Sänger oder Sängerinnen in den Intendantenstand zu erheben, ist ein Rezept, das in der österreichischen Festspiellandschaft gut zu funktionieren scheint. Cecilia Bartoli hat es bei den Salzburger Pfingstfestspielen vorgemacht. Genau wie ihr Kollege Rolando Villazon, der als künstlerischer Leiter der dortigen Mozartwoche ebenfalls auf Erfolgskurs liegt. Einreihen möchte sich da aktuell auch Jonas Kaufmann, der seine Intendanz bei den Tiroler Festspielen in Erl nun mit Puccini eröffnet und dem Publikum dafür eine glänzend gesungene "Bohème" unter den Weihnachtsbaum legt.
Bildquelle: Xiomara Bender
Keine Ausgrabung oder Rarität, mit denen Kaufmanns Vorgänger Bernd Loebe oft zu glänzen vermochte. Dafür ein Repertoire-Klassiker, der thematisch auch noch bestens in die Jahreszeit passt. Mit einer durchwegs jungen Besetzung und ohne allzu große szenische Experimente. Ein Statement in mehrfacher Hinsicht. Denn wirkliche Starpower bringt am Ende nur Kaufmann selbst, der sich bei der ersten Premiere seiner Intendanz jedoch vor allem aufs Händeschütteln konzentriert und das Singen lieber der nächsten Generation überlässt.
Im Graben begegnet man dazu mit Asher Fisch passenderweise ebenfalls keinem glamourösen Pultstar, sondern eher einem versierten Kapellmeister, der sich in den Partituren Puccinis bestens auskennt und seinem jungen Ensemble eine solide Basis liefert. Selbst wenn er sich an ein oder zwei Stellen doch mal kurz auch von den entfesselten Klangwogen davontreiben lässt.
Bildquelle: Xiomara Bender Der Chinese Tenor Long Long bringt für den jungen Poeten Rodolfo eine tragfähige Tenorstimme mit, der man bei aller Durchschlagskraft die lyrische Vergangenheit zum Glück ebenso anhört wie der Mimì von Sara Cortolezzi. Dies kommt vor allem dem großen Liebesduett zugute, das die beiden in zartem Pianissimo ausklingen lassen.
Eher leicht besetzt sind auch die übrigen Bohèmiens, mit Tommaso Barea als Marcello oder Jasurbek Khaydarov als Colline. Wodurch von Rodolfos WG-Mitbewohnern diesmal ausgerechnet derjenige im Gedächtnis bleibt, der sonst meist die undankbarste Aufgabe hat. Denn erlöst Liam James Karai hier den Schaunard endlich einmal aus der Rolle des bloßen Stichwortgebers und macht mit seinem agilen Bariton nachdrücklich auf sich aufmerksam. Ähnlich wie Victoria Randem, die ebenfalls über das nötige Rampensau-Gen für eine überzeugende Musetta verfügt.
Bildquelle: Xiomara Bender Was die szenische Umsetzung betrifft, gibt sich der Start in die Ära Kaufmann wie erwartet (und wie angekündigt) volksnah. Die katalanische Regisseurin Bárbara Lluch erzählt die Handlung eng am Text entlang. Wobei ihre Sympathien klar bei der tragischen Heldin Mimì liegen. Sie verfolgt das Geschehen bereits von der ersten Note an aus ihrem Krankenbett am rechten Bühnenrand. Und mit dem verspiegelten Boden, den transparenten Wänden oder surrealistisch wirkenden Projektionen scheint sich hier vieles tatsächlich nur in ihrer Erinnerung abzuspielen. Lluch gelingen da gemeinsam mit Bühnenbildner Alfons Flores und Video-Designerin Mar Flores Flo immer wieder suggestive Bilder. Wenn sich etwa der kühle Raum im Liebesduett des ersten Bildes zu einem Blumenmeer wandelt, das seine musikalische Entsprechung im warm aufblühenden Orchester findet. Oder zu Beginn des dritten Bildes, wenn Chor und Lokalkolorit von der Bühne verbannt werden und die Einsamkeit Mimìs geradezu schmerzlich greifbar wird.
Was daneben weitgehend verpufft, ist leider das weihnachtliche Treiben im Café Momus, wo der von Clara Peluffo Valentini bunt kostümierte Chor meist eher statisch agiert und sich aufs Singen konzentrieren darf. Da wird viel Potenzial und vor allem Fallhöhe verschenkt. Genau wie mit den jugendlichen Alter Egos, denen die von ihrer Krankheit zunehmend gezeichnete Mimì hier immer wieder nachjagen darf. Ein durchaus interessanter Einfall, der am Ende aber weitgehend unaufgelöst bleibt, den Jubel des Premierenpublikums für alle Beteiligten jedoch kaum trübt.
Unterm Strich ein solider auf Nummer sicher gespielter Start für den frisch gebackenen Intendanten Jonas Kaufmann. Ob und wie sein Konzept für die Tiroler Festspiele aufgeht, wird sich aber wohl erst im Sommer 2025 zeigen, wenn neben konzertantem Verdi dann mit Opern von Bartók, Poulenc und George Benjamin doch auch wieder etwas ambitioniertere Kost wartet.
Sendung: "Piazza" am 28. Dezember 2024 um 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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