Gustavo Dudamel, Asmik Grigorian und die Wiener Philhamoniker: Dieses Line Up muss man erstmal toppen. In Salzburg tischten sie zwei Strauss-Klassiker auf: "Vier letzte Lieder" und die "Alpensymphonie". Unser Kritiker war dabei.
Bildquelle: © Astrid Ackermann
Handeln die "Vier letzten Lieder" von Richard Strauss tatsächlich von den letzten Dingen? Zumindest der einleitende "Frühling" kommt in den Versen von Hermann Hesse als "selige Gegenwart" daher. Euphorisch begrüßt Publikumsliebling Asmik Girgorian den Frühling, überschäumend in der flutenden Fülle ihrer kostbaren Sopranstimme. Mühelos bewältigt sie die Strauss’schen Höhenflüge, lustvoll legt sie sich in seine weitgespannten Kantilenen. Aber der Zyklus der "Vier letzten Lieder" geht in der Anordnung des Verlegers Ernst Roth von außen nach innen, von Hesses poetischen Naturbetrachtungen zu Joseph von Eichendorffs Seelenerkundungen: "Ist dies etwa der Tod?"
Das komplette Konzert mit Asmik Grigorian und den Wiener Philharmonikern unter Gustavo Dudamel hier anschauen.
Mit dieser Reise ins Innere indes tut sich Asmik Grigorian schwer. Nach wie vor fremdelt sie mit der deutschen Sprache, man versteht kaum ein Wort, die harten Konsonanten fehlen völlig. Im Vergleich zu ihrem Münchner Auftritt mit demselben Zyklus vor einem Jahr hat sich ihre Interpretation nicht wesentlich verändert. Vertieft oder gereift wirkt das nicht. Erstaunlich eigentlich, weil sie die "Vier letzten Lieder" doch gerade auf CD herausgebracht hat, gekoppelt mit der Klavierfassung – mit dem Salzburger Festspiel-Intendanten Markus Hinterhäuser an ihrer Seite.
Aber allzu kompakt klingt ihre volltönende Stimme, die sie zu wenig moduliert. Zwar kann sie auch Piano, etwa in den letzten beiden Zeilen von Hesses "September": "Langsam tut er die müdgewordnen Augen zu." Selbst im letzten Lied, dem lebensmüden "Abendrot", hat der Zyklus bei Asmik Grigorian so gar nichts Morbides – zu vordergründig, diesseitig, ja geheimnislos wirken die "Vier letzten Lieder" bei ihr, zumal die Wiener Philharmoniker unter Gustavo Dudamel zwar klangschön, aber eher beiläufig begleiten. Auch wenn der Konzertmeister Volkhard Steude traumhafte Violin-Kantilenen hinzaubert.
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Ganz anders der Eindruck nach der Pause, wenn Gustavo Dudamel die monströse "Alpensinfonie" von Strauss dirigiert. Allein die gigantomane Orchesterbesetzung auf der Breitwandbühne des Großen Festspielhauses ist imposant, ja furchteinflößend. Und das Fürchten lehrt uns Strauss ja durchaus in seinem letzten Tongemälde, wenn er auf den Gipfelstürmer ein ohrenbetäubendes Gewitter niederprasseln lässt. Da steckt schon auch ein Stück von Nietzsches "Antichrist" drin – so nämlich wollte Strauss seine "Alpensinfonie" ursprünglich nennen. Wie in Debussys "La mer" führt uns Strauss in seiner Tondichtung auch die Bedrohung der menschlichen Existenz durch die Naturgewalten vor Ohren.
Nicht nur darin wirkt die Riesenpartitur modern, die mit einer absteigenden b-Moll-Tonleiter im 20-fach geteilten Streicherklang beginnt und endet – die herabsinkende Nacht wird da hörbar. Die so entstehenden, ungeahnten Clusterbildungen und Hallräume haben sogar den Neutöner Helmut Lachenmann fasziniert. Dudamel kostet diese kühnen Klangwirkungen suggestiv aus, bevor er den Bergsteiger zu Tagesbeginn forschen Schrittes zum Aufstieg antreibt. Imponierend, wie Dudamel, der alles auswendig dirigiert, selbst im größten Getümmel den Überblick behält und den Klang des Riesenorchesters klar strukturiert, den auch eine (hier digitale) Orgel archaisch grundiert.
Mit Vollgas geht’s auf den Gipfel. Im Sturmgewitter lässt es Dudamel mit heulenden Windmaschinen und Donnerblech-Krawall ordentlich krachen – da übertreibt er ein wenig, aber das sei seinem südamerikanischen Temperament verziehen. Ganz großes Kino ist das, dieser opulente Soundtrack zwischen Kuhglocken-Idylle und Thriller-Spannung, den Dudamel da auftischt – damit kennt er sich aus, hat er doch schon viel Filmmusik produziert.
Und die Wiener Philharmoniker bieten an diesem Vormittag ihre ganze Strauss-Brillanz auf, ihren sagenhaften Streichersound und ihre nie roh auftrumpfende Klangkultur. Das Publikum goutiert dieses Kulinariker-Programm für verwöhnte Festspielgäste mit stehenden Ovationen. Etwas erschlagen von den Orchesterfluten verlässt man das Große Festspielhaus – und sehnt sich an diesem glühend heißen Tag in Salzburg fast nach einem Gewitter.
Sendung: "Allegro" am 26. August ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (8)
Donnerstag, 29.August, 17:45 Uhr
Hans Sachs
Herkunftsbezüge und Analogieschlüsse
"...aber das kann man ihm angesichts seines südamerikanischen Temperaments verzeihen."
War das ironisch gemeint oder schlägt man da etwa wieder in die Kerbe, dass letztlich nur ein deutscher oder österreichischer Dirigent, das Werk Richard Strauss' zu wahren Höhen (jenseits des orchestralen Lärms) führen kann?
"Großes Kino [...] - davon kennt er sich aus, er hat schon viel Filmmusik produziert."
In den Slazburger Nachrichten stand gar, dass Strauss ein bisschen "Star Wars" vertrüge.
Was sollen diese ewigen Herkunftsbezüge und Analogieschlüsse?
Mittwoch, 28.August, 18:49 Uhr
PUBBLICO SENZA BIGLIETTO
Dabei sein ist alles!
Für alle, die kein Ticket mehr ergattern konnten, hier zum Nacherleben die Video-Aufzeichnung vom 25.08.2024 in der Arte-Mediathek:
https://www.arte.tv/de/videos/120502-000-A/strauss-mit-asmik-grigorian-und-gustavo-dudamel
In Kürze wohl auch auf BR-KLASSIK ...
Mittwoch, 28.August, 18:25 Uhr
Klaus Thiel
Strauss-Konzert Salzburg
Den Fakten des Rezensenten habe ich nichts entgegenzusetzen, aber was mich verblüfft hat: Asmik Grigorian, die die "Vier letzten Lieder" doch nun wirklich nicht zum ersten Mal sang, brauchte die Noten - hier in Form eines iPads, dem sie auch intensiv zusprach !
Oder war das eine optische Täuschung ?
Meine Favoritin mit diesen Liedern ist übrigens Anja Harteros, aus München und unter Mariss Jansons...
Dienstag, 27.August, 12:30 Uhr
Hugo Zsolnai
Vier letzte Lieder
Vorerst ein ehrliches Lob für die sehr professionelle Kritik.
Ein wunderschönes Konzert. Gut dirigiert. Wären da nicht die vier letzten Lieder gewesen. Dieses Werk muss man sich von Jessye Norman anhören um seine Schönheit zu genießen. Die hervorragende Sopranistin war hier fehl am Platz
Zu der Kritik ist nichts hinzuzufügen. Brillant.
Montag, 26.August, 20:06 Uhr
Alkor
Vier letzte Lieder
Thema vollkommen verfehlt. Das haben die vier letzten (!) Lieder nicht verdient. Und die Wiener konnten es zum Weinen ergreifend, Böhm/dellaCasa, 1953. Sehr schade gestern diese laute Belanglosigkeit, abgesehen von der Sprache.
Montag, 26.August, 19:49 Uhr
Walter Gufler
Alpensymphonie
A propos Antichrist:
Ich höre hier klar die Melodie des
Kirchenliedes " heiliges Kreuz sei hoch verehret" heraus, das in Tirol und wahrscheinlich auch in Bayern in der Karwoche gesungen wird.
Montag, 26.August, 10:27 Uhr
Irma Spielauer
Es ist schrecklich wenn man auch den Text kennt aber trotztem verstehen möchte
Sonntag, 25.August, 22:59 Uhr
Hubert
Etwas unklar
Der Kritiker drückt sich bezüglich des versteckten philosophischen Programms der "Alpensinfonie" etwas missverständlich aus.
Der "Antichrist" ist bei Strauss - ebenso wie bei Nietzsche - ein positiv konnotierter Begriff! Deshalb wird dieser provozierende Begriff nicht wegen des tongemalten bedrohlichen Gewitters von Strauss ins Spiel gebracht, wie von Herrn Leipold angedeutet, sondern wegen der (angeblichen) Überwindung dieser Bedrohung aus eigener Kraft und eben nicht aus göttlicher Gnade.
Folgendes Zitat ist da eindeutig: "Ich will meine Alpensinfonie: den Antichrist nennen, als da ist: sittliche Reinigung aus eigener Kraft, Befreiung durch die Arbeit, Anbetung der ewigen herrlichen Natur."
Man muss freilich diese Auffassung nicht teilen, um diese Komposition genießen zu können...