Mit dem Theater hat er bisher keine Erfahrungen gemacht und ließ sich jetzt auf ein Experiment ein: Der britische Bildhauer und Zeichner Sir Tony Cragg bekam alle wichtigen Auszeichnungen und zählt zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Sein Bühnenbild für Rameaus Barock-Oper überzeugte das Publikum – trotz einiger Selbstzweifel.
Bildquelle: Chrstina Iberl
Es gibt ja sehr theatralische Künstlerpersönlichkeiten, die sich selbst gern inszenieren, die Hof halten und sich auf Effekte verstehen, im Leben und auf der Bühne. Markus Lüpertz gehört zu diesen zweifellos unterhaltsamen Dramatikern der Kunstszene. Er entwarf viel gelobte Ausstattungen für die Theater in Regensburg und Meiningen. Zu diesen Theatralikern gehört der aus Liverpool stammende Bildhauer und Zeichner Tony Cragg nicht. Er hat alle renommierten Preise bekommen, wird weltweit geschätzt, ist fraglos ein Meister seines Fachs. Seine Skulpturen sehen bisweilen aus wie aufgehäufte flache Steine am Strand, wie tanzende Säulen, die jederzeit aus dem Gleichgewicht geraten können. Wer sie näher betrachtet, erkennt von der Seite plötzlich Silhouetten menschlicher Gesichter: Nase, Mund, Kinn. Außerdem lässt sich Cragg gern von der Natur inspirieren: Von Zweigen, Blättern, Dornen, Zellgebilden. Ein hervorragender Beobachter, aber eben kein Selbstdarsteller, kein Mann des schönen Scheins. Insofern wunderte es, dass der berühmte, aber sehr bescheidene und unprätentiöse Brite am Theater Meiningen mit der Ausstattung der Barockoper "Castor et Pollux" von Jean-Philippe Rameau beauftragt wurde. Er selbst war wohl am meisten verblüfft.
"Es ist einfach so, dass Bildhauerei mit Material zu tun hat, mit Gewichten, mit Volumen, die real sind. Tendenziell ist es so, dass sogar eine kleine Skulptur ein paar hundert Kilo wiegt, eine mittlere ein paar Tonnen. Das Theater ist viel oberflächlicher, das hatte ich anfangs gar nicht verstanden", so Cragg gegenüber dem BR: "Man kann auf eine große Bühne keine ganz große Skulptur stellen, weil das die Statik nicht aushält, weil sich die Mitwirkenden dann auf der Bühne nicht bewegen können. Das ist alles sehr, sehr schwierig. Ich war wirklich ein Jahr lang unsicher, ob ich das überhaupt machen sollte."
Bildquelle: Chrstina Iberl
Nun gehört es zum Markenzeichen des Meininger Theaters, immer wieder bekannte Künstler als Bühnenbildner zu verpflichten. Außerdem lenkt es die Aufmerksamkeit auf Stücke, die ansonsten eher zum Randrepertoire gehören, wie eben "Castor et Pollux". Allerdings ist es nicht abwegig, gerade diese Oper mit den Skulpturen von Tony Cragg zu konfrontieren, es geht nämlich um das Pendeln zwischen Diesseits und Jenseits, Himmel, Erde und Unterwelt. Da passt Abstraktion, da waren die wild bewegten Strichzeichnungen von Cragg am Platze: Sie erinnerten teilweise an einen Blick ins Gehirn mit den Tausenden von Nervenfasern, die scheinbar ungeordnet über- und nebeneinanderliegen.
Regisseurin Adriana Altaras hatte sich im Vorfeld mit dem Gedanken abgequält, wie sie Unsterblichkeit darstellen soll, also die Gefilde der griechischen Unterwelt. Sie ließ die Toten in Bademänteln auftreten und sich bei guten Büchern, guten Weinen und guten Spielen furchtbar langweilen, was in der Kulisse von Tony Craggs Skulpturen humorvolle Kontraste ergab. Langsamkeit ist hier Trumpf, schließlich haben alle Beteiligten unter den Augen von Jupiter unendlich viel Zeit.
Insgesamt ein viel beklatschter zweistündiger Barock-Abend (die stark gekürzte Fassung hatte Intendant Jens Neundorff von Enzberg bereits zu seiner Zeit als Dramaturg am Theater Bonn erstellt), zumal Dirigent Christopher Moulds beim etwas staatstragenden und zeremoniellen Rameau kaum Pathos aufkommen ließ. Das flirrte und funkte, das war ein flinker Galopp, auch dank des spielfreudigen Chors und der unbekümmerten Solisten, die nicht in Ehrfurcht erstarrten, allen voran Sara-Maria Saalmann als Phébé, Emma McNairy als Télaire und Tomasz Wija als Pollux.
Bildquelle: Chrstina Iberl
Tony Cragg, der augenzwinkernd betonte, dass er und die quirlige kroatische Regisseurin bei den Proben "völlige Gegensätze" gewesen seien, will es übrigens beim einmaligen Experiment belassen: "Ich habe gewisse Dinge erfahren, während ich das gemacht habe, die ich vielleicht für neue Arbeiten, neue Ideen verwenden kann, also für mich sehe ich eine gewisse Perspektive. Aber ich bin ein freischaffender Künstler, ich habe so viel zu machen, ich habe ganze Bücher voller Skizzen gemacht. Ich bin 75, bald 76 Jahre alt. Ich bin froh, wenn ich das abarbeite, weiß ich schon skizziert habe."
Mehr Informationen zu den Folgevorstellungen und der Inszenierung finden Sie hier.
Sendung: "Allegro" am 24. Februar 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)