Der Sängerkrieg auf der Wartburg als Außenseiter-Drama im Amerika zu Beginn der 60er-Jahre: Regisseur Matthew Wild zeigt einen schwulen Künstler, der an seiner Neigung zugrunde geht, was keineswegs ausschließlich die Schuld der Gesellschaft ist. Das ist spannend, zeitgemäß und musikalisch elektrisierend.
Bildquelle: © Barbara Aumüller
Kritik
"Tannhäuser" an der Oper Frankfurt
Von der Männerliebe hatte Richard Wagner eine hohe Meinung, was nicht weiter verwundert: Er sah sich ja selbst als Außenseiter und hatte ein Herz für alle anderen. Insofern machte es Sinn, dass der südafrikanische Regisseur Matthew Wild seinen Tannhäuser als verzweifelten Homosexuellen zeigte, der es an einer katholischen Universität irgendwo in Amerika im Jahr 1961 nicht gerade leicht hat. Zwar hat dieser Heinrich von Ofterdingen, wie er bürgerlich heißt, einen preisgekrönten Roman geschrieben, wird von seinen überwiegend weiblichen Fans zunächst umschwärmt, doch als er seine sexuelle Begierde im Hörsaal nicht mehr beherrschen kann und spontan einen jungen Studenten küsst, ist der Skandal perfekt und die Karriere beendet.
Wäre natürlich auch heute noch so, denn ein derartiger sexueller Übergriff geht gar nicht, schon gar nicht gegenüber Schwächeren. Insofern hat es Matthew Wild geschickt verstanden, es nicht bei einer 60er-Jahre-Satire mit Turmfrisuren, Polyester-Hosen, schmalen Schlipsen und Hornbrillen zu belassen, sondern diesem Tannhäuser eine durchaus zeitgemäße Bedrohlichkeit zu geben: Ja, dieser Mann hat Probleme und macht Probleme. Bühnenbildner Herbert Barz-Murauer und Kostümdesignerin Raphaela Rose orientieren sich an Klassikern der homoerotischen Kunst: Die Bilder erinnern teils an Thomas Manns berühmte Novelle vom "Tod in Venedig", die Faune und Lustknaben an Motive von Malern wie Caravaggio. Eine Kulturgeschichte der Homosexualität, die ein bisschen altbacken wirkt, aber das verstanden die Zeitgenossen in den Sechzigern wohl unter schwulen Bildwelten.
Romantische Oper in drei Aufzügen
Text und Musik: Richard Wagner
Uraufführung 1845, Hoftheater Dresden / Erstaufführung der Wiener Fassung 1875
In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
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Bildquelle: Barbara Aumüller Obwohl diesbezüglich optisch leicht angejahrt, geht das Konzept hervorragend auf. Tannhäuser endet bei den Schlaftabletten, seine verschmähte Elisabeth schreibt über ihre Erfahrungen ein Buch und wird dafür Jahre später gefeiert. Das ist spannend anzusehen, opulent ausgestattet, sehr gekonnt ausgeleuchtet, von den als Statisten eingesetzten Tänzern fantasiereich und verführerisch dargestellt, kurz und gut: Unterhaltsam, und zwar auf einem Niveau, das einer Wagner-Oper angemessen ist.
Der aus Dachau gebürtige, erst 31 Jahre junge Dirigent Thomas Guggeis wuppt die Partitur mit wahrhaft elektrisierender Energie: Wie oft schleppt sich das Bacchanal zum Auftakt in anderen Aufführungen unfreiwillig komisch dahin – hier reißt es mit, hier ist es so sinnlich, dass es den Auftritt der Liebesgöttin Venus wirklich ziert – eine Göttin, die hier mit Totenschädel erscheint, weil sie dem Außenseiter den sicheren Untergang verheißt. Dshamilja Kaiser macht das stimmlich wie schauspielerisch ausgezeichnet. Marco Jentzsch in der Titelrolle beweist die nötige Kondition, ist szenisch absolut glaubwürdig, stimmlich allerdings streckenweise zu wenig emotional. Das gilt auch für den slowenischen Bariton Domen Križaj als Wolfram von Eschenbach. Publikumslieblinge waren der herrlich sonore Andreas Bauer Kanabas als Landgraf Hermann und Christina Nilsson als ergreifende Elisabeth. Insgesamt eine höchst achtbare "Tannhäuser"-Deutung, die einmal mehr klarmachte: In Kulturkämpfen gibt es keinen Waffenstillstand, allenfalls Feuerpausen. Eine Gesellschaft ganz ohne Außenseiter wäre ein Fall für die Kunstreligion.
Sendung: "Allegro" am 29. April 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (5)
Montag, 13.Mai, 11:39 Uhr
Fred Keller
Tannhäuser - Hörsaal
Hörsaal gabs seinerzeit auch beim Palestrina - Harry Kupfer, aber keine Küsse, nur Bussi Bussi Umarmungen.
Dienstag, 30.April, 09:30 Uhr
Barboncino
Schwule Küsse
August 2003 Thannhäuser auf den grünen Hügel mit Thielemann und Arlaud. Ein Gustostückerl vom Feinsten. Soll ich mir die herrliche Erinnerung daran durch heutige Schrottinszenierungen verderben ?Wenn ja, wäre ich zu recht entmündigungsreif.
Montag, 29.April, 13:16 Uhr
Konrad
Das hört sich alles sehr spannend an und ist offensichtlich auf der Bühne auch sehr gut umgesetzt. Was ich allerdings nicht verstehe: warum spielt man dazu die Musik von Wagners Tannhäuser?
Montag, 29.April, 11:52 Uhr
Alexaner Störzel
"Schwule Küsse im Hörsaal"
Bitte mir eine Stelle in der Dichtung (Text) zeigen, aus der hervorgeht, dass die Titelfigur homosexuell ist.
Warum war er dann im Venusberg-sie verkörpert die weibliche Sinnlichkeit, ist keine Prostituierte, sonst müsste sie von "Tannhäuser" bezahlt werden - mit schwul hat dies Alles überhaupt nichts zu tun.
Bei dem Namen Elisabeth erwacht er zu nuer Lebensfreude, nicht bei Wolfram, den er als
sehr guten Freund begrüßt, der aber ebenso in Elisabeth verliebt ist und "Tannhäuser" gerade deshalb eine Chance geben will.
Am Ende wird "Tannhäuser" durch deren Tod erlöst - befreit.
Es geht um die Diskrepanz zwischen dem ausleben der Sexualität und tiefem Gottesglauben und wir diese überwinden können.
Dies ist jedenfalls meine Interpretation, die mit der Regie von Matthew Wild absolut nicht konform geht.
Montag, 29.April, 09:47 Uhr
trappe
widerwärtig
Missbrauch des Titels und großen Werkes Tannhäuser, das man heute medial en vogue anpasst. Regisseure und Intendanten wollen sich hervortun, indem sie aktuelle Themen bringen. Aber eine Entfremdung des Stückes stellt einen Missbrauch dar, weil es der Idee des Tannhäusers widerspricht.