"The Indian Queen" ist die letzte, unvollendete Oper von Henry Purcell. Das 50-Minuten-Fragment gilt als eine sogenannte Semi-Opera: eine Mischung aus Arien und Chören, Tanzsequenzen und gesprochenem Text. Der Regisseur Peter Sellars hat bereits 2013 gemeinsam mit Dirigent Teodor Currentzis eine neue Fassung zusammengestellt. Dabei wurden geistliche und weltliche Vokalwerke von Purcell ebenso hinzugefügt wie zeitgenössische Texte. Am Montagabend wurde das Werk bei den Salzburger Festspielen konzertant aufgeführt.
Bildquelle: SF/Marco Borrelli
Kritik
Purcells "Indian Queen" in Salzburg
Drei starke Frauen stehen im Zentrum. Sie bestimmen das Bühnengeschehen und bringen Henry Purcells vor fast 330 Jahren entstandene Semi-Opera in einen ungemein aktuellen politischen Kontext.
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Peter Sellars erzählt in seiner Version der „Indian Queen“ keine Liebesgeschichte aus alten Kriegszeiten zwischen Inkas und Azteken. Seine Version spielt ein paar Jahrhunderte später. Es geht um die Eroberung Mittelamerikas durch die Spanier. Purcells Fragment gebliebenes Werk wird bei Sellars und Currentzis durch weitere Purcell-Stücke ergänzt und durch Romanauszüge der nicaraguanischen Autorin Rosario Aguilar. Sie erzählt vom Aufeinandertreffen zwischen spanischen Eroberern und eingeborenen Mayas. Die drei bestimmenden Frauen sind die Häuptlingstochter, also die „Indianerkönigin“, die Ehefrau des Gouverneurs und die Sprecherin, die zwischen Innenperspektive der Protagonistin und Erzählerrolle ihre Perspektive wechselt.
Amira Casar ist eine großartige, fesselnde Erzählerin. Ihre Stimme ist ungemein wandlungsfähig. Sie erkundet psychologische Zwischenräume, verleiht ihrem Erzählton immer wieder fast körperlich erfahrbare Nähe und gestaltet einzelne Worte momentweise energiegeladen, dann wieder zerbrechlich und zart. Sie steht am Rand. Die Musikerinnen und Musiker des Utopia Orchestra und Choir sind mitten auf der breiten Bühne der Felsenreitschule platziert, auf beiden Seiten flankiert von den sieben Sängersolisten.
Andrey Nemzer (Ixbalanqué), Dennis Orellana (Hunahpú), Nicholas Newton (Maya-Schamane), Jeanine De Bique (Teculihuatzin/Doña) | Bildquelle: SF/Marco Borrelli Diese treten immer wieder aus der Gruppe hervor und agieren im Vordergrund, allerdings ohne Kostüm, Bühnenbild oder Tanz. Ein von Peter Sellars sensibel arrangiertes Lichtsetting schafft jedoch eindrucksvolle Intimität im großen Raum, einen wirkungsvollen Fokus. Die Lichtfarben changieren dabei zwischen dunklem Blau und abgestuften Rot-Tönen. Und zu Beginn wird man aus dem abgedunkelten Saal suggestiv mit dumpfen und fremdartig umspielten Schlagzeugtönen in eine fremde Welt entführt und bald mit intensiven Emotionen konfrontiert.
Teodor Currentzis leitet das überwiegend im Stehen spielende Utopia Orchestra und die im Ensemble situierten Sängerinnen und Sänger des hervorragenden Utopia Choir äußerst differenziert und präzise durch all die Kontraste. Er wirkt dabei nicht wie ein autoritär gestikulierender Dirigent, sondern hört genau hin und bleibt den Musizierenden sehr zugewandt, nicht zuletzt den exzellenten Solisten. Jarrett Ott verkörpert mit sauber und distanziert geführter Stimme den kühlen Don Pedro, der nicht zu lieben vermag. Im eindrucksvollen Duett mit Tenor Julian Prégardien wird offensichtlich, dass es den Spaniern hier nur um die Unterdrückung der Mayas ging.
Schließlich fasziniert neben Rachel Redmond die Sopranistin Jeanine De Bique. Sie hat ihre Stimme sowohl in warmer Mittellage bravourös im Griff als auch in strahlender Höhe. Alles ist genau auf den Punkt. So wird dieser Abend ein berührendes und aufwühlendes Erlebnis einer tragisch verpassten Chance, einer zum Scheitern verurteilten Suche nach Integration und Humanität, primär erzählt durch die Stimmen der Frauen. Sie haben in dieser Geschichte eine entscheidende Rolle gespielt, kommen in der Geschichtsschreibung aber so gut wie nicht vor. Dafür aber bei Peter Sellars in dieser konzertanten Festspielaufführung, die kaum jemanden kalt zurücklassen mag.
Sendung: "Allegro" am 1. August 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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