Puccinis titelgebende Operndiva, die eigentlich nur für die Kunst lebt, bekommt es in München mit italienischen Faschisten zu tun. Regisseur Kornél Mundruczó verlegt die Handlung in das Todesjahr des Filmemachers Pier Paolo Pasolini, 1975. Das Konzept erweist sich als "Scheinriese" und wird beklatscht, aber auch heftig ausgebuht.
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Bildquelle: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper
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Von weitem sehen Regieeinfälle manchmal richtig überzeugend aus, die bei näherer Betrachtung leider überhaupt nicht funktionieren. Das sind "Scheinriesen", um mit Lukas, dem Lokomotivführer zu sprechen. Ein Beispiel dafür lieferte jetzt der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó an der Bayerischen Staatsoper: Natürlich wäre es höchst spannend gewesen, Puccinis "Tosca" im italienischen Faschismus am Ende des Krieges spielen zu lassen.
Sicher wäre da auch der unvergessene Filmemacher Pier Paolo Pasolini eine wegweisende Inspirationsquelle gewesen, mit seinem letzten Meisterwerk, "Die 120 Tage von Sodom". Dort beschrieb Pasolini die ganze Verkommenheit des italienischen Großbürgertums, all die Perversionen der Autoritäten von Kirche und Staat, die sich mit dem rücksichtslosen Führerstaat gemein gemacht hatten. In "Tosca" geht es ja ebenfalls um eine Diktatur, die sich mit Kunst schmückt, aber mit Folter und Mord an der Macht hält. Hätte also plausibel sein können, Pasolini mit Puccini zu überblenden.
Hier können Sie die Premiere der "Tosca" an der Bayerischen Staatsoper 30 Tage lang nachhören.
Tatsächlich lässt Regisseur Mundruczó seine Interpretation der "Tosca" bei den Dreharbeiten zu den "120 Tagen von Sodom" beginnen: Splitternackte Opfer werden von faschistischen Soldaten auf die Bühne geführt, was bereits die ersten Unmutsäußerungen im Publikum auslöst. Doch dann stellt sich schnell heraus: Mundruczó und sein Team verlegen die "Tosca" in das letzte Lebensjahr von Pasolini, 1975, als Italien nun wirklich nicht mehr faschistisch war, sondern mit den linksterroristischen "Roten Brigaden" rang.
"Tosca" an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Wilfried Hösl Das war etwas viel Überblendung, historisch unpassend, und ging leider überhaupt nicht auf. Dazu kommt: "Tosca" ist eine der ganz wenigen Opern, die an einem ganz konkreten Kalendertag festzumachen sind, nämlich der Nacht vom 17. auf den 18. Juni im Jahr 1800, als Napoleon bei Marengo die Österreicher besiegte und damit die Revolution über die Restauration triumphierte. Im Hintergrund geht es also um eine siegreiche Utopie, im Vordergrund um die Tragik der letzten Opfer der Diktatur. Nichts davon war in der Bayerischen Staatsoper zu sehen, dafür viel Blut, viel Macho-Gehabe, viel leere Faschismus-Symbolik und der hohle Glanz des Art Deco, der betörend sterilen Kunst der Dreißigerjahre. Schade, dass vor allem optischer Wirrwarr blieb.
Lesen Sie hier, was sich über Puccinis Opern zu wissen lohnt
Immerhin: Tosca sprang am Ende mal wieder leibhaftig in den Abgrund, was angesichts der Aufführungstradition unfreiwillig komisch wirkte. Emotional anrührend war diese Inszenierung nicht einen Moment, und das bei Puccini, dem unangefochtenen Meister-Gondoliere auf allen Tränenkanälen. Das lag allerdings auch an dem äußerst fahrigen, teilweise ausgebuhten Dirigat von Andrea Battistoni, der wild und ausladend gestikulierte, aber wenig Feuer entfachte. Charles Castronovo als Mario Cavaradossi blieb stimmlich wie schauspielerisch farblos und bekam allenfalls Pflichtbeifall. Eleonora Buratto in der Titelrolle füllte mit ihrem Sopran mühelos den Raum, aber Wärme verströmte sie nicht. Innere Anteilnahme blieb sie schuldig.
Überzeugend dagegen das Rollenporträt des französischen Baritons Ludovic Tézier als Bösewicht Scarpia. Da stimmte die kleinste Geste und auch das scheinbar harmlose Parlando, mit dem er seine Opfer umgarnt. Insgesamt eine höchst umstrittene "Tosca", die allerdings mit ihrer aufwändigen Ausstattung von Monika Pormale unbedingt diskussionswürdig ist. Der sprichwörtlich gewordene "Diskrete Charme der Bourgeoisie", 1972 von Luis Buñuel beeindruckend verfilmt, ist immer wieder die Mühe der Aufarbeitung wert. Sonst überwältigt er uns.
Sendung: "Allegro" am 21. Mai 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (17)
Donnerstag, 06.Juni, 22:55 Uhr
Michael Jeleff
Kritik
Sie sind nicht einmal in der Lage das richtige Datum der Premiere zu schreiben, geschweige denn eine, der ausgezeichneten Aufführung entsprechende Beurteilung abzugeben. Die stimmlichen Leistungen der 3 Hauptakteure wurden vom heutigen Publikum frenetisch bejubelt. Die Jungblut Kritik zu lesen, war den Zeitaufwand nicht wert. Resumee: das Opernstück Tosca besuchen und sich selbst ein Bild machen.
Samstag, 01.Juni, 18:26 Uhr
fristra
Tosca am 29.05. im Nationaltheater
Die Kritik trifft nicht in Gänze zu und wirkt teilweise überzogen.
Ja, der 1. Akt war in seiner inszenatorischen Überfülle verwirrend und die Material- und Statistenschlacht eines mit allem Geld der Welt gesegneten Hauses. Schon gegen Ende des 1. Aktes nahm die Aufführung mit Ludovic Teziers Arie und prächtig einstimmendem Chor (Tre sbirri...) gut Fahrt auf. Noch viele Buhs nach dem 1. Akt, am Ende dann kein einziges mehr. Sängerisch waren alle drei Hauptdarsteller voll auf der Höhe, Tezier zudem schauspielerisch fulminant. Dirigat und Musik wurden zum Schluss mit reichlich Beifall bedacht. Immer mehr komme ich zu der Überzeugung, dass es nichts bringt, vor dem eigenen Besuch der Aufführung nicht selten tendenziöse Rezensionen zu lesen.
Fazit: Volles Einverständnis mit Akt 2 und 3 und Versuch, durch erneutes Anschauen der Oper auch Akt 1 besser zu verstehen.
Montag, 27.Mai, 17:04 Uhr
G. Trotzek
Tosca im National-Theater am 23.5.24
Die Handlungs-Beschreibung ist sehr gut, hat aber keine Ähnlichkeit mit dem Geschehen, das es auf der Bühne zu sehen gibt. Der Maler wird darin zum sexistischen Anstreicher.
Wie ist es wohl möglich, dass Tosca an dem roten Klecks auf der Leinwand das Gesicht der Gräfin Attavanti erkennt und eifersüchtig wird?
Die nackten Damen werden grob mit roter Farbe am Kopf, den Brüsten, den Armen und Beinen zu beschmiert und an die Leinwand zu gedrückt. Das ist das Bild der Maria, das Cavaranossi gemalt hat ! Derartigen Schund hab ich noch nie auf der Opernbühne gesehen. Was ist das für ein Niveau?
Montag, 27.Mai, 13:14 Uhr
Kerstin Kölle
Klimaproteste
Ich war in der Vorstellung am 23. 5.. Gehört habe ich auf jeden Fall Tosca, was ich gesehen habe, kann ich leider nicht so genau sagen. Auf jeden Fall scheint es Klimaproteste gegeben zu haben, denn Kostüme und Kulissen waren reichlich mit roter Farbe besprüht.
Sonntag, 26.Mai, 23:38 Uhr
Schmidt
Inszenierung Tosca
Buh... Sowas von daneben, wie kann die Staatsoper zulassen dass solch eine bodenlos schlechte Inszenierung (Sch..) zur Aufführung kommt. So verärgert man das zahlende Publikum!!!
Sonntag, 26.Mai, 20:49 Uhr
Rego
Eine persönliche Beleidigung für jeden Zuschauer
Am 26.05 habe ich die Vorstellung besucht und habe noch nie eine so umfassend negative Reaktion des Publikums erlebt - und das obwohl die musikalische Leistung gut war. Verhaltener Applaus wurde von lautstarken Buhrufen überschattet- der Regisseur hatte es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Menschen gegen sich aufzubringen und das Stück maximal zu entheiligen. Schändlich.
Freitag, 24.Mai, 11:28 Uhr
Waibel
Tosca eine Frechheit
Die Musik und der Gesang waren gut . Aber die Inszenierung zu beschreibne müsste Ich WOrte gebrauchen, die mir meine Eltern verboten haben zu gebrauchen. Ich kann hierfür nichts positives finden und die positive Beurteilung nicht glauben. ein Filemmacher kam da nicht vor und hat auch nix darin zu suchen.
Freitag, 24.Mai, 09:57 Uhr
Lena
Tosca am 22.05
Ich fand das sehr stimmig und einfach großartig! Das Orchster, die Hauptdarsreller und das Bühnenbild - alles großartig! Sehr bewegend! Alles war einfach genial!
Kann die schlechte Kritik überhaupt nicht nachvollziehen.
Eine der besten Inszenierungen von Tosca überhaupt.
Donnerstag, 23.Mai, 12:02 Uhr
Barboncino
Tosca
Mundruczo lieferte schon heuer an der Staatsoper Unter den Linden eine Rusalka ab,die eine Frechheit war. Das Lied an den Mond wurde aus der Badewanne gesungen und im letzten Akt bewegte sich Rusalka mit einem fünf Meter langen Schwanz kriechend auf dem Boden herum. Man fragt sich allen Ernstes, weshalb Sängerinnen und Sänger einen derartigen Schwachsinn mitmachen. Die Münchner Tosca reiht sich offensichtlich in diesen Unsinn ein. Warum wird derartigen Regisseuren immer wieder ein Bühne für ihre Selbstdarstellung gegeben ?Streicht endlich die aus Steuermitteln finanzierten Subventionen (wie in Italien),damit wieder der Geschack der Mehrheit des Publikums im Mittelpunkt steht und nicht das Ego eines Regisseurs.
Mittwoch, 22.Mai, 17:45 Uhr
Thomas Schindler
Tosca (Bayerische Staatsoper)
Ich dachte, TOSCA spielt auf der Meisterschaftsfeier des FC Bayern München, weshalb die Premiere verschoben wurde.
An die verehrten Mit-Kommentatoren: Sie müssen nicht in die Oper gehen. Man kann sich darüber ärgern, ist dazu aber nicht verpflichtet.
Trotzdem: Ich kann schon verstehen, dass man vieles nicht sehen will. Mir geht's da auch nicht viel anders. Also: Vorher informieren!
Mittwoch, 22.Mai, 12:13 Uhr
Thomas Locher
Tosca
Warum "verhundst" man diese wunderbare Oper mit dieser neuen Inszenierung und provoziert damit das Opernpublikum, das zunehmend die Freude an der Bayerischen Staatsoper verliert !! Giuditta war doch Beispiel genug, dass viele Opernbesucher die Vorstellung vorzeitig verliessen.
Dienstag, 21.Mai, 22:26 Uhr
Karsten Sandleben
Geklaut
Ich schätze mal der Regisseur war 2014 in Bonn und hat dort die Tosca von Philip Kochheim gesehen.
Der hatte die Idee mit Pasolini nämlich damals schon...
Dienstag, 21.Mai, 17:52 Uhr
Hermann Feser
Egomanen
Die heutigen Regisseure sind durch die Bank weg Egomanen: allein ihre versponnenen Idee werden umgesetzt - von Werktreue haben sie noch nie gehört. Bevor ich mit noch einmal so eine Aufführung antue, höre ich mir die Premiere auf BR-Klassik an und muss mich nicht ärgern.
Die Sänger waren vorwiegend ausgezeichnet.
Dienstag, 21.Mai, 17:46 Uhr
Ilse Späth
Tosca
Dieser Kritik stimme ich voll und ganz zu.
Ich war früher sehr oft und gerne in der Bayerischen Staatsoper. Heute möchte ich diese herrlichen Opern nur noch im Radio hören.
Diese Inszenierungen haben mit dem Inhalt der jeweiligen Oper nichts mehr zu tun. Ich würde mir wünschen, dass die Sänger und Dirigenten sich weigern, solch verfremdete Aufführungen zu singen und dirigieren!
Das wichtigste bei einer Oper sollte doch die Musik sein. 4
Dienstag, 21.Mai, 12:16 Uhr
Werner Müller
War Kritiker anwesend?
Man möchte meinen, dass der Kritiker gestern - wie so oft bei seinen Bemerkungen auch zu anderen Stücken - nicht im Saal war. Durchgehend rauschender Beifall für alle Beteiligten (!), wenige Buhrufe für den Regisseur, die vom Beifall schnell überblendet wurden. Übrigens entsprechend gut in BR Klassik zu hören und Resonanz gut moderiert. Beifallstürme gegen einen wohl vorbereiteten und von der Realität eingeholten Kommentierung eines immer mehr zum Dauer-Nörgler mutierenden Kommentators.
Dienstag, 21.Mai, 09:32 Uhr
Alexander Waldherr
Premiere Tosca 20.05.24
Eine in meinen Augen ziemlich treffende Kritik.
Zu ergänzen sind die unzähligen Regiefehler (laufende Abweichungen in Situation und Personenregie vom Libretto, das hier ja wie ein Drehbuch mit Regieanweisungen verstanden werden kann).
Mundruczo ist von seiner Idee (Cavaradossi als Pasolini) mehr angetan gewesen als von der Oper Tosca.
Es müsste andersherum sein: Verständnis für das und Respekt vor dem Werk von Puccini (und seiner beiden Librettisten), und dem eine eigene Idee der Umsetzung beifügend.
Vor allem ist im ersten Akt zu viel Unruhe auf der Bühne gewesen.
Nach der Pause sind Dirigat wie Sänger durch die Bank besser geworden.
Dienstag, 21.Mai, 09:09 Uhr
Asita Salemi
Tosca
Sehr geehrter Herr Kritiker. Haben Sie eventuell die großartige Toscaaufführung garnicht angesehen? Klingt jedenfalls so.
Das Dirigat wurde nicht ausgebuht, die Sängerin zurecht frenetischst gefeiert.
Und auch ansonsten war es vermutlich einigen Leuten aus dem Publikum nicht Recht vielleicht sogar mit der unangenehmen Realität unserer jetzigen Zeit konfrontiert zu sein. Ich fand die Entscheidung des Regisseurs sehr feinsinnig, und ich glaube die meisten im Publikum waren zutiefst berührt. Großes Lob an ALLE Beteiligten, diese Aufführung sollte man nicht verpassen!