Fast 90 Jahre ist die letzte Premiere an der Bayerischen Staatsoper her: Gaetano Donizettis "La Fille du régiment" ("Die Regimentstochter") ist in München bislang kein Repertoire-Stück. Eine komische Oper über Standesdünkel: Die Handlung ist lieb, die Gesangspartien sind halsbrecherisch. Der junge Tenor Xabier Anduaga triumphiert in der vokalen Stratosphäre.
Bildquelle: Geoffroy Schied
Muss man das Stück machen? Nein, muss man nicht, aber mit solchen Sängern macht es richtig Spaß. Donizettis "Regimentstochter" war im 19. Jahrhundert ein Garant für volle Häuser, vor allem in Frankreich. Das Pariser Groß- und Kleinbürgertum rannte dieser Opéra-comique die Türen ein. Hier gab es deutlich mehr Tempo als in der hochtrabenden Grand Opéra. Und auch sonst stimmte die Mischung für Bourgeois und Citoyen: Patriotische Gefühle – das Stück spielt in Tirol, während Napoleons Truppen halb Europa überrannt haben. Satirischer Humor – snobistische Adelige machen sich lächerlich. Sentimentale Gefühle – am Ende siegt die Liebe, Tenor kriegt Sopran. Und spektakuläre Stimmakrobatik – die beiden Hauptrollen turnen vokal ganz oben im Zirkuszelt.
BR-KLASSIK hat die die Premiere von Gaetano Donizettis "La Fille du régiment" am 22. Dezember 2024 live aus der Bayerischen Staatsoper übertragen. Den kompletten Opernabend können Sie hier und in der BR Radio App anhören.
Bildquelle: Geoffroy Schied In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gingen die Aufführungszahlen dann etwas runter, jedenfalls in Deutschland. Dass das Stück an der Bayerischen Staatsoper so viele Jahrzehnte lang nicht unbedingt händeringend vermisst wurde, hat wohl auch damit zu tun, dass die meisten Zutaten von Donizettis Erfolgsrezept etwas an Würze verloren haben. Adelskritik? Soldatenromantik? Okay. Ungeschmälert bleiben dagegen die musikalische Frische dieser Partitur und natürlich der Reiz stimmlicher Trapezakte. Und mit so toll besetzen Hauptrollen gehen die zwei Stunden schnell um – trotz einer gewissen Überdosis trottelig auf der Stelle marschierender Soldaten.
Er hat sie. Alle neune: Die hohen Cs meistert Xabier Anduaga souverän, mit Kern und Schmelz und bewundernswerter Leichtigkeit. Der junge spanische Tenor hat 2019 Placido Domingos "Operalia"-Wettbewerb gewonnen und macht seither an Häusern wie der New Yorker MET oder der Wiener Staatsoper Karriere. Für "Ah, mes Amis", die berühmte Cavatine des Tonio, bekommt er stürmischen Applaus. Neun hohe Cs innerhalb von zwei Minuten: Für Luciano Pavarotti war dieses tenorale Showpiece das Sprungbrett zur Weltkarriere. Mit 30 Jahren triumphierte er damit 1966 neben Joan Sutherland in London – der Durchbruch. Xabier Anduaga, gerade Vater geworden, ist erst 29 und gibt sich sympathisch gelassen. "Ah, mes Amis" sei eigentlich das Leichteste für ihn an dieser Partie – schließlich habe er die Arie bei Galas rauf und runter gesungen, jeder Veranstalter wolle sie von ihm hören. Jetzt weiß das Münchner Publikum, warum. Dieser Anduaga hat alles, was es zu einer ganz großen Karriere braucht. Und er hat auch in der hohen Lage so viel Kraft und Körperspannung, dass er sicher bald über das Belcanto-Fach hinausgehen wird. Hoffentlich geht er klug mit seiner phänomenalen Stimme um: Der Star dieses Abends hat das Zeug zum Weltstar.
Hintergrundinformationen zu "La Fille du régiment" finden Sie hier in unserem Vorbericht.
Bildquelle: Geoffroy Schied Pretty Yende in der Titelrolle passt ausgezeichnet dazu. Ihre Koloraturen meistert sie makellos, auch die Spitzentöne sitzen. Doch am schönsten gelingen ihr die lyrischen Abschnitte – wenn sie glaubt, den Geliebten verloren zu haben, wenn die sich Musik eindunkelt und ihr feiner Sopran plötzlich fast samtig klingt. Auch die Nebenrollen sind mit Dorothea Röschmann (Marquise de Berkenfield) und Misha Kiria (Sulpice) stark besetzt. Dirigent Stefano Montanari serviert die Ouvertüre punktgenau und fast überdreht – das Staatsorchester folgt ihm dabei enorm sorgfältig in jedem Detail. Auch als Sängerbegleiter ist Montanari flexibel und aufmerksam. Musikalisch trifft dieser Abend ins Schwarze.
Bildquelle: Geoffroy Schied Szenisch nicht ganz. Regisseur Damiano Michieletto, der vor einem Jahr am gleichen Ort Verdis "Aida" als ambitioniertes Antikriegs-Stück inszeniert hatte, bleibt diesmal arg zahm. Die blendend hell ausgeleuchtete, irgendwie aseptische Bühne wird hinten von einer riesigen Fototapete abgeschlossen. Der verschneite Wald ist sichtbar Illusion. Daraus hätte ein Spiel der Brechungen entstehen können. Doch die Personenführung begnügt sich mit altbackenen Gags: Da kommen hasenfüßige Soldaten beim Exerzieren aus dem Tritt und riesige Rokkoko-Perücken wackeln müde im Takt. Etwas mehr Temperament bringt dankenswerterweise Sunnyi Melles mit: Ihre Sprechrolle als eingebildet-aufgetakelte Duchesse de Krakentorp ersetzt die gesprochenen Dialoge der französischen Urfassung. Ein kluger Schachzug – und wenigstens eine klitzekleine Prise Pfeffer. Aber wegen der Handlung geht man ja ohnehin nicht in dieses Stück.
Sendung: "Allegro" am 23. Dezember 2024 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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