Tobias Kratzer zeigt mit seinem "Tannhäuser" auch im vierten Jahr, dass Regietheater sehr wohl zum Bayreuther Publikum passt – wenn es gut gemacht ist.
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Von wegen Regietheater funktioniert nicht beim Bayreuther Publikum. Es muss halt gut gemacht sein. Und das ist Tobias Kratzers Tannhäuser. Er erzählt nun im vierten Jahr lustvoll anarchisch und farbenfroh das Drama eines Clowns und Opernsängers, der mit dem Venusberg bricht – hier ein radikales Performancekollektiv, das Wagners Schrift "die Kunst und die Revolution" wörtlich nimmt, und das im Gegensatz zu Wagners anderer Seite, dem gesellschaftskonformen Bayreuther Festspielhaus steht – die Wartburg in die der Clowns vergebens versucht, zurückzukehren.
Hier funktioniert, was im "Ring" von Valentin Schwarz wohl auch versucht wird: Hier wird Wagners eigene Widersprüchlichkeit vor Augen geführt, hier werden mit den Venus-Gefährten Oskar und Gateau Chocolat neue Figuren etabliert und eine neue Geschichte erzählt, die sich aber perfekt in Wagners Handlung einfügen. Und hier werden aktuelle, gesellschaftliche Fragen aufgeworfen.
Und warum funktioniert das hier und im "Ring" beispielsweise nicht? Weil die Regie hier Ideen und Leitmotive stringent und logisch durchzieht und die Interpretation aus Wagners Werk und seiner Programmatik her entwickelt. Und weil das Regieteam seine Aufgabe sehr ernst nimmt, sich selbst aber nicht all zu sehr.Hier kann man schwelgen, denken, lachen und weinen.
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1. Akt: Le Gateau Chocolat | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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1. Akt: Klaus Florian Vogt (Tannhäuer), Ekaterina Gubanova (Venus) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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1. Akt: Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Ekaterina Gubanova (Venus) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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2. Akt: Ekaterina Gubanova (Venus), Jens-Erik Aasbø (Reinmar von Zweter), Olafur Sigurdarson (Biterolf), Siyabonga Maqungo (Walter von der Vogelweide), Chor der Bayreuther Festspiele, auf dem Podest: Markus Eiche (Wolfram von Eschenbach), Le Gateau Chocolat, Manni Laudenbach (Oskar), Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), ganz rechts: Jorge Rodríguez-Norton (Heinrich der Schreiber) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
Und dafür lässt Dirigentin Natalie Stutzmann reichlich Raum. Sie setzt nicht auf Effekt, nicht darauf, das Publikum mit dem Orchestersound umzumähen. Von Ego keine Spur, sie lässt das Werk sprechen – und das Publikum feiert das mit Standing Ovations. Das habe ich bei einem Graben-Debüt noch nie erlebt. Stutzmann trägt die Sängerinnen und Sänger auf Händen und die genießen das spürbar. Da wäre Ekatarina Gubanova in ihrem dritten Jahr als stimmgewaltige und wütende Venus, die wie immer zeigt, wie viel Spaß ihr auch das "Spiel ohne Ball" macht, wenn sie im 2. Aufzug, in dem die Venus nichts zu singen hat, wild entschlossen mit ihren Gefährten das Festspielhaus stürmt, um Tannhäuser zurück zu holen.
Ihre Antagonistin Elisabeth singt in diesem Jahr Elisabeth Teige und man nimmt ihr Trauma und Verzweiflung absolut ab. Mir hat sie zu viel Tremolo – aber das ist Geschmackssache. Wirklich Klasse sind die Wartburgsänger um Markus Eiche als Wolfram und Günther Groissböck als Landgraf, wobei Siyabonga Maqungo als Walther von der Vogelweide eine echte Entdeckung ist.
BR-KLASSIK hat die Wiederaufnahme des "Tannhäuser" am 28. Juli live aus dem Bayreuther Festspielhaus übertragen. Hier können Sie den kompletten Mitschnitt anhören.
Und dann ist da natürlich Tannhäuser: Klaus Florian Vogt, der für Stephen Gould eingesprungen ist. Keine leichte Aufgabe, schließlich hat Gould der Rolle des tragischen Clowns in dieser Inszenierung von Anfang an seinen Stempel aufgedrückt. Doch Vogt überrascht mit intensivem Schauspiel. Und: wer ihn als strahlenden Stolzing oder Lohengrin im Ohr hat, lernt hier eine ganz neue Facette von ihm kennen: markant, leidenschaftlich rauh und ungestüm. Seine Rom-Erzählung gestaltet er erschütternd und leitet damit das tragische Ende ein, in dem mit dem Suizid Elisabeths deutlich wird, dass es weder romantisch noch erlösend ist, wenn ein Mensch sich zu Tode sorgt.
Zum Schlusschor zeigt Videokünstler Manuel Braun virtuos die Erlösung als Utopie auf der Leinwand: Tannhäuser und Elisabeth haben die Radikalität hinter sich gelassen und sich in der Mitte getroffen, beide tragen ein wenig Clownsschminke im Gesicht und fahren glücklich mit dem Venusmobil in den Sonnenuntergang. Nie war die Tragik der Tannhäuserfigur deutlicher zu spüren: ihm ist der Brückenschlag zwischen den Extremen Venusberg und Wartburg, zwischen radikaler freier und radikaler etablierter Kunst nicht gelungen. Dem Team um Tobias Kratzer aber gelingt genau das. So geht Regietheater!
Sendung: "Piazza" am 29. Juli 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (7)
Dienstag, 08.August, 12:38 Uhr
Dorfrichter Adam
Wartburg/Stefan Simon
Wenn Ihnen die quasi-konzertante Aufführung auf der Wartburg (über deren musikalische Qualitäten zumindest bei meinem ersten und letzten Besuch anno 2016 der Mantel des Schweigens gehüllt werden soll) genügt - bitte schön! Oper ist aber bekanntlich mehr. Ich hatte gestern das Vergnügen, zum dritten Mal die Kratzer-Inszenierung erleben zu dürfen und war einmal mehr begeistert - wie wohl alle im Publikum.
Donnerstag, 03.August, 19:34 Uhr
Stefan Simon
Tannhäuser
Ich erlebe den "Tannhäuser" fast jährlich auf der Wartburg und zwar von Wagner, der nicht ahnen konnte, was eine dekadente und an sich (ver)zweifelnde Gesellschaft aus seinen Werken machen würde. Die Macher leiden wahrscheinlich an ihrer eigenen Mittelmäßigkeit und zerstören daher das Werk eines anderen. Alles kleine Alberichs.
Mittwoch, 02.August, 20:46 Uhr
Dorfrichter Adam
Doris Weber
Wenn Sie bei dieser hochintelligenten und originellen Inszenierung, die das Libretto gerade respektiert, von Dummheit sprechen, fällt mir nur noch das Sprichwort ein: Wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich. Haben Sie sich überhaupt die Mühe gemacht, die Inszenierung zu verstehen und auf die Details zu achten? Oder sind Sie nur Ihren Reflexen erlegen?
Dienstag, 01.August, 00:03 Uhr
Doris Weber
Regietheater?
Was soll das überhaupt sein? Regietheater? Theater ohne Regie geht überhaupt nicht. Aber das was sie hier beweihräuchern mit ihrem PR-Artikel, das ist Verfremdungstheater, Vermessenheit, Dummheit. Schreibt eigene Stücke, wenn ihr die vorhandenen nicht so inszenieren könnt, wie es sich die Komponisten gedacht haben.
Sonntag, 30.Juli, 08:45 Uhr
Dorfrichter Adam
Müller, Peter
Ja, Heinrich der Schreiber blieb auch unerwähnt.
Welches Bild, in das was passen soll, meinen Sie? Ich verstehe nicht.
Samstag, 29.Juli, 17:06 Uhr
Andreas Rühl
Mag sein
Aber die Aussagen zum Ring von Schwarz sind Unfug. Der ist nicht minder stringent inszeniert. Dazu muss man als Rezensent nur einfach mal sein Hirn anstellen und schauen. Dass man beim zweiten mal eine Inszenierung versteht, ist normal. Nur bei einem Kritiker muß ich mehr erwarten als von Buhchaoten aus dem Publikum.
Samstag, 29.Juli, 12:07 Uhr
Müller, Peter
Tannhäuser – Kritik
Ich war drin, und habe auch einen Chor gehört und gesehen. Sie auch? Naja… passt wieder einmal ins Bild.