" am 17. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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