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Kritik - Wiener Philharmoniker in Salzburg Strauss only

Gustavo Dudamel, Asmik Grigorian und die Wiener Philhamoniker: Dieses Line Up muss man erstmal toppen. In Salzburg tischten sie zwei Strauss-Klassiker auf: "Vier letzte Lieder" und die "Alpensymphonie". Unser Kritiker war dabei.

Gustavo Dudamel beim BRSO, 23.10.2020 | Bildquelle: © Astrid Ackermann

Bildquelle: © Astrid Ackermann

Handeln die "Vier letzten Lieder" von Richard Strauss tatsächlich von den letzten Dingen? Zumindest der einleitende "Frühling" kommt in den Versen von Hermann Hesse als "selige Gegenwart" daher. Euphorisch begrüßt Publikumsliebling Asmik Girgorian den Frühling, überschäumend in der flutenden Fülle ihrer kostbaren Sopranstimme. Mühelos kostet sie die Strauss’schen Höhenflüge aus, lustvoll legt sie sich in seine weitgespannten Kantilenen. Aber der Zyklus der "Vier letzten Lieder" geht in der Anordnung des Verlegers Ernst Roth von außen nach innen, von Hesses poetischen Naturbetrachtungen zu Joseph von Eichendorffs Seelenerkundungen: "Ist dies etwa der Tod?"

Grigorian tut sich mit dem Deutschen schwer

Mit dieser Reise ins Innere indes tut sich Asmik Grigorian schwer. Nach wie vor fremdelt sie mit der deutschen Sprache, man versteht kaum ein Wort, die harten Konsonanten fehlen völlig. Im Vergleich zu ihrem Münchner Auftritt mit demselben Zyklus vor einem Jahr hat sich ihre Interpretation nicht wesentlich verändert. Vertieft oder gereift wirkt das nicht. Erstaunlich eigentlich, weil sie die "Vier letzten Lieder" doch gerade auf CD herausgebracht hat, gekoppelt mit der Klavierfassung – mit dem Salzburger Festspiel-Intendanten Markus Hinterhäuser an ihrer Seite. Aber allzu kompakt klingt ihre volltönende Stimme, die sie zu wenig moduliert. Zwar kann sie auch Piano, etwa in den letzten beiden Zeilen von Hesses "September": "Langsam tut er die müdgewordnen Augen zu." Selbst im letzten Lied, dem lebensmüden "Abendrot", hat der Zyklus bei Asmik Grigorian so gar nichts Morbides – zu vordergründig, diesseitig, ja geheimnislos wirken die "Vier letzten Lieder" bei ihr, zumal die Wiener Philharmoniker unter Gustavo Dudamel zwar klangschön, aber eher beiläufig begleiten.

Ganz anders der Eindruck nach der Pause, wenn Gustavo Dudamel die monströse  "Alpensinfonie" von Strauss dirigiert. Allein die gigantomane Orchesterbesetzung auf der Breitwandbühne des Großen Festspielhauses ist imposant, ja furchteinflößend. Und das Fürchten lehrt uns Strauss ja durchaus in seinem letzten Tongemälde, wenn er auf den Gipfelstürmer ein ohrenbetäubendes Gewitter niederprasseln lässt. Da steckt schon auch ein Stück von Nietzsches "Antichrist" drin – so wollte Strauss seine "Alpensinfonie" nämlich ursprünglich nennen. Wie in Debussys "La mer" führt uns Strauss in seinem Stück auch die Bedrohung der menschlichen Existenz durch die Naturgewalten vor Ohren.

Alpenwanderung mit südamerkanischem Temperament

Nicht nur darin wirkt die Riesenpartitur modern, die mit einer absteigenden b-Moll-Tonleiter im 20-fach geteilten Streicherklang beginnt und endet – die herabsinkende Nacht wird da hörbar. Die so entstehenden, ungeahnten Clusterbildungen und Hallräume haben sogar den Neutöner Helmut Lachenmann fasziniert. Dudamel kostet diese kühnen Klangwirkungen suggestiv aus, bevor er den Bergsteiger zu Tagesbeginn forschen Schrittes zum Aufstieg antreibt. Imponierend, wie Dudamel, der alles auswendig dirigiert, selbst im größten Getümmel den Überblick behält und den Klang des Riesenorchesters klar strukturiert, den auch eine (hier digitale) Orgel archaisch grundiert.

Mit Vollgas geht’s auf den Gipfel. Im Sturmgewitter lässt es Dudamel mit heulenden Windmaschinen und Donnerblech-Krawall ordentlich krachen – da übertreibt er ein wenig, aber das sei seinem südamerikanischen Temperament verziehen. Ganz großes Kino ist das, dieser opulente Soundtrack zwischen Kuhglocken-Idylle und Thriller-Spannung, den Dudamel da auftischt – damit kennt er sich aus, hat er doch schon viel Filmmusik produziert. Und die Wiener Philharmoniker bieten an diesem Vormittag ihre ganze Strauss-Brillanz auf, ihren sagenhaften Streichersound und ihre nie roh auftrumpfende Klangkultur. Das Publikum goutiert dieses Kulinariker-Programm für verwöhnte Festspielgäste mit stehenden Ovationen. Etwas erschlagen von den Orchesterfluten verlässt man das Große Festspielhaus – und sehnt sich an diesem glühend heißen Tag in Salzburg fast nach einem Gewitter.

Sendung: "Allegro" am 26. August ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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