Gerade ist er 82 geworden, der spanisch-katalanische Großmeister der historischen Aufführungspraxis, Jordi Savall. Zur "Ouverture Spirituelle" der Salzburger Festspiele hat Savall mit seinen Ensembles bereits Haydns "Schöpfung" beigesteuert. Jetzt präsentierte er sein Originalklang-Orchester Le Concert des Nations nochmal in zwei Konzerten und dirigierte im Großen Saal des Salzburger Mozarteums vier der populärsten Symphonien Beethovens.
Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli
Da sitzen sie also erwartungsvoll im frisch renovierten, goldverzierten Saal des Salzburger Mozarteums, die knapp fünfzig Musikerinnen und Musiker von Le Concert des Nations, und warten auf den Einsatz zur "Eroica" von Ludwig van Beethoven. Die beiden krassen Eingangsakkorde in Es-Dur entscheiden über Wohl und Wehe der ganzen Dritten Symphonie, gern kommen sie mal unentschieden, bräsig oder gar verwackelt daher. Bei Jordi Savall und seiner hellwachen Truppe sitzen sie messerscharf – so soll es sein! Im weiteren Verlauf fällt sofort der weiche, runde Klang des Orchesters auf, der auch etwas Erdiges hat – die alten Instrumente klingen eben authentischer, charakteristischer, nicht so smart wie moderne.
Jordi Savall hat sich neben seinen ganzen Aktivitäten im Bereich der Alten Musik auch intensiv mit der Wiener Klassik beschäftigt, vor allem mit Beethoven. Zum Beethoven-Jahr 2020 hat er die neun Symphonien mit Le Concert des Nations in einer maßstabsetzenden Gesamteinspielung herausgebracht. Seine große Erfahrung zeigt sich jetzt auch live in Salzburg, wo er sein auf ihn eingeschworenes Kollektiv mit Augenmaß durch Beethovens elektrisierende Klangwelten führt. Savall dirigiert mit Stab, mit sparsamen, aber markanten Gesten und formt organische Gesangsbögen, immer im Atem der Musik. Klar folgt er dem – oft rasenden – Puls Beethovens, aber es fällt doch angenehm auf, dass Savall maßvolle Tempi anschlägt, dass er sich Zeit nimmt für die weiträumigen Entwicklungen gerade in der riesig dimensionierten "Eroica". Da klingt nichts verhetzt wie bei manch anderen Kollegen. Und mit Beethovens Metronom-Angaben muss sich sowieso jeder Dirigent, jede Dirigentin individuell auseinandersetzen.
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Im berühmten Trauermarsch hat dann der bekannte Barockoboist Paolo Grazzi seinen klagenden Auftritt. Savall führt sein Orchester durch tragisch zerklüftete Seelenlandschaften in c-Moll, bevor er das Tor zum strahlenden C-Dur aufstößt. Ausgerechnet in die beklemmend zerfallenden Schlusstöne hinein schnarrt wieder mal ein Handy. Nach einem verblüffend flirrenden Scherzo steigert sich das komplexe Finale zu "heroischer" Größe, die bei Savall auch harsch und widerborstig klingt. Die Hörner schmettern unbändig, dass es eine Lust ist. Zu Beginn der Fünften Symphonie von Beethoven haben die drei Hornisten auf ihren historischen Instrumenten dann weniger Glück – bei Naturhörnern ist das Risiko, die richtigen Töne zu treffen, eben viel größer als beim Ventilhorn, das zu Beethovens Zeit gerade erst aufkam.
Jordi Savall und das Originalklang-Ensemble "Le Concert des Nations" überzeugen bei den Salzburger Festspielen mit Symphonien von Beethoven. | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli Aber diese Patzer taten dem grandiosen Eindruck der Fünften mit Le Concert des Nations keinen Abbruch. Wieder gestaltet Savall das hitverdächtige Klopfmotiv zu Beginn prägnant, zwischen dramatischen Schockwellen und strömender Kantabilität entfaltet er die ganze c-Moll-Symphonie. Und wenn das bizarre, düster grummelnde Scherzo à la "Fidelio" direkt ins C-Dur-Finale übergeht, gibt es kein Halten mehr. Savall lässt die beiden Trompeter und die drei Posaunisten aufstehen, lässt sie Beethovens Botschaft wie ein Fanal in den Saal schmettern: Revolution! Sieg! Freiheit! Eine klassische Finalsymphonie auf der Zielgeraden zum triumphalen Abschluss. Aber auch hier "inszeniert" Savall nichts, seine Beethoven-Interpretation hat nichts Manieriertes, Exzentrisches, kommt ganz ohne Übertreibungen und Effekthascherei aus. Imponierend.
Das Erlebnis des atmenden Klangs vermittelt Le Concert des Nations auch beim zweiten Konzert. Jordi Savall entlockt seinen Musikerinnen und Musikern im Kopfsatz der Sechsten Symphonie übermütig kecke, munter aufgekratzte Töne – eben "Angenehme, heitere Empfindungen", wie von Beethoven gewünscht. Dass die Naturstimmungen in der "Pastorale" in Wirklichkeit Seelenstimmungen sind – "mehr Ausdruck der Empfindung als Malerey" schrieb Beethoven vor –, wird in der duftigen "Szene am Bach" deutlich, die mit einem vom Traversflötisten Marc Hantaï angeführten Holzbläser-Vogelkonzert verklingt. Im dritten Satz legt die Truppe einen derb-burschikosen Bauerntanz hin, bevor das orchestrale Gewitter ohrenbetäubend auf die Landleute niederprasselt – stellenweise kann man hier sogar einen Vorgriff auf Wagners "Fliegenden Holländer" heraushören. So plastisch modelliert Savall das alles heraus, um zum guten Schluss Beethovens feierlich-prachtvolles Dankgebet anzustimmen.
Mit einem majestätischen Portal eröffnet Beethoven seine Siebte Symphonie. Gravitätisch klingt das bei Savall, bevor er seine famosen Musikerinnen und Musiker in diese "Apotheose des Tanzes" losstürmen lässt, wie Wagner die Siebte nicht ganz zu Unrecht genannt hat – feiert Beethoven darin doch die Urkraft des Rhythmischen. Das gilt auch für das Trauermarsch-artige Schreiten im sakral getönten Allegretto, das sich unter Savall zu eherner Größe auftürmt. Nach dem lausbübisch-bullig musizierten Scherzo rast im Finale dann endgültig das wilde Heer los, durch nichts und niemanden zu bändigen. Lustvoll haut uns Savall Beethovens Furor um die Ohren. Ja, so könnte Beethoven damals geklungen haben, unerhört neu, rebellisch und visionär. Le Concert des Nations realisiert das alles mit ansteckender Spielfreude und einem starken Gemeinschaftsgefühl. Mittendrin Jordi Savall, eine würdevolle Erscheinung, voller Noblesse und Gelassenheit, alles andere als ein Showtyp. Es ist anrührend, wenn sich alle Musikerinnen und Musiker am Ende mit Savall gemeinsam verbeugen – zum Dank für den begeisterten Applaus, aber vielleicht auch aus Demut vor der Größe dieser Musik. Wo gibt es das sonst?
Sendung: "Allegro" am 10. August 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Dienstag, 15.August, 07:20 Uhr
paul-ludwig voelzing
villegas savall
antwort an herrn villegas: JA!! hier nur ein paar auszüge aus den "benachbarten" kritiken salzburger ereignise: der Italiener am Pult der Wiener Philharmoniker
Erbe der russischen Klaviergötter
dem englischsten aller Barockkomponisten
Schweizer Regisseur Christoph Marthaler
Der deutsche Dirigent war in Salzburg
es sind halt angenehm inhaltslose versatzstücke, die man da verwendet, aber auch nicht ganz ohne probleme. ins "tiefe (oder untiefe) wasser" gerät man, wenn irgendetwas strittig wird. ist händel etwa ein deutscher oder ein englischer komponist? und kant ein königberger philosoph?
Samstag, 12.August, 13:08 Uhr
Sevillano Villegas
Kritik Jordi Savall
Ich hab da mal eine Frage... bezeichnen sie auch andere Persönlichkeiten der Musik nach deren Regionalen Herkunft? Also der Rheinischen Beethonen usw. Ich frage da dies eine kontroverse in Spanien sein könnte und es ist kein Ding zu schreiben der spanische...oder der spanisch/katalanische Komponist . Sonst kommen sie leicht in Regionale "tief Wasser " in die hier niemand rein möchte...danke für ihre Zeit! Mit freundlichen Grüßen
8
Donnerstag, 10.August, 08:51 Uhr
Reinhold Behr
Jordi Savall in Salzburg
Beethoven's reicht über den Erdball hinaus, wie ein großer Dirigent
einst bemerkte. Ich schließe mich diesem an.