Er ist ein Perfektionist und erfolgreicher Orchestererzieher. Stets geht es ihm darum, dem Werk eines Komponisten gerecht zu werden. Er kämpft für seine Überzeugungen, hasst das Regietheater – und konnte der Verlockung Bayreuth doch nicht widerstehen. Am 18. Februar wird Marek Janowski 85 Jahre alt.
Bildquelle: Felix Broede
1972 gibt Marek Janowski sein Debüt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks – ausschließlich mit Musik des polnischen Spätromantikers Karol Szymanowski. Vielleicht, weil Janowski am 18. Februar 1939 in Warschau geboren wurde. Seinen polnischen Vater hat er aber nie gesehen, nach der Trennung kehrte die Mutter mit ihm in ihre Heimatstadt Wuppertal zurück – gerade noch rechtzeitig vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Nach Kriegsende und Studium beginnt Marek Janowskis Aufstieg in die obere Dirigenten-Liga. Seine Auffassung vom Beruf des Dirigenten ist bis heute gleich geblieben, wie er mal in einem Interview mit BR-KLASSIK auf den Punkt brachte: "Man muss sich bemühen, dem fundamentalen Sinn der kompositorischen Aussage eines Werkes gerecht zu werden – nicht Recht zu haben."
Marek Janowski bei einer Orchesterprobe 1997 | Bildquelle: picture-alliance / akg-images / Marion Kalter | Marion Kalter Marek Janowski gilt als strenger Orchestererzieher, der mit seinen Musikerinnen und Musikern in der Vergangenheit keineswegs zimperlich umgegangen ist. Dabei ist er ein Dirigent, der seine Vorstellungen bei den Proben allein durch seine Gestik und Mimik umzusetzen versucht. Denn Orchester mögen es überhaupt nicht, wenn Dirigenten die Proben durch endlose Monologe zerreden – sie spielen lieber. Aber beim Einstudieren komplexer Partituren funktioniert das nicht. "Das geht ja bei zeitgenössischer Musik gar nicht, dass man sagt: Also, jetzt gucken wir mal nach dem Taktstock, und dann werden wir das schon irgendwie regeln", sagt Marek Janowski. Für ihn hat das allerdings auch Konsequenzen, wenn er beispielsweise an einer Brahms-Symphonie arbeitet: "Das sind einfach Dinge, die sich in den letzten 30, 40 Jahren entwickelt haben. Ich würde gerne überhaupt nicht reden bei einer Probe – aber ich sehe, dass das nicht geht."
Man muss sich bemühen, dem fundamentalen Sinn der kompositorischen Aussage eines Werkes gerecht zu werden – nicht Recht zu haben.
Von Wuppertal aus geht Marek Janowski zum Studium nach Köln und lernt dort Dirigieren bei Wolfgang Sawallisch. Ähnlich wie sein Lehrer absolviert Janowski danach die Ochsentour durchs deutsche Stadttheater – und empfindet es im Nachhinein als Glücksfall. Wie Sawallisch hat sich Janowski als Kapellmeister verstanden, der in Aachen, Köln, Düsseldorf, Hamburg, Freiburg und Dortmund das Opernhandwerk von der Pike auf gelernt hat.
"Symphonische Matinée" am 18. Februar 2024 ab 10:05 Uhr: Aufnahmen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
"Après-midi" am 18. Februar 2024 ab 13:05 Uhr: Konzert aus der Elbphilharmonie (Juni 2023) mit Rudolf Buchbinder als Solist
Mit dem Abschied vom Chefposten beim Kölner Gürzenich-Orchester 1990 zieht sich Janowski aus dem Opernbetrieb zurück, konzentriert sich auf seine Arbeit mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France, entwickelt eine Leidenschaft für Frankreich, heiratet eine Französin. Hauptgrund für seinen Rückzug aus dem Orchestergraben war Janowskis tiefe Abneigung gegen das sogenannte "Regietheater" in der Oper. Umso erstaunter war die Klassikwelt, als sich der Traditionalist Janowski dann doch noch überreden ließ, 2016 und 2017 von Kirill Petrenko ausgerechnet den Castorf-"Ring" bei den Bayreuther Festspielen zu übernehmen – und damit sein spätes Debüt auf dem Grünen Hügel zu geben.
Ich hatte den Entschluss gefasst: Ich will mit diesem deutschen Musik-Regietheater-Gedöns nichts mehr zu tun haben.
Marek Janowski | Bildquelle: © Felix Broede "Es hat auch in sehr viel früheren Jahren Bayreuther Wünsche gegeben, dass ich hierherkomme", erklärt Marek Janowski. "Das habe ich aus verschiedensten Gründen nicht gemacht – das hat mir nicht gerade das Wohlwollen von Wolfgang Wagner zugezogen." Janowski erinnert sich an ein Schlüsselerlebnis Anfang der 1990er-Jahre in der Bayerischen Staatsoper: "Ich hatte eine schrecklich inszenierte 'Ariadne auf Naxos' von jemand anderem übernommen. Und da habe ich dann den Entschluss gefasst: Ich will mit dem, sich in eine bestimmte Richtung entwickelnden, speziell deutschen Musik-Regietheater-Gedöns, wenn ich das mal so sagen darf, nichts mehr zu tun haben." An diesem Entschluss hat Janowski sehr lange eisern festgehalten. "Ich war mit dieser Entscheidung mit mir im Frieden und bin es auch jetzt noch."
Ich habe es nicht bereut.
Dann kam die erneute Anfrage aus Bayreuth. "Da habe ich nochmal schwer mit mir gekämpft und gesagt: Wenn du das übernimmst, bist du 77. Wenn du jetzt wieder sagst, du machst das nicht, kommen sie garantiert nie wieder. Und dann fehlt dir vielleicht doch dieses akustische und auch sehr spezielle Erlebnis mit diesem besonderen Graben – da bin ich schwach geworden. Und ich habe es nicht bereut."
Gerade bei Wagners Musik sind Tempofragen entscheidend, aber über die Oper hinaus hält Janowski in diesem Zusammenhang zwei Punkte für wesentlich: "Bei der Oper darf man nicht vergessen: Der Dirigent ist, was Tempo-Entscheidungen angeht, nicht der alleinige Diktator." Da müsse man auf die individuellen Möglichkeiten eines Sängers achten. "Das andere ist für mich: Jede gute Musik muss, sobald sie eine Motorik in sich hat, eine Richtung haben. Wenn Sie sich auf bestimmten Tönen oder in der Langsamkeit verlieren, bleibt Musik stehen." Musik sei aber eine Bewegungskunst. Denn davon lebe sie. "Das ist für mich bei jedem Komponisten die alleroberste Leitlinie. Und da ist Oper, die also Aktion zeigt, die Bewegung der Menschen auf der Bühne zeigt, natürlich ganz besonders, wenn ich das Wort benutzen darf, richtungsabhängig. Und das ist für mich schon, wenn Sie so wollen, ein kleines berufliches Glaubensbekenntnis."
Jede gute Musik muss eine Richtung haben.
Ein anderes Bekenntnis hat Marek Janowski in einem Interview mit der Westdeutschen Zeitung zu seinem 80. Geburtstag vor fünf Jahren abgelegt – auf die Frage nach seinem Lieblingskomponisten antwortete er damals: "Ich verehre vor allem die großen Komponisten des späten 18., des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Für mich war der herausforderndste Komponist mein ganzes Leben lang Ludwig van Beethoven."
Marek Janowski 2017 | Bildquelle: Markenfotografie Marek Janowski ist ein streitbarer Kopf, der für seine Überzeugungen kämpft. So verwundert es nicht, dass er von seinen beiden langjährigen Chefpositionen im Streit geschieden ist: im Jahr 2000 beim Orchestre Philharmonique de Radio France, 2016 dann beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Dabei ist Janowski gerade mit seinem Berliner Orchester in konzertanten Aufführungen eine maßstabsetzende Gesamtaufnahme der zehn großen Wagner-Opern gelungen. Ans Aufhören denkt er jedenfalls nicht, wie kommende Gastspiele in Tokio und an der Stuttgarter Staatsoper zeigen – so lange er sich fit fühlt. "Dieses Ziel von so manchen Kollegen, immer weitermachen zu wollen bis kurz vor dem Moment, wo jedes Orchester erkennt: Es geht nun wirklich nicht mehr – dieses Ziel habe ich nicht und hoffe, dass mir der liebe Gott dabei hilft, rechtzeitig zu erkennen, wenn man es denn lassen sollte."
Kommentare (1)
Montag, 19.Februar, 12:22 Uhr
Trappe
Alte Schule
Im Kontext der Musik ist ein Mann alter Schule ein großes Kompliment. Und er hat angesichts der durch Regie verursachten Opernkrise das Glück, nicht mehr Oper dirigieren zu müssen. Zugleich bedauernswert für alle, die so um die musikalischen Genüsse Janowskis kommen. Aber auch medial wird ja jeder noch so schlechten Regie mehr Aufmerksamkeit geschenkt als der Musik.