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Kirill Gerstein beim BRSO Zweimal Ravel, einmal mit links

Ein Abend, zwei Klavierkonzerte, zweimal Ravel: Es ist ein Kraftakt, den Kirill Gerstein dieser Tage mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bewältigt. Wie man das macht - darüber haben wir mit ihm gesprochen.

Kirill Gerstein | Bildquelle: Marco Borggreve

Bildquelle: Marco Borggreve

BR-KLASSIK: Herr Gerstein, Sie beglücken uns mit einem Ravel-Abend. Was schätzen Sie besonders an Ravel und seiner Musik?

Kirill Gerstein: Seine Klangwelt. Die ist wie Diamanten! Absolut perfekt ausgearbeitet und trotzdem sinnlich, vor allem die zwei Stücke, die ich heute spiele. [überlegt] Na ja, wie Sie sehen, fehlen mir wirklich die Worte, weil man Musik und erst recht so großartige Musik schlecht erklären kann.

BR-KLASSIK: Können Sie sich noch an Ihren allerersten Kontakt mit Ravels Musik erinnern? Haben Sie da irgendein Bild oder eine Erinnerung vor Augen?

Kirill Gerstein: Eigentlich nicht. Für uns Pianisten gehört Ravel einfach zum Lebensraum, weil diese Musik sehr wichtig ist. Natürlich nicht nur für Pianisten, er hat schließlich auch so wunderschön für Orchester und für alle anderen Instrumente geschrieben. Jedenfalls ist Ravel Teil der Luft, die wir atmen.

Ein Abend, zwei Klavierkonzerte

BR-KLASSIK: Sie spielen heute beide Klavierkonzerte, die Ravel geschrieben hat, an nur einem Abend - ein irrer Kraftakt, oder?

Kirill Gerstein: Vor allem für die Konzentration! Und für die Mobilität der Gedanken. Das ist schon eine Aufgabe. Ich wollte die zwei Konzerte an einem Abend präsentieren, weil Ravel sie quasi gleichzeitig komponiert hat, was sowieso schon beeindruckend ist. Und was mich da fasziniert, ist, wie verwandt, aber doch unterschiedlich diese zwei Stücke sind. Das G-Dur-Konzert für beide Hände ist ein Stück mit viel Sonne, mit spanischen Einflüssen und mit ein bisschen Jazz. Ein sehr positives Stück. Und das D-Dur-Konzert für die linke Hand allein, das Ravel für den Pianisten Paul Wittgenstein geschrieben hat, der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren hatte, wurzelt in dieser schrecklichen Geschichte rund um den Ersten Weltkrieg. Trotz der Tonart D-Dur ist es ein sehr dunkles Stück, aber eins mit sehr viel Kraft und auch wieder mit Jazz. Es hat etwas Erschrockenes und gleichzeitig Heroisches, vor allem bei der letzten Kadenz, wo ein Arm gegen das Orchester und dann mit dem Orchester quasi für die Musik kämpft. Diese beiden Konzerte zusammen zu präsentieren ergibt ein runderes und tieferes Portrait von Ravel. Das war die Idee.

BR-KLASSIK: Was reizt Sie an den einzelnen Konzerten jeweils noch?

Kirill Gerstein: Das G-Dur-Konzert ist, vor allem im ersten und dritten Satz, wie ein perfektes Spielzeug. Ravel war fasziniert von mechanischem Spielzeug und hatte sogar eine Sammlung davon – und die Musik in diesem Konzert funktioniert perfekt, eben wie kleine Maschinen. Dann gibt es die schon erwähnten spanischen Elemente, und natürlich den zweiten Satz, der weltbekannt ist, und zu den lyrischsten Sätzen mit den schönsten Melodien überhaupt gehört: Erst spielt das Klavier allein, danach mit Orchester, und dann kommt das Herzstück, bei dem das Englischhorn die Melodie wiederholt. Der dritte Satz wiederum ist ziemlich scherzoso und durchsetzt mit lustigen Paukenschlägen. Ein sehr unterhaltsames Stück. Ich glaube, Ravel hat sogar selbst gesagt, er wolle, dass sein Konzert im besten Sinne unterhaltsam ist. Und das D-Dur-Konzert – zusätzlich zu diesem Hintergrund mit dem Ersten Weltkrieg und der besonderen Virtuosität für die linke Hand allein – hat wieder diese Jazz-Elemente. Dazu kommt noch Ravels durchaus patriotische Faszination für alte französische Musik, Barockmusik. Das D-Dur-Konzert ist gewissermaßen eine Hommage an Rameau und Lully. Das kennen wir zum Beispiel auch von Debussy, dass sich Komponisten während des Ersten Weltkriegs besonders mit alter Musik beschäftigt haben und sich fragten, wie die Musik damals beschaffen war. Das hat durchaus etwas Philosophisches.

Spiele nur mit Links

BR-KLASSIK: Was ist das für ein Gefühl, rein körperlich betrachtet, wenn die rechte Hand auf der Bühne auf Pause gestellt ist?

Kirill Gerstein: Man braucht schon eine andere Einstellung. Es ist etwas komplett Neues, weil man den Stress, auch den psychologischen Stress, nicht auf zwei Händen verteilen kann. Auch neurologisch ist es interessant, und zwar nicht nur bei mir, das kenne ich auch von Kollegen wie zum Beispiel Jean-Yves Thibaudet, der dieses Stück oft spielt, dass nach dem Linke-Hand-Konzert die rechte Hand erst mal wie im Tiefschlaf ist. Die ersten zehn, 15 Minuten hat man das Gefühl, als hätte man mit der rechten Hand seit einem Monat nicht gespielt. Total ungeübt. Offenbar gibt es da einen Wechsel im Kopf, sodass neurologisch alles auf die linke Hand konzentriert ist. Deswegen ist es auch unangenehm, nach dem Linke-Hand-Konzert eine Zugabe mit zwei Händen zu spielen. Dann lieber irgendetwas nur mit der linken Hand. Andererseits hat Ravel das Konzert so klug geschrieben: Die Melodie liegt oft im Daumen, also in der schwereren Seite der Hand und damit dort, wo die stärkste Betonung möglich ist. Außerdem merkt man, wenn man sich nicht gerade darauf konzentriert, als Zuhörer überhaupt nicht, dass in diesem fast 20-minütigen Konzert Klavier und Orchester nur sechs Minuten zusammenspielen. Es gibt zwei große Kadenzen für Klavier am Anfang und am Ende, und es gibt große Tutti-Stellen, aber zusammen spielt man nur sechs Minuten. Das ist klug gelöst, so wirkt alles ausbalanciert, und obwohl das Klavier mit einem größer besetzten Orchester konfrontiert ist als beim G-Dur-Konzert, fließt hier alles organisch und virtuos ineinander.

Konzerthinweis

Am 4. und 5. Mai ist Kirill Gerstein zu Gast beim BRSO im Münchner Herkulessaal. Auf dem Programm steht Musik von Ravel und Schubert. Am Freitag überträgt BR-KLASSIK das Konzert live ab 20:05 Uhr.

BR-KLASSIK: Setzen Sie sich, wenn Sie das D-Dur-Konzert spielen und wissen, dass nur die linke Hand zum Einsatz kommt, anders ans Klavier als sonst? Gehen Sie anders an den Flügel, gehen Sie anders raus? Oder haben Sie generell ein Ritual? Irgendetwas, was in den fünf Minuten passiert, bevor Sie auf die Bühne treten?

Kirill Gerstein: Ich finde Rituale problematisch. Deswegen kultiviere ich das auch nicht. Denn wenn man ein Ritual hat und dann mal davon abweicht, erzeugt das eine andere Art von Stress. Dann denkt man: Jetzt habe ich das Ritual nicht erfüllt, wie soll es jetzt klappen? Manchmal spiele ich vorm Auftritt, manchmal nicht. Manchmal schlafe ich, manchmal nicht. Ich finde, das zu mischen ist vorteilhafter, als ständig das gleiche Prozedere zu haben.

Rituale nach dem Auftritt?

BR-KLASSIK: Und wenn Sie von der Bühne abgegangen sind? Was machen Sie da?

Kirill Gerstein: Auch ganz unterschiedlich. Das sind natürlich spezielle Momente, diese Konzertauftritte, und das bleibt speziell und besonders, trotz Erfahrung. Aber es ist ein Teil des Lebens und auch ein Teil meines Lebens und man erlebt diese Momente, wie sie halt kommen. Man kann sie nicht vorher backen oder in Schablonen pressen. Oder eventuell kann man das doch. Ich kenne viele, die das versuchen. Aber ich finde es nicht produktiv und für mich passt es nicht so zu leben. Ich versuche, offen zu bleiben, deshalb lieber keine Routinen – es kommt dann sowieso anders.

BR-KLASSIK: Teil Ihres Lebens war zuletzt auch Ihre Rolle als Artist in Residence beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Diese Rolle findet jetzt ein Ende, ihre Residenz findet ein Ende. Was ist Ihre Bilanz dieser Zeit hier beim BRSO?

Kirill Gerstein: Für mich war das musikalisch und persönlich ein Geschenk, vom Orchester, von der Verwaltung, von den Dirigenten und auch von unserem Publikum. Eine Bereicherung für mich als Musiker und als Person. Ich fühle Dankbarkeit. Die Beziehung zum Orchester und zu den Musikern, den vielen individuellen Künstlern in diesem Orchester ist tiefer geworden, das musikalische Vertrauen ist gewachsen, und das ist natürlich wunderschön und auch vielversprechend für zukünftige musikalische Zusammentreffen.

Sendung: "Konzertabend" am 5. Mai ab 20:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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