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Kritik Yuja Wang und Víkingur Ólafsson Gemeinsame Traumwelten zweier Individualisten

Yuja Wang und Víkingur Ólafsson sind absolute Weltstars am aktuellen Klavierhimmel. Doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Nun touren sie mit einem gemeinsamen, vierhändigen Programm durch Europa – am Sonntag waren sie in der Isarphilharmonie München.

Yuja Wang & Víkingur Ólafsson | Bildquelle: Kirk Edwards / Ari Magg

Bildquelle: Kirk Edwards / Ari Magg

Sie, die Vollblut-Virtuosin aus China, deren Finger nicht höher, nicht schneller und präziser fliegen könnten, bekannt für technische Schwergewichte wie Rachmaninow und Brahms und er, der feingeistige isländische Klangphilosoph, der originelle Bach-Interpret, dessen Spiel von archaischer, vergeistigter melancholischer Innigkeit lebt  – man denke an seine letzten Einspielungen von Bachs Goldberg-Variationen. Genau diese beiden Individualisten sind in der Isarphilharmonie aufeinandergetroffen, mit einem rein vierhändigen Programm. Eine sehr reizvolle Idee, die natürlich viel Publikum anzieht – so war der Abend auch entsprechend ausverkauft.

Die Unterschiede fangen schon einmal mit Äußerlichkeiten an – Ólafsson spielt von Notenheften und trägt einen unaufgeregten dunkelgrünen Anzug – Wang benutzt Tablet und verzichtet auch heute nicht auf ihre farbenfrohen Cocktailkleider und High Heels.

Reiz des Unterschiedes und gemeinsame Vision

Doch als beide anfingen zu spielen, gab es trotz Unterschiede überraschenderweise sehr oft eines: Das Entdecken von Gemeinsamkeiten. So waren da einerseits wunderbare dialogische Stellen bei Rachmaninows "Symphonischen Tänzen", bei denen die Künstler sich gegenseitig immer wieder eine Bühne gaben, ihre eigene Klangschönheit zu präsentierten – Yuja Wangs sehnsüchtig schwebender, agiler pianissimo-Klang – oder Víkingur Olafssons erdiger, durchdringender, elegischer Erzählklang.

Yuja Wang | Bildquelle: Julia Wesely_DG Yuja Wang | Bildquelle: Julia Wesely_DG Andererseits haben sie es geschafft, eine klare, gemeinsame Vision über die durchaus unterschiedlichen Komponisten des Abends zu spannen: Eine gemeinsame Traumwelt der Innigkeit, Lebendigkeit und zarten Klangschönheiten. Auch gab es Momente, bei denen man meinte, es spiele nur eine Pianistin oder ein Pianist – unter anderem dank spieltechnischer Präzision. Beide sind derart großartige Musiker, dass sie sich scheinbar mit Leichtigkeit irgendwo in der Mitte treffen, ohne sich selbst zu verstecken.

Gemeinsame Liebe zur zeitgenössischen Musik

Auf den zweiten Blick haben sie tatsächlich so einige Gemeinsamkeiten: Beide kommen aus Künstlerfamilien, sind in den 1980-ern geboren und haben in den USA studiert. Beide haben keine Scheu vor zeitgenössischen Werken. So gibt es auch in ihrem vierhändigen Programm vor allen größeren Werken kleine zeitgenössische Juwelen, quasi Traumwandlerstücke, mal von Arvo Pärt, mal von John Cage. Beinahe wirkt dann ein Cage harmloser als die mystischen, dunklen "Symphonischen Tänze" von Rachmaninow – sein allerletztes Werk aus dem Jahre 1940 und krönender Abschluss des Abends. Die amerikanischen Komponisten scheinen gar der natürliche gemeinsame Nenner Wangs und Ólafssons zu sein. John Adams dreisätziges Minimal-Music-Werk "Hallelujah Junction" strotzt da nur vor Rhythmik, Schwung und Ekstase.

Hochsensibler Schubert

Vikingur Ólafsson | Bildquelle: Markus Jans Víkingur Ólafsson | Bildquelle: Markus Jans Auch vor der Schubert-Fantasie in f-Moll gab es ein inniges, modernes Werk: das "Wasserklavier" von Luciano Berio. Nahtlos, in derselben Tonart, mit demselben verklärten Träumen beginnt Ólafsson die Schubert f-Moll-Fantasie. Wie ein entfernter, kaum hörbarer Gedanke zaubert Yuja Wang das Thema – fast zu leise für Ólafssons eh schon zarte Stimme. Ein radikaler Ansatz für ein Hauptthema. Über fast 20 Minuten entwickelt sich dieser entfernte Gedanke zu einem Dialog dann zu einem verzweifelten Streit – und bei der Generalpause danach scheint die Zeit stehenzubleiben, bis in tiefschöner Traurigkeit zum allerletzten Mal das Thema kommt. Ein absoluter Gänsehautmomente des Abends. Spannend auch, dass beide für die Fantasie nicht – wie gewöhnlich an einem Flügel – gespielt haben, sondern an zweien. So konnten sie das Pedal unabhängig voneinander benutzen.

Publikumslieblinge und fünf Zugaben

Bei den stolzen fünf Zugaben war die ganze Stimmung im Saal komplett gelöst –  Ólafsson und Wang versprühten reine Spielfreude. Am Ende punkteten sie mit einem Brahms-Walzer, Charme und Witz beim begeisterten Publikum. Insgesamt gab es an diesem Abend keinen einzigen Moment, an dem man weghören wollte. Das Finden von Gemeinsamkeiten und das Zelebrieren des Unterschiedlichen zahlten sich vollends aus. 

Sendung: "Allegro" am 28. Oktober 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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Mittwoch, 30.Oktober, 09:45 Uhr

wolfgang stern

Konzert

Bei waren großartig, hatte Gänsehaut verursacht und sind ein echtes Erlebnis.

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