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Kritik "Medea" in Würzburg Amoklauf einer Wutbürgerin

Eine tief enttäuschte Frau mordet sich den Frust vom Leib: Daraus machte der griechische Dichter Euripides eine wegweisende Tragödie, die 1797 von Luigi Cherubini vertont wurde. Am Mainfrankentheater wurde daraus eine begeistert beklatschte Psycho-Studie über Menschen, denen die Ideale abhandenkamen.

Ilia Papandreou (Medea), Herren des Chores und Extrachores in "Medea" am Mainfrankentheater Würzburg | Bildquelle: Nik Schölzel

Bildquelle: Nik Schölzel

Noch mal davongekommen: Als Luigi Cherubinis "Medea" am 13. März 1797 in Paris uraufgeführt wurde, waren alle Zuschauer Überlebende, denn die Terrorherrschaft der Französischen Revolution war gerade überstanden, die Blutgerüste noch in frischer Erinnerung. Es war also nicht mehr weit her mit den hehren Idealen der Revolution, mit Menschenrechten, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Stattdessen war die Zeit der Frust- und Wutbürger gekommen, die Zeit der Abrechnung, was ja sehr an manche Sprüche aus unserer Gegenwart erinnert. Und so steht mit Medea eine Frau auf der Bühne, die als Ausländerin aus Korinth abgeschoben werden soll, weil sie die neue Gemütlichkeit stört, weil sie im Weg steht - ihrem Ex-Mann Jason, dessen neuer Frau Glauke, dem König Kreon, eigentlich allen.

"Medea" verlangt nach Titelheldin mit XXL-Stimme

Aber sie wehrt sich mit einem Amoklauf, der seit der Antike Furore macht und in der französischen Revolutionszeit offenbar mit viel Verständnis rechnen durfte. Um dieses so düstere wie fesselnde Werk auf den Spielplan zu setzen, braucht es eine Titelheldin mit XXL-Stimme und XXL-Ausstrahlung.

Ensemble, Chor und Extrachor des Mainfranken Theaters in "Medea" am Mainfrankentheater Würzburg | Bildquelle: Nik Schölzel Bildquelle: Nik Schölzel Es schien, dass das Würzburger Mainfrankentheater damit Pech hatte, denn die ursprünglich besetzte Sopranistin war kurzfristig erkrankt. Deshalb musste Regisseurin Agnessa Nefjodov schauspielerisch einspringen, während die eilig herbei telefonierte französische Sängerin Claire de Monteil aus dem Orchestergraben sang. Und wie! Sie ließ diese szenische Notlösung schnell vergessen und begeisterte mit ihrem großformatigen Charisma und ihrem unbedingten Gestaltungswillen. Ein packendes Rollenporträt abseits der Bühne.

Regisseurin Nefjodov, eine gebürtige Frankfurterin, und ihr Bühnenbildner Volker Thiele setzten auf Minimalismus. In einem weißen, leeren Raum wird das imposante Goldene Vlies aufgehängt, jene Trophäe, die Jason zum Helden machte, was ihm ohne Medea niemals gelungen wäre. Der Blick fällt also auf die Vergangenheit dieser gescheiterten Beziehung, was furios gedacht und gemacht ist. Zum Ende hin wird der sterile, klinisch saubere Palast zu einem Dreckloch, buchstäblich und im übertragenen Sinne. Medea öffnet ihren privaten Voodoo-Altar und lässt ihre Flüche entweichen. Das sind starke Bilder, die entsprechend viel Begeisterung auslösten, und dass in der eigentlich unwirtlichen Blauen Halle, dem Langzeit-Ausweichquartier des Mainfrankentheaters.

Dirigent Calesso - mit Leidenschaft am Pult

Dirigent Enrico Calesso bewies einmal mehr sein Geschick für das italienische Fach, denn in Würzburg stand nicht die üblicherweise gewählte französische Originalfassung auf dem Spielplan, deshalb heißt die Oper auch "Medea" und nicht "Médée". Calesso singt jede Zeile mit, stumm natürlich, wirft sich leidenschaftlich in jede Kurve der Partitur, als ob er am Steuer eines Rennwagens sitzt.

Milena Arsovska (Glauke), Damen des Chores und Extrachores in "Medea" am Mainfrankentheater Würzburg | Bildquelle: Nik Schölzel Bildquelle: Nik Schölzel Da schlagen die Flammen von Hass und Vernichtungswillen bei Medea furchteinflößend in die Höhe. Diese Wutbürgerin setzt alles aufs Spiel, auch sich selbst, und wie es zu dieser ungebremsten Aggression kommt, dass macht Luigi Cherubini mindestens so nachvollziehbar wie moderne Psychotherapeuten. Insofern ein höchst aktuelles, politisches Werk über Menschen, die von großen Versprechungen die Nase voll haben und sich konsequent an die alte Punker-Devise halten: Macht kaputt, was euch kaputt macht.

Sendung: "Leporello" am 7. Oktober ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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